Frage an Michael Hennrich von Tim S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Hennrich,
wie stehen sie zum Gesetzentwurf zur Sperrung von Internetseiten, der im Ausschuss durchweg kritisiert worden ist?
Die Kritikpunkte liegen darin, dass es Sperrlisten geben soll, die allein durch das BKA geführt werden. Die Internetseiten deren Inhalte zensiert werden, sind dann ausschließlich (!) dem BKA bekannt und sollen durch keine weiteren Stellen wie z.B. Journalisten, oder Verbraucherschützer geprüft werden. Somit unterliegt der Vorgang als solcher keiner unabhängigen Kontrolle auf strafrechtliche Relevanz und ermöglicht Missbrauch durch Zensur.
Benutzerdaten der Surfer welche eine zensierte Seite aufrufen, werden an das BKA übermittelt.
Wenn somit durch einen Link oder eine automatische Weiterleitung unbewusst oder durch fremden Vorsatz auf eine zensierte Seite geführt wird, werden dadurch unverschuldet Personen einem Ermittlungsverfahren ausgesetzt.
Selbst ein Verdachtsmoment kann für den betroffenen einen erheblichen Gesellschaftlichen Schaden mit sich bringen.
Von der technischen Seite ist die gefundene Lösung fast nutzlos. Selbst ein durchschnittlich versierter Benutzer kann die Sperre ohne größeren Aufwand aushebeln.
Entsprechende Anleitungen kursieren bereits im Internet. Eine Videoanleitung welche den Vorgang zum nachmachen verständlich erklärt dauert 27 Sekunden!
Im Hinblick auf die bevorstehende Bundestagswahl möchte ich Ihren Standpunkt zu den Kritikpunkten und dem Gesetzesvorhaben wissen.
Da die technische Grundlage dilettantisch ist und ein nicht unerhebliches Risiko für Meinungsfreiheit, Informationsfreiheit und allgemeine Persönlichkeitsrechte besteht, möchte ich Sie bitten Abstand davon zu nehmen mir zu erklären dass das Gesetz so wie es kommt keine Gefährdung der Grundrechte darstellt.
Ich stehe voll hinter dem Kampf gegen den Missbrauch von Kindern und der Verbreitung von Kinderpornographischem Materialien.
Freundliche Grüße aus Wolfschlugen
Tim Sapounas
Fachinformatiker/Systemintegrator
Student der Informatik
Sehr geehrter Herr Sapounas,
vielen Dank für Ihre Frage zu den geplanten Neuerungen zur Bekämpfung der Kinderpornographie. Da auch Sie hinter dem Kampf gegen den Mißbrauch von Kindern und die Kinderpornographie stehen, stehen wir auf der selben Seite und sind uns sicher darin einig, dass alle zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ergriffen werden müssen, um diesem abscheulichen Verbrechen entschieden Einhalt zu gebieten.
Bei der Kinderpornographie geht es rechtlich grundsätzlich um zwei Komplexe:
Zum einen bedroht § 184b des Strafgesetzbuches (Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Schriften) all diejenigen mit Strafe,
. die kinderpornographische Schriften, wozu auch Ton- und Bildträger sowie Datenspeicher gehören, verbreiten,
. solche Schriften öffentlich ausstellen, anschlagen, vorführen oder sonst zugänglich machen oder
. die diese Machwerke herstellen, beziehen, liefern, vorrätig halten, anbieten, ankündigen, anpreisen, einzuführen oder auszuführen unternehmen.
Dies sind - grosso modo - diejenigen, die kinderpornographische Inhalte ins Netz stellen. Hier genügt oft ein Hinweis an die Betreiber der Server, um dem Spuk ein Ende zu bereiten. In manchen Ländern allerdings bleibt dies leider fruchtlos.
Gemäß § 184b des Strafgesetzbuches gilt grundsätzlich aber auch, dass sich strafbar macht, wer es unternimmt, sich kinderpornographische Schriften - dazu gehören auch Dateien und das Betrachten von Bildern im Netz - zu verschaffen. Entsprechend ist die Sperrung einer derartigen Seite als die Verhinderung einer Straftat zu qualifizieren. Wer also die Stopp-Zeichen respektiert, wird also davon abgehalten, eine strafbare Handlung zu begehen. Dies unterscheidet diesen Fall z.B. von dem der Sperrung einer Seite, die vielleicht einen strafwürdigen Inhalt hat, wo es aber nicht strafbar ist, sie sich zu verschaffen.
