Frage an Mechthild Rawert von Astrid W. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Rawert,
wie werden Sie abstimmen, wenn das Handelsabkommen mit Kanada CETA im Bundestag ratifiziert werden soll?
Seit der Friedensbewegung hat keine andere Frage die Menschen so zahlreich in Demonstrationen auf die Straße getrieben wie diese - wie wollen wir eine faire Handelspolitik gestalten? Über 320 000 Demonstrantinnen; 3,284 Millionen haben sich an der Bürgerinitiative beteiligt, die von der EU Kommission zu unrecht nicht zugelassen wurde. Im EU Parlament haben auch Sozialdemokratinnen aus Berlin und Brandenburg dem Abkommen zugestimmt. Wie wird die SPD Fraktion im Bundestag sich dazu verhalten?
Warum sollen Investoren Sonderklagerechte in Schiedsverfahren oder sog. Investitionsgerichtshöfen bekommen, Arbeitnehmerinnen bei der Verletzung von internationalen Verträgen des ILO (international Labour Organisation) aber nicht? Warum wird erstmals in CETA eine sog. Negativliste akzeptiert, womit auch heute noch unbekannte Fragestellungen der Deregulierung unterworfen werden? Wie sollen künftige Parlamente ihre Gestaltungsspielräume zurückgewinnen, wenn der Vertrag einmal abgeschlossen wurde? Warum soll in Ländern der dritten Welt durch Handelsabkommen wie bisher weiter die Armut gefördert und damit Fluchtursachen gesetzt werden?
Sehr geehrte Frau Westhoff,
ich bedanke mich für Ihre Frage vom 25. August zum Freihandelsabkommen CETA. TTIP, CETA und Jefta sind die bekanntesten EU-Handelsabkommen, rund 20 weitere werden derzeit angebahnt. Es ist also notwendig eine grundsätzliche Debatte über die Ausrichtung der EU-Handelspolitik zu führen.
In unserem Regierungsprogramm "Es ist Zeit für mehr Gerechtigkeit: Zukunft sichern, Europa stärken" erklären wir im Kapitel "Es ist Zeit für mehr Frieden und Stabilität in der Welt": Die SPD setzt sich für fairen Handel ein. Handelspolitik ist nicht nur ein Instrument der Wirtschaftsförderung. Im Kern geht es um die Frage, nach welchen Regeln wir in einer globalisierten Welt leben wollen.
"Bilaterale Handelsabkommen der EU mit wichtigen Partnern sind zu einer immer stärker genutzten Alternative geworden. Unser Ziel ist es, in allen Handels-, Investitions- und Wirtschaftspartnerschaftsabkommen Regeln für die verbindliche Einhaltung und Umsetzung menschenrechtlicher, ökologischer, verbraucherpolitischer und sozialer Standards wie der ILO-Kernarbeitsnormen mit konkreten Beschwerde-, Überprüfungs- und Sanktionsmechanismen zu vereinbaren.
Wir wollen perspektivisch einen unabhängigen internationalen Handelsgerichtshof etablieren, um das Primat der Politik durchsetzen. Die Verhandlungen mit den USA über ein Transatlantisches Freihandels- und Investitionsabkommen (TTIP) zeigen, dass ein Abschluss nach diesen Maßgaben derzeit nicht erreichbar ist. Hingegen ist es in intensiven Verhandlungen mit der neuen kanadischen Regierung gelungen, im Abkommen zwischen EU und Kanada (CETA) zukunftsweisende Regeln für den Schutz der Arbeitnehmerrechte, der öffentlichen Daseinsvorsorge und für einen fortschrittlichen Investitionsgerichtshof zu vereinbaren. Private Schiedsgerichte sind damit ausgeschlossen. Dies muss auch für alle künftigen Handelsabkommen der EU gelten. CETA muss als gemischtes Abkommen sowohl durch das Europäische Parlament als auch durch die nationalen Parlamente ratifiziert werden. Im Zuge dieser parlamentarischen Kontrolle werden wir alle Aspekte einer sorgfältigen Prüfung unterziehen. Wir werden auch die Partnerschaftsabkommen der EU mit den afrikanischen Staaten (Economic Partnership Agreements) daraufhin prüfen, ob sie der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung in den betroffenen Entwicklungsländern dienen oder Abhängigkeiten weiter zementieren. Wir wollen Afrika bei der Schaffung einer afrikanischen Freihandelszone unterstützen.
