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Mechthild Rawert
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Frage von Michael E. •

Frage an Mechthild Rawert von Michael E. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Liebe Frau Rawert!

Ihr Interview mit der TAZ vom 3.9.07 veranlasst mich zu folgenden Fragen:

1. Welche zivilen und nichtstaatlichen Organisationen, die in Afghanistan Aufbauarbeit leisten, befürworten den Einsatz deutscher Soldaten (OEF, ISAF bzw. Tornados) im Land?

2. Was halten Sie von der Forderung vieler Aufbauhelfer, militärische und humanitäre Einsätze klar zu trennen, wie es früher selbstverständlich war?

3. Worauf baut Ihre Gewissheit, dass die Daten der Aufklärungsflüge nicht für Bombenangriffe verwendet werden? Halten Sie die Aussage von Soldaten, die an dem Einsatz teilnehmen, für glaubwürdig? Dürfen die Soldaten überhaupt eine abweichende Meinung äußern?

Mit freundlichem Gruß
Michael Erhard, Erlangen

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Erhard,

herzlichen Dank für Ihre Fragen bezüglich meines Interviews in der taz.

Der Deutsche Bundestag hat am 12. Oktober mit großer Mehrheit den beiden ISAF-Mandaten zugestimmt: Zum einen der Verlängerung des Einsatzes der Bundeswehr im Rahmen der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe (ISAF) und zum anderen der Fortsetzung des ISAF-Tornado-RECCE-Einsatzes (vgl. Plenarprotokoll 16/119). Ich habe in einer persönlichen Erklärung ausführlich meine Beweggründe dargelegt, warum ich beiden Mandaten zugestimmt habe. Ich lade Sie ein, diese auf meiner Website nachzulesen.

Die Abstimmung des dritten Afghanistan-Mandates, der deutschen Beteiligung an der Operation Enduring Freedom (OEF), findet erst im November statt. Eine Unterscheidung der drei Mandate ist Voraussetzung für eine sachgerechte Beantwortung Ihrer Fragen hinsichtlich der Grundlagen der zivil-militärischen Einsätze der Bundeswehr in Afghanistan und ihrer Wirkungen.

Ich stimme Ihnen zu, dass es sowohl der deutschen als auch der afghanischen Bevölkerung immer schwerer fällt, zwischen den sicherheitschaffenden und das afghanische Staatswesen stärkenden Maßnahmen einerseits und den terrorismusbekämpfenden Aktionen andererseits zu unterscheiden. Aus diesem Grunde habe ich auch am 18. Oktober eine sehr gut besuchte Veranstaltung im Reichstag zusammen mit meinem Fraktionskollegen Niels Annen durchgeführt. Wir konnten einige der grundlegenden Fragen „Wie können die in der deutschen Öffentlichkeit als vermeintliche Gegensätze diskutierten Konzepte „Sicherheit“ und „Wiederaufbau und nachhaltige Entwicklung“ überwunden werden?“, „Welche Elemente muss eine ISAF und OEF übergreifende deutsche Afghanistan-Strategie umfassen?“ durchaus beantworten.

Dem SPD-Bundesparteitag, Hamburg, liegt der Antrag „Afghanistan: Eigenverantwortung stärken – internationale Verpflichtungen einhalten – Strategie anpassen“ vor, der wesentliche Zukunftsaufgabenstellungen enthält.

Doch konkret zu Ihren Fragen:

1. Während meines Besuches haben mir sowohl Vertreterinnen und Vertreter deutscher als auch afghanischer Nicht-Regierungsorganisationen (NRO) versichert, dass Frieden, Wiederaufbau und Entwicklung nur gelingen kann, wenn die Sicherheitslage in Afghanistan nachhaltig gestärkt und die Gewaltspirale durchbrochen wird. Die Fortsetzung des ISAF-Mandates mit seinen zivil-militärischen Aspekten gilt als notwendige Voraussetzung.

Rechtzeitig zur Abstimmung haben alle MdBs ein Positionspapier von VENRO - Verband Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen e.V. erhalten. Gerade caritas international, die Deutsche Welthungerhilfe, Malteser International, medico international, medica mondiale und Misereor haben durch ihre nachhaltigen zivilgesellschaftlichen Aktivitäten einen engen Kontakt zur afghanischen Bevölkerung aufgebaut und tragen wesentlich zum zivilen Wiederaufbau und zur Armutsbekämpfung bei. Sie fordern von der Bundesregierung zwar die schnellstmögliche Einstellung von OEF, fordern auch, dass die ISAF-Verbände sich auf die militärische Friedenssicherung konzentrieren und den Wiederaufbau den NRO überlassen. Im Fokus der ISAF-Arbeit solle die Entwaffnung der „Warlords“, etc. stehen. Und dennoch: Die Präsenz von ISAF-Einheiten gilt ihnen derzeitig (noch) als unverzichtbar.

