Frage an Michael Hartmann von Achim F. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Rederecht im Bundestag soll offenbar geändert werden - Kann das sein? Nur noch die Mehrheitsmeinung darf vertreten werden? (s. ARD Bericht vom 14. 04.2012)
Rederecht im Bundestag soll offenbar geändert werden
Reden, nur wenn es der Fraktion passt?
Die Fraktionen von Union, FDP und SPD planen, das Rederecht der Abgeordneten im Bundestag noch stärker als bisher einzuschränken und ihre Kontrolle darüber auszubauen. Ein entsprechende Beschlussempfehlung der Fraktionen von Union, FDP und SPD liegt dem ARD-Hauptstadtstudio vor. Über den Entwurf des Geschäftsordnungsausschusses solle der Bundestag am 26. April abstimmen, berichtet die "Süddeutsche Zeitung". Lediglich Grüne und Linkspartei hätten im Ausschuss dagegen gestimmt.
Der "SZ" zufolge ist die geplante Änderung der Geschäftsordnung offenbar auch eine Reaktion auf den Streit um das Rederecht, das Bundestagspräsident Norbert Lammert in der Debatte um den Euro-Rettungsschirm den Gegnern der Milliardenhilfen erteilt hatte. Die Kritiker Klaus-Peter Willsch (CDU) und Frank Schäffler (FDP) hatten jeweils fünf Minuten sprechen dürfen, obwohl sie von ihren Fraktionen nicht als Redner aufgestellt worden waren. Lammert wollte, das sich so die kontroverse öffentliche Debatte auch im Parlament widerspiegele. Die Fraktionschefs hatten protestiert, der Ältestenrat hatte Lammert eine Rüge erteilt.
Dafür können Sie doch nicht sein, oder doch?
Ihr Achim Fritzsche
Sehr geehrter Herr Fritzsche,
vielen Dank für Ihre Frage.
Ich habe in den letzten Tagen sehr viele Zuschriften erhalten, die sich kritisch mit dem Vorschlag zur Neuregelung des Rederechts auseinandersetzen.
Da ich Mitglied des Geschäftsordnungsausschusses war, erinnere ich mich sehr gut an die beginnende Diskussion nach der Debatte zur Eurorettung im vergangenen Jahr, bei der Bundespräsident Lammert, entgegen der geübten Praxis, auch zwei Redner außerhalb des Fraktions-Kontingente zuließ.
Seine Entscheidung war und ist richtig. Nach meiner Wahl als innenpolitischer Sprecher im vergangenen Herbst und meinem Ausscheiden aus dem Geschäftsordnungsausschuss, konnte ich die Verhandlungen im Ausschuss nicht weiterverfolgen. Der Entwurf, den wir zur Zeit diskutieren, war aber ein Ergebnis von Gesprächen zwischen den parlamentarischen Geschäftsführern aller Parteien. Daher kritisiere ich auch das jetzige Vorgehen. Entweder muss man zugeben, dass der Vorstoß ein Fehler war, oder ihn erklären und verteidigen. Dass Volker Beck von den Grünen jetzt so tut, als habe er immer gegen diesen Vorschlag gekämpft, ist unehrlich.
Nicht nur das Rederecht des einzelnen Abgeordneten ist ein hohes Gut, sondern auch der flüssige Verlauf einer Debatte. Sitzungen, die bis tief in die Nacht reichen und medial gar nicht mehr wahrgenommen werden, helfen auch nicht den parlamentarischen Alltag spannender für die Bürgerinnen und Bürger zu machen. Sie tragen zudem auch selten zu einem Erkenntnisgewinn bei. Wenn wir die großen Debatten wegen des Redebedürfnisses einzelner immer weiter aufblähen, bedeutet dies auch, dass andere Themen an den Rand gedrückt werden und noch weniger Beachtung finden. Nicht jeder Abweichler sollte die Möglichkeit erhalten seinen Standpunkt darzulegen, wenn er mit seiner Position in seiner eigenen Fraktion nicht überzeugen konnte. Schließlich ist es gerade die Funktion der Fraktionen Meinungen zu bündeln und Entscheidungen vorzubereiten.
Wenn eine Abgeordnete oder ein Abgeordneter nicht für seine Fraktion spricht, bleibt die Möglichkeit die abweichende Meinung in einer persönlichen Erklärung darzulegen. Dieses Recht wird insbesondere von der Linken ausgiebig wahrgenommen und sorgt häufig für erhebliche Verzögerungen im parlamentarischen Ablauf.
Die aktuell vorliegenden Vorschläge habe ich aber dennoch von Beginn an kritisiert. Die bisher geübte Praxis, nach der die Redekontingente generell durch die Fraktionen vergeben werden, ist durchaus vernünftig. Vernünftig ist auch, dass der Präsident des Bundestages bei Debatten von besonderer Bedeutung Abweichlern, die zudem eine Position vertreten, die sich in der Breite der Gesellschaft wiederfindet, das Wort erteilen kann. Für eben solche Entscheidungen gibt es den Präsidenten und seine Vizepräsidenten. Keine Partei wird hier benachteiligt werden, da alle Parteien im Präsidium vertreten sind.
Bei Betrachtung des vorliegenden Vorschlages aber von einer Knebelung der Abgeordneten zu sprechen, halte ich für maßlos übertrieben. Eine Gefahr für die parlamentarische Demokratie droht sicherlich nicht aus dieser Richtung. Dass Delegieren von Entscheidungen an Regierung und Sondergremien sowie die Weigerung mancher Ministerien parlamentarische Anfragen angemessen zu beantworten, sind weitaus größere Probleme.
Ich wünsche mir, dass wir direktere Formen der Debatte in Deutschland einzuführen, die es in anderen Parlamenten längst gibt. So könnte eine direkte Befragung der Bundeskanzlerin und veränderte Fragerechte der Abgeordnete wesentlich zu einer spannenderen und sachlicheren Debatte beitragen.
Mit freundlichen Grüßen
Michael Hartmann