Um schrittweise die sich weiter verschärfende Ungleichheit abzubauen, braucht es einen neuen umfassenden Ansatz von internationaler Steuergerechtigkeit. Damit werden die Länder auch dabei unterstützt, ausreichend einheimische Ressourcen etwa für den Ausbau der Bildungs- und Sozialsysteme zu mobilisieren. Steuerhinterziehung und -vermeidung sowie Finanzverkehr zu illegalen Zwecken müssen international bekämpft werden. Wir wollen mehr Transparenz in Form einer öffentlichen und länderbezogenen Berichtspflicht über Gewinne und darauf gezahlte Steuern für multinational agierende Unternehmen. Wir setzen uns für weitreichende internationale Regeln und eine verstärkte Zusammenarbeit auch in internationalen Organisationen wie den Vereinten Nationen, der Weltbank, dem Internationalen Währungsfonds und den G20 ein."
Wir haben dabei - auf EU- und Nationalebene - sowohl die Umsetzung des Pariser Klimaabkommens als auch die demokratische und wirtschaftliche Stärkung ärmerer Länder intensiv im Blick.
Doch nun zu CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement):
Sie haben Recht, viele Menschen - so auch ich - sind im vergangenen Herbst für faire Handelsabkommen auf die Straße gegangen und auch in der SPD hat es dazu eine sehr lange und intensive Debatte gegeben. Meine Haltung können Sie nachlesen unter "Fairer Handel statt Freihandel ( http://www.mechthild-rawert.de/inhalt/2016-09-22/fairer_handel_statt_freihandel ) auf meiner Website.
Am 15. Februar 2017 hat das Europäische Parlament CETA, dem neuen Handelsabkommen zwischen der EU und Kanada, zugestimmt. Bevor es allerdings vollständig in Kraft treten kann, müssen auch die Parlamente der Mitgliedstaaten ihre Zustimmung geben. Dieses werden nun die Abgeordneten der neuen 19. Legislatur tun - deshalb ist das Ergebnis der Bundestagswahl am 24. September auch hierfür sehr wichtig. Die SPD muss stärkste Partei werden, um an entscheidender Stelle auch hier politische Ziele durchzusetzen.
Das vom EU-Parlament verabschiedete CETA Abkommen beinhaltet - aufgrund der Initiative der SPD, der SPD-Bundestagsfraktion und der europäischen Sozialdemokratie - bereits viele Verbesserungen, die zu Beginn des Prozesses nicht möglich schienen. Die ursprünglich vorgesehenen privaten Schiedsgerichte wurden verhindert, die Daseinsvorsorge gesichert, Arbeitnehmer*innenrechte im Abkommen verankert, das Vorsorgeprinzip erhalten und Klagegründe weit eingegrenzt.
Fest steht: Das CETA erstreckt sich nicht auf öffentliche Dienste. Deshalb
* können die EU-Länder ihre staatlichen Monopole behalten,
* verpflichtet das CETA nicht zur Privatisierung oder Deregulierung öffentlicher Dienstleistungen wie Wasserversorgung, Gesundheitsfürsorge und Bildung,
* können die EU-Länder weiterhin
o selbst entscheiden, welche Dienste universell und öffentlich bleiben sollen und
o diese subventionieren.
Zahlreiche EU-Länder haben in der Vergangenheit Abkommen geschlossen, die ein unter der Bezeichnung. Das CETA ersetzt - auf Druck der SPD und des damaligen Wirtschaftsministers Sigmar Gabriel - das von uns viel kritisierte Investor-Staat-Streitbeilegung (ISDS) bekannte Verfahren für die Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investoren und Staaten durch ein neues und besseres Investitionsgerichtssystem (ICS).