2. Das deutsche ISAF-Engagement ist ein zivil-militärisches mit dem Ziel, die Eigenverantwortung Afghanistans zu stärken. Wir sollten nicht vergessen, dass die Aufgabe des „state building“ noch keineswegs abgeschlossen ist; Wiederaufbau ist häufig auch Neuaufbau. Hierzu gehören nicht nur der Ausbau von Schulen und Universitäten, von Krankenhäusern, dem Erstellen einer Infrastruktur zur sauberen und nicht gesundheitsschädlichen Wasserversorgung oder die verkehrstechnische Anbindung in einem Land, welches wesentlich größer als Deutschland ist. Unabdingbar sind auch der Aufbau von Rechtsstaatlichkeit, eines funktionierenden Justizwesens und die Ausbildung von Polizei und Armee. Hier vollbringen ISAF-SoldatInnen aber auch PolizeiausbilderInnen eine sicherlich verbesserungsfähige aber trotzdem grundlegende Leistung: Wiederaufbau und Entwicklung bzw. Armutsbekämpfung ist ohne Sicherheit nicht möglich, gleichzeitig wird es aber ohne Wiederaufbau und nachhaltige auch bei der Bevölkerung ankommende Entwicklung keine dauerhafte Sicherheit geben.

Im Grundsatz unterstütze ich die Trennung von humanitären und militärischen Einsätzen aus tiefster Überzeugung. Ich habe aber auch gelernt, dass sich vieles in Schritten, manches Mal auch kleinen Schritten, vollzieht.

Deutschland ist der fünftgrößte Geber in Afghanistan und ich befürworte ein ausgewogeneres Verhältnis unserer Finanzmittel. Ich unterstütze den im November 2006 von der NATO beschlossenen Strategiewechsel hin zu einer Verstärkung des zivilen Wiederaufbaus sehr. Dieser Beschluss ist wesentlich durch deutsche Diplomatie erzielt worden. Ich unterstütze weiterhin mit Nachdruck, dass wir unsere Mittel für den zivilen Aufbau und den Stabilitätspakt Afghanistan in 2007 von 80 auf 100 Millionen und in 2008 auf 125 Millionen anheben. Um das Vertrauen der Zivilbevölkerung Afghanistans, ja auch das Vertrauen der deutschen Bevölkerung, in unser Engagement zu stärken, müssen mehr Gelder lokal, direkt vor Ort ankommen. Die afghanische Bevölkerung muss in ihrem ganz konkreten Lebensumfeld spüren, dass es zu Verbesserungen ihrer individuellen und familiären Lebenssituation kommt.

3. Meine Gewissheit beruht auf zahlreichen Informationen in Deutschland als auch durch praktische „Anschauung vor Ort“ in Afghanistan. Hier wie dort verbunden mit zahlreichen Gesprächen mit Generälen, SoldatInnen in den unterschiedlichen Funktionen (Flieger, Bildanalysten, u.a.) aber auch Journalisten vor Ort und VertreterInnen von afghanischen und deutschen Nicht-Regierungsorganisationen.

Aufgrund vielfältiger Vorbehalte habe ich dem RECCE-Tornado-Einsatz im März nicht zugestimmt – ebenso wie die mich begleitenden SPD-Fraktionskollegen. Wir waren also voller Vorbehalt gegen den Tornado-Einsatz, waren aber auch offen genug für neue Informationen: Die technische Ausstattung der Tornados schließt aus, dass die Tornados aktiv zur unmittelbaren Beteiligung an Kampfhandlungen benutzt werden können und damit nicht zum Tod unbeteiligter ZivilistInnen beitragen. Die Übermittlung sogenannter Echt-Zeit-Informationen ist nicht möglich: Bei Kampfhandlungen am Boden ist der Luftraum für Aufklärungstornados, die nur über Bewaffnung für den Selbstschutz verfügen, gesperrt. Darüber hinaus schließen der Zeitraum, der von der getätigten Luftaufnahme über den Rückflug zur Basis, die Entwicklung der Aufnahmen und deren Analyse sowie die Entscheidung über deren Verwertbarkeit einen Nutzen für aktuelle Kampfhandlungen nach meiner Anschauung vor Ort definitiv aus. Die Kontrollmechanismen zum Ausschluss einer mandatswidrigen Weitergabe der Analysen waren überzeugend.

Sehr geehrter Herr Erhard,

ja, ich halte die Aussagen der SoldatInnen für glaubwürdig. Ich habe in meinem Leben nicht sehr viel mit der Bundeswehr zu tun gehabt, muss aber sagen, dass ich nun sehr fest davon überzeugt bin, dass das Konzept „BürgerIn in Uniform“ in der Bundeswehr tatsächlich greift. Ich habe keinerlei Duckmäusertum feststellen können. Vielmehr habe ich jüngere und ältere Männer und Frauen kennengelernt, die den ihnen von der bundesrepublikanischen Bevölkerung – stellvertretend durch uns ParlamentarierInnen – erteilten Auftrag mit Umsicht ausüben. Dieses gilt sowohl für die Soldatinnen und Soldaten als auch für die zivilen Aufbauhelferinnen und Aufbauhelfer.

Mit freundlichen Grüßen

Mechthild Rawert