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Mechthild Rawert
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Frage von Tim K. •

Frage an Mechthild Rawert von Tim K. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrte Frau Rawert,

vielleicht haben Sie meine Frage vom 04.09.07 bez. ihres taz-Interviews schon erhalten und vielleicht bekomme ich noch Antwort vor der Bundeswehr-raus-aus-Afghanistan am 15.09.07 (http://www.afghanistandemo.de/). In diesem Zusammenhang könnten Sie auch meine weitere Frage beantworten: auf Einladung von Herrn Struck waren Sie ja vor kurzem in Afghanistan, um sich ein Bild von der Lage - will heißen die angebliche Notwendigkeit der Bundeswehr- und Tornadoeinsätze dort - zu machen. Meines Wissens waren Sie davor noch nie in Afghanistan - wie können Sie daher beurteilen, wie die humanitäre Lage VOR den Kriegseinsätzen ab 2001 war? Internationale NGOs, die sich auch schon vor 2001 in Afghanistan eingesetzt haben, berichten mehrheitlich, dass sich die humanitäre Lage dramatisch verschlechtert hat, 1/3 des Landes gilt als no-go-area. Halten Sie daher Ihren Ausflug und Ihre Eindrücke tatsächlich für objektiv? Vielen Dank.

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Karsten,

mein Eindruck bei allen Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern in Afghanistan ist gewesen, dass diese sehr offen und zumeist auch sehr deutlich ihre jeweilige Sicht der Dinge geäußert haben. Alle uns ParlamentarierInnen gegenüber geäußerten Aussagen halte ich für ehrliche Meinungen. Ich zweifle die Ehrlichkeit Ihrer Fragen nicht an, auch wenn diese in einem unmittelbaren Zusammenhang mit einer anstehenden Veranstaltung gestanden habe.

Sie haben mich in ihrer Mail vom 04.09. gefragt, mit welchen Nicht-Regierungsorganisationen (NRO)wir ParlamentarierInnen gesprochen haben, wie meine GesprächspartnerInnen die von Ihnen wiedergegebene Position von „medico international“ einstufen.

Zusätzlich zu Gesprächen mit – zivilen – Vertretern des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit in Masar-i-Sharif und Kundus, haben wir in Kabul und in Kundus vielfältige Informationen seitens der Vertreterinnen und Vertretern des Deutschen Entwicklungsdienstes (DED), der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), der Deutschen Welthungerhilfe (DWHH), vom Kinderberg International e.V. und mit einer Kollegin, die als Friedensfachkraft im Rahmen des Zivilen Friedensdienstes (ZFD) vor Ort tätig war, erhalten. „Wenn ISAF geht, sind wir 24 Stunden später auch weg“, lautete der Tenor unserer GesprächspartnerInnen in Bezug auf Verbleib oder Abzug der ISAF-Einheiten in Afghanistan.

Zur Ihrer Frage, wie die NROs die Lage in Afghanistan einstufen, möchte ich gerne auf das Positionspapier des Verbandes Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen (VENRO) verweisen. Wie Sie sicherlich wissen, sind „medico international e.V.“ aber auch die Deutsche Welthungerhilfe zwei von insgesamt 106 VENRO-Mitgliedern. VENRO fordert in seinem Positionspapier den Einsatz „Operation Enduring Freedom“ schnellstmöglich zu beenden. Der Einsatz der ISAF-Einheiten wird hingegen als unverzichtbar angesehen. Der Fokus von ISAF soll sich dabei auf den Bereich der militärischen Friedenssicherung beschränken – hierunter fällt z. B. die Entwaffnung so genannter „Warlords“ – und die Wiederaufbauarbeit soll den NROs überlassen werden.

Ich bin mir bewusst, dass in Afghanistan noch viele Schritte gegangen werden müssen, um die humanitäre Lage auf ein zufrieden stellendes Niveau zu bringen. Die angesprochenen „No-go-Areas“ zeigen aus meiner Sicht ganz eindeutig, dass in vielen Teilen Afghanistans erst einmal eine Sicherheitslage durch ISAF-Kontingente und afghanische Sicherheitskräfte geschaffen werden muss, die es NROs ermöglichen, humanitäre Projekte ohne militärischen Schutz durchzuführen.

Von der Notwendigkeit der Luftaufklärung und -überwachung durch den RECCE-Tornado-Einsatz habe ich mich vor Ort überzeugen lassen. Aus meiner Sicht leisten die Aufklärungsflüge einen sehr wichtigen Beitrag zur Stabilisierung Afghanistans. Wenn Sie sich genauer dafür interessieren, warum ich dem ISAF-Einsatz zugestimmt habe, empfehle ich Ihnen meine persönliche Erklärung, die Sie auf meiner Internetseite finden.

Sehr geehrter Herr Karsten,
ich bin froh, dass ich die Chance hatte, nach Afghanistan zu fliegen und mir vor Ort ein eigenes Bild zu machen und meine Kenntnisse durch in Afghanistan lebende Menschen zu erweitern. Neben den vielfältigen Gesprächen war es für mich durchaus bedeutungsvoll, allein den vielen Sand und die Kargheit eines großen Teils der ländlichen Gebiete, die an die Felsen gebauten Wohnunterkünfte (nach hiesigen Verhältnissen ärmliche Hütten), die Massivität und Zerklüftung des Hindukusch zu sehen. Wer weiß denn in Deutschland schon von der Größe Afghanistans? Zur Region des PRT Kundus gehören sieben Distrikte, die zusammen so groß sind wie der Kosovo und von „nur“ ca. 2,3 Mill. EinwohnerInnen bewohnt werden. In der gesamten Nordregion leben etwa 7 Mio. Menschen. Eine Autofahrt von Masar-i-Sharif nach Feyzabad dauert 14 Stunden. Ich habe die SanitäterInnen von Fahrten in die Dörfer reden hören, wo für 200 km mindestens fünf Stunden gebraucht werden (wenn alles gut geht). Die meisten Menschen in Deutschland – wie ich selber ja auch – kennen die Größenordnungen in Afghanistan nicht und können somit nur schwer ermessen, welche Notwendigkeit eine funktionstüchtige Verkehrsinfrastruktur hat. Auch diese Größenordnungen machen das Ausmaß der Herausforderungen deutlich, vor der die internationalen ISAF-Kräfte und die zivilen Aufbauhelferinnen und Aufbauhelfer auch zukünftig noch stehen.

Mit freundlichen Grüßen

Mechthild Rawert