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Michael Hartmann
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Frage von Klaus P. •

Frage an Michael Hartmann von Klaus P. bezüglich Recht

Sehr geehrter Herr Hartmann,

konkret zielt meine Frage auf den Inhalt der "Sicherheitsstrategie für Deutschland" der CDU/CSU (Kauder/Schockenhoff) ab, nachzulesen bei imi-online.

Leider erklären Sie in Ihrer Antwort nicht den Unterschied zwischen Krieg und Kampfeinsätze aus humanitären Gründen.Sind diese nicht auch grausam, kosten Menschenleben und bringen nur Leid über die Zivilbevölkerung ?

Mit freundlichen Grüssen
Klaus Paulus

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Paulus,

herzlichen Dank für Ihre Nachfrage auf abgeordnetenwatch.de.

Die Umsetzung der "Sicherheitsstrategie für Deutschland" ist mit der SPD nicht zu machen. Wir sind weder für Präventivschläge noch für die Einrichtung eines nationalen Sicherheitsrates nach amerikanischem Vorbild. Auch die Militarisierung der Innenpolitik lehnen wir ab, aus gutem Grund: Die Trennung von Innerer und Äußerer Sicherheit ist politisch und gesellschaftlich gewollt! Was die Union mit der regelmäßig wiederkehrenden Forderung nach einem Einsatz der Bundeswehr im Inneren als sicherheitspolitische Notwendigkeit darstellt, ist in Wahrheit der Versuch, unser Grundgesetz so zu verändern, dass die politisch und verfassungsrechtlich gewollte Trennung zwischen Innerer und Äußerer Sicherheit aufgehoben wird. Ein derartig schwerwiegender Eingriff in das Grundgesetz würde bedeuten, dass der Einsatz der Bundeswehr im Innern zur Regel wird. Soldatinnen und Soldaten würden de facto zum Lückenbüßer der Länder- und Bundespolizei. Wir wollen keine Militarisierung der Inneren Sicherheit! Unsere Soldaten sind auch nicht ausgebildet um Gefahrenabwehr und Strafverfolgung wahrnehmen zu können. Allen, die sich ernsthaft mit Innerer und Äußerer Sicherheit befassen, ist klar, dass eine derartige Grundgesetzänderung keine Terroranschläge verhindern kann. Die verfassungsrechtliche Lage ist klar und eindeutig: Entgegen der Union sind wir der Auffassung, dass das Grundgesetz in seiner derzeitigen Form auch den Anforderungen der neuen sicherheitspolitischen Lage im Inneren gerecht wird. Danach können unter anderem die für innere Sicherheit zuständigen staatlichen Organe die Unterstützung der Bundeswehr im Rahmen der Amtshilfe anfordern. So kann nach Artikel 35 GG bei Naturkatastrophen und besonders schweren Unglücksfällen ein Bundesland die Hilfe der Bundeswehr anfordern. Sind mehrere Länder betroffen, kann auch die Bundesregierung Einheiten der Streitkräfte zur Unterstützung der Polizei einsetzen. Hier täte also Herrn Schäuble eine Nachhilfestunde in Verfassungsfragen gelegentlich ganz gut. Im Übrigen kann der Bundesinnenminister nicht ständig den Einsatz der Bundeswehr im Inneren fordern und gleichzeitig versuchen, jenen Katastrophenschutzbehörden, die auf den Ernstfall speziell und umfassend vorbereitet sind, einen unzumutbaren Sparzwang aufzuerlegen. Stellvertretend seien hier das Bundeskriminalamt und das Technische Hilfswerk (THW) und dessen professionelle und wichtige Arbeit genannt. Eine Streichung der finanziellen Mittel an dieser Stelle wäre politische fatal und ein falsches Signal an die tausenden ehrenamtlich engagierten Helferinnen und Helfern. Dies wird mit der SPD so nicht zu machen sein!

Auch bei humanitären Einsätzen kommen Menschen ums Leben, da haben Sie leider Recht. Natürlich ist das auch grausam! Ihre Frage zielt meines Erachtens aber wohl auf die generelle Legitimation von Einsätzen der Bundeswehr im Ausland ab. Dazu will ich Ihnen etwas erläutern: Behauptungen, die Einsätze der Bundeswehr in Afghanistan seien völkerrechtswidrig, da die Kampfeinsätze der USA und anderer nicht von der UN mandatiert seien, sind schlicht falsch und entbehren jeder rechtlichen Grundlage. Es war und ist immer erklärtes Ziel der internationalen Staatengemeinschaft gewesen, den Terrorismus gemeinsam mit legitimen Mitteln zu bekämpfen. Auch Deutschland hat Interesse daran, zu verhindern, dass Afghanistan wieder zum Ausbildungscamp internationaler Terroristen wird.

Klar ist: gegen Selbstmordattentate, ferngezündete Sprengsätze und Minen, können wir mit militärischen Mitteln allein nichts ausrichten. Die zentralen Herausforderungen in und für Afghanistan sind und bleiben politischer Art. Wir setzen deshalb auf einen ganzheitlichen Ansatz. Die Bundesregierung hat schon frühzeitig gemeinsam mit den vier beteiligten Ministerien (AA, BMVg, BMZ, BMI) ein politisches Konzept entwickelt, das die verschiedenen Arten der Unterstützung für Afghanistan bündelt. Dieser Ansatz einer zivil-militärischen Zusammenarbeit wurde während des NATO-Gipfels in Riga 2006 auch von den anderen Verbündeten als wegweisend anerkannt und auf dem Außenministertreffen am 26. Januar 2007 bestätigt.