Es war dringend geboten, dass wir in Deutschland auch umfassend gegen die in der zweiten Alternative genannte Beschaffung von kinderpornographischen Schriften vorgehen. Die Bundesregierung hat darüber unter Federführung der BM´in Dr. von der Leyen in den letzten Wochen und Monaten intensive Gespräche und Verhandlungen mit der betroffenen Wirtschaft geführt. Dabei sind zwei Dinge deutlich geworden: Erstens sind die Access-Provider dazu bereit, den Zugang zu kinderpornographischen Inhalten zu erschweren und so die Beschaffungskriminalität einzudämmen. Fünf große Unternehmen haben sich inzwischen auf vertraglicher Basis dazu verpflichtet. Und zweitens brauchen wir eine gesetzliche Regelung. Lassen Sie mich deren wichtigste Punkte hervorheben:
. Alle großen Internetzugangsanbieter werden verpflichtet, durch geeignete technische Maßnahmen den Zugang zu kinderpornographischen Inhalten zu erschweren. Basis sind täglich aktualisierte Sperrlisten des Bundeskriminalamts.
. Aus präventiven Gründen wird gegenüber den betroffenen Nutzern über eine Stopp-Meldung klargestellt, warum der Zugang zu einem kinderpornographischen Angebot erschwert wird.
. Die Zugangsanbieter haften nur, wenn und soweit sie die Sperrliste des Bundeskriminalamts nicht ordnungsgemäß umsetzen. Die anfallenden Daten können für die Strafverfolgung genutzt werden, soweit die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür vorliegen.
. Da mit den Regelungen gesetzgeberisches Neuland betreten wird, sollen sie innerhalb von zwei Jahren nach Inkrafttreten evaluiert werden.
Besonders wichtig ist mir, klar zu stellen, dass es sich bei der genannten Sperrliste und bei der Verpflichtung der Internet Provider, die auf dieser Liste enthaltenen Internet-Seiten zu sperren, eben nicht um eine Zensur des Internets handelt, bei der der Staat - aus welchen Gründen auch immer - einige Internetseiten sperren lässt, um seine Bürgerinnen und Bürgern mehr oder weniger willkürlich an der Nutzung des Internets zu hindern. Läge die Sache so, würde ich Ihre Bedenken - insbesondere hinsichtlich der Zusammenstellung der Sperrliste und ihrer Überprüfung - uneingeschränkt teilen und den Gesetzentwurf nicht unterstützen.
Die Sache liegt aber anders, denn hier geht es - wie gesagt - um die Verhinderung von Straftaten gem. § 184b des Strafgesetzbuches.
In der öffentlichen Diskussion ist leider bisher nicht ausreichend verdeutlicht worden, dass die Einschränkungen des Zugangs und die Strafverfolgung sich nur auf die besondere Struktur des § 184b des Strafgesetzbuches beziehen, d.h. - wie schon oben gesagt - auf die Verschaffung der Kinderpornographie. Es ist nicht daran gedacht, ähnliche Maßnahmen auch bei anderen Rechtsverletzungen zu ergreifen, bei denen z.B. das Betrachten der Seite straflos ist und eine weitere Handlung - möglicherweise ein Download einer Datei - hinzutreten muss, um ein Rechtsgut zu verletzen.
Was Ihren Einwand bezüglich des BKA betrifft, so halte ich übrigens gerade diese Stelle für geeignet, die entsprechenden Listen zu führen. Dies gilt insbesondere, da das BKA über entsprechend versiertes Fachpersonal und langjährige Erfahrung mit der Verwaltung von "schwarzen" Listen verfügt.
Insofern bin ich fest davon überzeugt, dass dieses Gesetzesvorhaben die Grundrechte der Bürger nicht tangieren wird.
Jedenfalls halte ich es für wichtig, diese Thematik - gerade auch in Bezug auf die technische Seite - weiter im Auge zu behalten. Insofern möchte ich Ihnen noch einmal ausdrücklich für Ihre Hinweise danken, die ich an die entsprechenden Fachkollegen in der CDU/CSU-Fraktion mit der Bitte um Beachtung weitergeleitet habe.
Es ist sehr schwer, konkret quantitativ zu beurteilen, ob und inwiefern dieses Gesetz den Konsum von Kinderpornographie und die Produktion von Kinderpornographie verhindert oder erschwert. Eine Patentlösung wird es nicht geben. Dies sollte uns aber nicht daran hindern, Maßnahmen zu ergreifen, die zumindest einige Straftaten verhindern. Das ist nicht perfekt, aber besser, als den Kopf in den Sand zu stecken.
Mir ist klar, dass das Gesetz kein Allheilmittel ist. Aber es ist ein weiterer Baustein in unserer Gesamtstrategie, die Kinder zu schützen und den Markt für Kinderpornographie soweit es geht auszutrocknen.
Gerne können wir dieses Thema aber auch noch einmal in einem persönlichen Gespräch vertiefen. Sollte Sie hieran Interesse haben, bitte ich Sie, sich an Herrn Kunzmann in meinem Nürtinger Büro zu wenden.
Mit freundlichen Grüßen
Michael Hennrich