Das CETA
* enthält Investitionsschutzmaßnahmen
* wahrt das Recht der Regierungen, im öffentlichen Interesse regelnd tätig zu werden, auch dann, wenn sich entsprechende Regelungen auf ausländische Investitionen auswirken
Das neue Investitionsgerichtssystem wird
* öffentlich sein
* nicht auf Ad-hoc-Schiedsgerichten basieren
* mit professionellen und unabhängigen Richtern arbeiten,
o die von der EU und Kanada ernannt wurden und
o durch einen strengen Verhaltenskodex an die höchsten ethischen Normen gebunden sind
* transparent arbeiten, indem sie
o Anhörungen der Öffentlichkeit zugänglich machen und
o während der Fallbearbeitung eingereichte Dokumente veröffentlichen
Das CETA wird
* die Gründe beschränken, aus denen ein Investor einen Staat verklagen kann
* öffentliche Stellen davor schützen, Rechtsvorschriften ändern oder Entschädigungen zahlen zu müssen.
Die Diskussionen gerade zum Investitionsgerichtssystem wird in vielen EU-Ländern weiter öffentlich diskutiert. Deshalb gilt, dass das Investitionsgerichtssystem erst dann anzuwenden ist, wenn alle EU-Länder ihre nationalen Ratifizierungsverfahren abgeschlossen haben.
Als Mitglied der Parlamentarischen Linken werde ich mich persönlich im Bundestag dafür einsetzen, dass wir das EU-Abkommen noch einmal gründlich debattieren, um somit den Forderungen der Zivilgesellschaft in Deutschland Gewicht zu verleihen. Ich will fairen Handel, will aber auch den Schutz unserer demokratischen und sozialen Standards gewährleisten. Das betrifft auch die Sicherung der Existenz von gemeinwohlorientierten Einrichtungen.
Die Parlamentarische Linke hat klare Bedingungen beschlossen, die am Ende Maßstab für jeden SPD-Abgeordneten sind. Ich bin nach wie vor der Meinung: Wenn diese Forderungen nicht erfüllt sind, werde ich CETA nicht zustimmen. Dazu gehören u.a.:
* Im Bereich des Investorenschutzes muss mit Blick auf Rechtstatbestände wie "faire und gerechte Behandlung" und "indirekte Enteignung" sichergestellt werden, dass keine Bevorzugung von ausländischen gegenüber inländischen Investor*innen oder Bürger*innen stattfindet. Investorenschutz sollte somit auf die Diskriminierung gegenüber inländischen Investoren beschränkt werden.
* Unter Bezugnahme auf das Cartagena-Protokoll und die Rechtsposition der EU im WTO-Verfahren über Hormonfleisch zwischen der EU und Nordamerika muss unmissverständlich und rechtsverbindlich erklärt werden, dass die EU im Rahmen des CETA-Abkommens in keiner Weise vom primärrechtlich verankerten Vorsorgeprinzip (Art. 191 AEUV) abweicht.
* Im Rahmen des Beratungsprozesses ist ein Sanktionsmechanismus bei Verstößen der Partner gegen Arbeits-, Sozial- und Umweltstandards zu entwickeln. Die acht ILO-Kernarbeitsnormen müssen ratifiziert werden. Der soziale Dialog ist effektiv auszugestalten, sodass das Verfahren zur Durchsetzung von Standards wirkungsvoll genug ist und durch Sanktionsmöglichkeiten ergänzt wird.
* Es muss sich aus dem CETA-Vertrag unmissverständlich ergeben, dass bestehende und künftig entstehende Dienstleistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge nicht vom Vertrag erfasst werden.
Stärken Sie mich mit Ihrer Erststimme, stärken Sie die SPD mit ihrer Zweitstimme. Für eine faire Handelspolitik. Für die Gewährleistung demokratischer und sozialer Standards in Deutschland.
Wahlkreisbüro
Mechthild Rawert, MdB