Frage an Mechthild Rawert von Jürgen M. bezüglich Finanzen
Sehr geehrte Frau Rawert,
wie gedenken Sie zum 3. Hilfspaket für Griechenland abzustimmen? Angesichts der überwältigenden Ablehnung in der Bevölkerung erwarte ich persönlich eine Ablehnung dieses Hilfspakets und den Austritts Griechenlands aus der Eurozone! Daher erwarte ich von Ihnen ebenfalls mit NEIN im Bundestag zu stimmen!
Mit freundlichen Grüßen
J. Münstedt
Bln. Tempelhof
Sehr geehrter Herr Münstedt,
vielen herzlichen Dank für Ihre Frage zu meinem Abstimmungsverhalten zur Hilfe für Griechenland. Ich habe mit Ja gestimmt.
Zunächst möchte ich Sie gern auf die Umfrage des ARD-DeutschlandTrends vom 17.7.2015 aufmerksam machen, in der 46 Prozent die Hilfe für Griechenland befürworten, 49 Prozent ablehnen. Bei den SPD-WählerInnen bejahen 50 Prozent die Hilfe, während 47 Prozent ablehnen.
Meine Gründe für die Zustimmung habe ich in einer Persönlichen Erklärung dargelegt, die ich bereits direkt nach der Abstimmung auf meiner Webseite veröffentlicht habe. Zugleich habe ich in der Erklärung deutlich gemacht, welche Probleme ich sehe.
http://www.mechthild-rawert.de/inhalt/2015-07-17/pers_nliche_erkl_rung_zur_abstimmung_ber_das_griechenland_progra
Mit freundlichen Grüßen
Mechthild Rawert
Gerne dokumentiere ich meine Persönliche Erklärung auf Abgeordnetenwatch:
Ich stimme der Aufnahme von Verhandlungen über ein ESM-Programm für die Hellenische Republik zu. Ich sehe darin - auf Grundlage der von den Regierungschefs der Eurogruppen-Mitglieder am 12./13. Juli 2015 erzielten Einigung (Euro Summit Statement vom 12. Juli 2015 - SN 4070/15) die einzig verbliebene Möglichkeit, die Mitgliedschaft Griechenlands im gemeinsamen Währungsraum zu wahren.
Ich bin der festen Überzeugung, dass die Europäische Union einen unverzichtbaren Beitrag zu Frieden, Völkerverständigung und gegenseitiger Solidarität leistet. Die Gemeinschaftswährung ist Ausdruck dieser europäischen Integration und von großer ökonomischer Bedeutung für sämtliche Mitgliedstaaten des Währungsraums und der Europäischen Union insgesamt. Die Menschen in Europa stehen zum Euro - auch die Griechinnen und Griechen.
Ich verbinde mit der Erklärung der Eurogruppe die Hoffnung, dass es durch eine Umstrukturierung der erdrückenden Staatsverschuldung Griechenlands gelingt, eine langfristige Tragfähigkeit der Schuldenlast zu erreichen und der Hellenischen Republik einen Abbau der Verschuldung in sozial und ökonomisch verträglicher Weise und einen Aufbau von Wachstum zu ermöglichen. Ob dies gelingt, werden die Verhandlungen um das ESM-Programm zeigen. Mittels einer Brückenfinanzierung und des zu verhandelnden ESM-Programms müssen die Liquidität des griechischen Finanzsektors wiederhergestellt und die Liquiditätsengpässe, unter denen die Menschen bitterlich leiden, beseitigt werden.
Ich bin mir der sozialen Situation - der hohen Arbeitslosigkeit, der Armut und der unzureichenden medizinischen Versorgung der Menschen - in Griechenland sehr bewusst. Die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten sind aufgerufen, mit geeigneten Maßnahmen das Leid der griechischen Bevölkerung zu beenden. Ich stelle fest, dass die Krise und die bisher dominierende Austeritätspolitik zu einer Verschärfung der sozialen Situation insbesondere zulasten der Menschen mit geringem Einkommen geführt haben: Lohnsenkungen um fast 40 %, durchschnittliche Rentensenkungen um 48 %, drastische Einkommensverluste der ärmsten Haushalte, eine Steigerung der Arbeitslosigkeit auf 27 %, bei Jugendlichen auf über 50 % und die steigende Zahl der Suizide um rund 35 % sind Ausdruck dieser dramatischen Entwicklung.