Die Terroranschläge vom 11. September 2001 führten der Welt eine neue Dimension terroristischer Gefahren vor Augen: Anders als die meisten ihrer "traditionellen" Vorläufer, schickten die Al Qaida-Terroristen keine konkreten Forderungen voran, sondern schlugen ohne Vorwarnung zu. Der 11. September lehrte uns, dass auch mit ganz konventionellen Mitteln tausendfacher Mord begangen und Schäden in Milliardenhöhe verursacht werden können. Möglich wurden diese Anschläge auch, weil sich Afghanistan unter der 22-jährigen Herrschaft der fundamental-islamistischen Taliban zu einem Rückzugsraum für Terroristen entwickelt hatte. In diesen 22 Jahren herrschten in Afghanistan Krieg und Bürgerkrieg. Bis heute leidet das Land unter den typischen Folgen wie schweren Zerstörungen, Verminung ganzer Landstriche, Korruption, ethnisch motivierten Spannungen und organisierter Kriminalität. Nach dem Sturz des Taliban-Regimes einigten sich die größten ethnischen Gruppen Afghanistans im Dezember 2001 auf der Petersberger Konferenz auf eine "Vereinbarung über provisorische Regelungen in Afghanistan bis zum Wiederaufbau dauerhafter Regierungsinstitutionen"(sog. Bonner Vereinbarung). Damit schufen sie die Grundlage für die Internationale Sicherheitsunterstützungs-Truppe (International Security Assistance Force - ISAF), deren Aufstellung der Weltsicherheitsrat am 20. Dezember 2001 beschloss. ISAF soll im Auftrag der Vereinten Nationen die mittlerweile demokratisch gewählte afghanische Regierung bei der Herstellung und Wahrung der inneren Sicherheit unterstützen. Darüber hinaus hilft sie bei der Auslieferung humanitärer Hilfsgüter und der geregelten Rückkehr von Flüchtlingen. Die 37 teilnehmenden Mitgliedsstaaten wurden von den UN ermächtigt, ?alle zur Erfüllung ihres Mandats notwendigen Maßnahmen zu ergreifen.? Damit sind auch Kampfeinsätze gegen militante Gegner der ISAF-Schutztruppe gemeint.

Deutschland hat seither einen erheblichen Beitrag zum Wiederaufbau Afghanistans geleistet. Der Wiederaufbau eines jeden kriegszerstörten Landes kann nur in einem sicheren Umfeld gelingen. Es hat sich in den vergangenen Jahren leider immer wieder gezeigt, dass 22 Jahre Bürgerkrieg und Taliban-Herrschaft nicht schnell überwunden werden können. Die Organisation der früheren Taliban, die über zwanzig Jahre lang ein Schreckensregime geführt haben, ist zwar weitgehend zerstört, doch gibt es immer wieder Anschläge auf zivile Einrichtungen, wie Schulen, Kraftwerke, Polizeieinrichtungen, mit denen die Gegner des Aufbaus versuchen, die Bevölkerung zu zermürben und die unbestreitbaren Erfolge wieder zunichte zu machen. Und es gibt immer wieder Attentate auf gewählte Politiker und Militäreinrichtungen. Die Bundeswehr leistet deshalb einen unverzichtbaren Dienst zur notwendigen militärischen Absicherung des Stabilisierungs- und Wiederaufbauprozesses. Der humanitäre Aspekt dabei: 80 Prozent der Bevölkerung haben jetzt Zugang zu medizinischer Versorgung. Sechs Millionen Kinder gehen wieder zur Schule, davon erstmals 40 Prozent Mädchen. Allein Deutschland hat für mehr als 2,5 Millionen Menschen in Kabul die Stromversorgung gesichert. Insgesamt hat die internationale Gemeinschaft bislang über 20 Milliarden US-Dollar für den zivilen Wiederaufbau Afghanistans zur Verfügung gestellt. Das Geld wurde in erster Linie für den Bau der Infrastruktur verwendet, also Schulen, Straßen, Stromnetze, Trinkwasserversorgung und Vieles mehr. Als sichtbarstes Zeichen sind seither über fünf Millionen Flüchtlingen in ihre Heimat zurückgekehrt.

Diese Bestätigung des zivil-militärischen Ansatzes war und ist von großer politischer Bedeutung. Parallel zum verstärkten militärischen Engagement hat sich Deutschland für größere Anstrengungen im Bereich wirtschaftlicher und politischer Entwicklung eingesetzt. Staatliche Strukturen sollen auf der Ebene der Provinzen und des Parlaments gestärkt werden, damit sich unterschiedliche regionale Interessen repräsentiert sehen. Deutschland hat bis 2010 weitere 400 Mio. ? für den Wiederaufbau zugesagt. Das BMZ hat im November 2006 dafür Pilotprojekte für die Provinzen im Südosten begonnen. Weitere Aktivitäten vor allem im Süden sind nötig, um den Menschen zu zeigen, dass die internationale Präsenz ihnen auch etwas bringt. Darüber hinaus wurde im Februar eine ESVP-Mission beschlossen, die 160 Kräfte für den Polizeiaufbau und 70 Berater für die Reform der Justiz umfasst.

Herr Paulus, ich denke, hier werden die Unterschiede deutlich erkennbar. Ich hoffe, ich konnte Ihre Frage zufriedenstellen beantworten.

Mit freundlichen Grüßen

Michael Hartmann