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Michael Hartmann
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Frage von Kai K. •

Frage an Michael Hartmann von Kai K. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Hartmann,

ich hätte da ein paar Fragen zum Thema "Fraktionszwang". Ich habe gerade letzte Woche einen Bericht gesehen bei dem beiläufig erwähnt wurde das es ja ausser bei bestimmten Themen einen Fraktions-Zwang gibt. Ist das so? Ist so etwas in der Fraktions-Geschäftsordnung definiert? Widerspricht das nicht §38 des Grundgesetz? Hier wurde ja explizit darauf verzichtet den Parteizwänge u.s.w. mit aufzunehmen. Es geht NUR um das Gewissen. Und zwar ausschließlich. Wie sieht so etwas in der Praxis aus.

Folgendes Szenario..Sie gehören zur Regierungspartei. Es geht z.b. um den Bundeshaushalt. Sie sind als MDB mit dem Konzept ihrer Partei nicht einverstanden. Würden sie das dennoch ablehnen, auch wenn die Fraktion dafür ist? Mir ist klar das dann sicher versucht wird sich gegenseitig zu überzeugen aber wenn sie danach immer noch der Meinung sind das sie das eigentlich ablehnen.

Ich als Bürger sehe das so das ich ja sie als Abgeordneten gewählt habe und nicht eine Fraktionsstimme die im Zweifelsfall sich ans Credo einer Partei hält weil es sonst befürchten müsste nicht mehr aufgestellt zu werden. Ich meine der Bundestagsabgeordnete ist ja eigentlich nur seinen Wählern verantwortlich und nicht der Partei. Ich habe gehört das es bei Gewissensfragen wie PID explizit kein Zwang herscht. Aber ist nicht jede einzelne Entscheidung eine Gewissensentscheidung? Ich finde es bedenklich das eine Parteilinie über Wahlverhalten eines Abgeordneten bestimmt. Anders kann ich es mir nicht erklären das Parteiübergreifend zu jedem gesetzt 98% der Abgeordneten so entscheiden wie die Partei bzw Fraktionsmeinung ist. Rein statistisch ist es ja quatsch das immer alle zufällig genau der Meinung sind wie die "führung".Oder liege ich da völlig falsch? Wann haben Sie mal ausser bei "Gewissensentscheidungen" gegen die Fraktion gestimmt?

Vielen Dank und Gruss

Kai Kraft

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Sehr geehrter Herr Kraft,

zunächst einmal ist es richtig, dass bei Fragen wie der PID, die als Gewissensfrage angesehen wird, die Ordnungsfunktion der Fraktionen aufgehoben wird. Bei solchen Fragen von außerordentlicher Bedeutung und bei denen es um Leben und Tod geht, entscheidet in der Tat jeder Abgeordnete für sich.

Da der Bundestag sich in hohem Tempo mit einer Vielzahl von Themenbereichen beschäftigt, ist ein solcher individueller Abwägungsprozess nicht bei jeder Entscheidung zu bewältigen. Ich betrachte uns innerhalb einer Fraktion als Spieler einer Mannschaft.
Für jeden Themenbereich gibt es Spezialisten in dieser Mannschaft, die für die ganze Fraktion die anstehenden Entscheidungen aufarbeiten und bewerten. Gerade bei komplexen Detailfragen kann sich nicht jeder Abgeordnete eigenständig in jedes Thema einarbeiten, sondern muss sich auf die Arbeit seiner Mannschaftskollegen verlassen.
Außerdem: Wenn ein Abgeordneter eine abweichende Position vertritt, muss er in seiner Fraktion für diese werben und eine Mehrheit finden. Am Ende wird in der Fraktionssitzung über die Frage abgestimmt und so die Position der Fraktion festgelegt. So werden die unterschiedlichen Positionen zu Kompromissen gebündelt und Mehrheiten organisiert. Dieser Prozess ist für die Entscheidungsfindung unabdingbar, da sonst Entscheidungen gar nicht oder viel langsamer zu Stande kommen würden.
Ein Gesetz, egal mit welcher Zielrichtung, braucht mindestens die einfache Mehrheit der Mitglieder des Bundestages. Es ist Aufgabe der Fraktionen, Gesetze zu prägen und dann die Mehrheiten zu organisieren.

Es gibt immer wieder einzelne Abgeordnete, die bei Abstimmungen gegen die eigene Fraktion stimmen. Dies soll in aller Regel vorher dem Fraktionsvorsitzenden mit Angabe des Grundes mitgeteilt werden, damit der Fraktionsvorsitzende entsprechend planen kann. Es gibt viele Beispiele für Abgeordnete, die häufig von der Fraktionsmeinung abweichen. Viele dieser Abgeordneten sind seit vielen Jahren im Bundestag und haben weiterhin gute Listenplätze. Insofern wird der Fraktionszwang oftmals überbewertet.

Auch wenn gerne über den Fraktionszwang geschimpft wird, gibt es auch die andere Seite der Medaille. Einige Kollegen machen es sich bei unbequemen Entscheidungen sehr einfach, indem sie eine Entscheidung boykottieren weil sie unpopulär ist. Dies tun sie in aller Regel in dem Wissen, dass andere die Mehrheit organisieren. Ein solches Verhalten ist in meinen Augen unehrlich und mit der Verantwortung des Mandats nicht vereinbar.
Nicht jede Entscheidung ist eine Gewissensfrage. Wenn es aber wie bei der PID tatsächlich um Leben und Tod geht, dann ist das Gewissen gefragt und steht über der an sich sinnvollen Fraktionsdisziplin.

Ich entnehme Ihren Fragen , dass Sie sich mit den parlamentarischen Abläufen und der Verantwortung der Abgeordneten beschäftigt haben. Ich möchte Ihnen gerne ein persönliches Gespräch anbieten um auf Ihre Fragen einzugehen und Ihnen einen Einblick in das parlamentarische Geschehen aus erster Hand zu geben.

Mit freundlichen Grüßen

Michael Hartmann