Angesichts dieser sozialen Verwerfungen muss das ESM-Programm durch dreierlei Maßnahmen flankiert sein: Eine Umschuldung zur Erreichung nachhaltiger und verträglicher Schuldentragfähigkeit, ein Wachstumsprogramm mit Impulsen zur Stabilisierung der griechischen Volkswirtschaft und sozial ausgleichende Reformen durch die Hellenische Republik im Bereich der Besteuerung und der Korruptionsbekämpfung. Mit den Reformen müssen auch die Strukturen der Verwaltung verändert werden.
Gleichwohl lehne ich einzelne durch die Einigung der Eurogruppe verlangte Maßnahmen ab. Die Privatisierung bestimmten Staatsvermögens wie etwa der Stromversorgungsinfrastruktur ist nicht geeignet, die Stabilisierung Griechenlands zu gewährleisten, sondern droht stattdessen im Interesse privater Investoren eine Veräußerung unter Wert zu erzwingen.
Ich erkenne an, dass die Staatseinnahmen Griechenlands erhöht werden müssen, insbesondere um Kürzungen sozialer Leistungen und Infrastruktur zu verhindern. Dafür sind die Schaffung eines gerechten Steuersystems und die Bekämpfung von Korruption geeignete Mittel.
Bereits im ersten Programm von Eurogruppe und IWF im Jahr 2010 fehlte ein Schuldenschnitt. Die SPD-Fraktion hatte deshalb diesem einseitig auf die Kürzung von Arbeits- und Sozialmaßnahmen und zu wenig auf Investitionen ausgerichteten Programm nicht zugestimmt. Heute zeigen sich die Konstruktionsfehler der Griechenlandprogramme umso deutlicher. Drei Viertel aller Hilfskredite flossen direkt an Banken und andere Gläubiger, die Privaten wurden mit Steuergeld herausgekauft.
In Deutschland haben wir auf die Finanz- und Wirtschaftskrise eine vernünftige, von der SPD geprägte Politik gemacht: Keine Sparpakete, keine Lohnkürzungen, keine Rentenkürzung, keine Ausgabenkürzung des Staates, keine Suppenküchen, keine Privatisierungen, sondern Konjunkturprogramme. Deutschland kam so aus der Krise. Griechenland soll diese Möglichkeiten auch bekommen.
Wir dürfen nicht zulassen, dass in der Europäischen Union und der Eurogruppe gegenseitiges Vertrauen verloren geht und nationale Interessen Konflikte nicht abzusehenden Ausmaßes auslösen. Zunehmendem Nationalismus trete ich entschieden entgegen.
Es ist das Verdienst der sozialdemokratisch und sozialistisch regierten Mitgliedstaaten, den drohenden Zerfall der Eurozone und der Europäischen Union verhindert zu haben. Während einige konservative Politikerinnen und Politiker den Kurs der Austeritätspolitik auf Kosten eines Austritts Griechenlands durchsetzen wollten, haben die sozialdemokratischen Regierungen Frankreichs und Italiens sowie die sozialdemokratischen Mitglieder der Bundesregierung dafür gesorgt, die verantwortungslose Inkaufnahme des Ausscheidens Griechenlands zu verhindern.
Die Europäische Union muss durch eine gemeinsame Sozial- und Wirtschaftspolitik und die Stärkung europäischer Kompetenzen enger zusammenwachsen. Ich habe die Erwartung, dass parallel zum ESM-Programm ein gemeinsames Umdenken im Sinne einer europaweiten Sozial- und Wirtschaftspolitik erfolgt, die insbesondere die Beseitigung der makroökonomisch schädlichen Leistungsbilanzungleichgewichte in den Blick nimmt und zu einer verbesserten Regulierung der Kapitalmärkte beiträgt. Das zunehmende soziale Gefälle und die Auseinanderentwicklung von Einkommen und Vermögen betreffen die gesamte Europäische Union jenseits nationalstaatlicher Grenzen.
Um das Ziel, die Gemeinschaft Europas zusammen zu halten, zu realisieren, darf der verhandelnde Vertreter der Bundesregierung im ESM-Gouverneursrat den Gedanken eines "Grexit" auf keinen Fall verfolgen.
Bei meiner Entscheidung geht es nicht nur um Griechenland - es geht auch um Deutschland. Vor allem aber geht es um ein Europa, welches basiert auf Freiheit und Demokratie, auf Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten. In diesem Europa, in dem jeder Mensch die gleiche Würde hat, wollen wir gemeinsam in Frieden mit unseren Nachbarn leben.