Frage an Mechthild Rawert von Jörn H. bezüglich Recht
Sehr geehrte Frau Rawert,
auf Ihrer Internetseite machen Sie sich gegen Genitalverstümmelung (FGM) stark. Gleichzeitig haben Sie dem §1631d BGB zugestimmt. Wie passt dies aus Ihrer Sicht zusammen?
Wie vorherzusehen war, ist §1631d BGB trotz §226a StGB ein Einfallstor auch für die FGM. Auf dem 70. Juristentag etwa stellte die Rechtswissenschaftlerin Tatjana Hörnle fest, dass "bei der Auslegung von § 226a StGB zu beachten [ist], dass nicht alle Veränderungen an weiblichen Genitalien unter „verstümmeln“ zu fassen sind", nämlich dann nicht, "wenn der Eingriff mit der Beschneidung von Jungen vergleichbar ist (etwa wenn nur Vorhaut der Klitoris betroffen ist)".
Sie haben also selbst dazu beigetragen, dass Mädchen auch zukünftig in Deutschland an den Gentialien beschnitten werden dürfen. Die Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes weist zurecht darauf hin, dass Staaten wie Indonesien, die vom UN-Menschenrechtsrat zu einem völligen FGM-Verbot aufgefordert wurden, sich gegen eine "Nulltoleranz"-Regelung wehren und Regelungen wie der §1631d BGB die Arbeit erheblich erschwert.
Weiterhin hätte ich gerne gewusst, warum Sie auf Ihrer Facebook-Seite darauf angesprochen, Kommentare schlicht und ergreifend löschen und die Fragesteller blockieren. Möchten Sie mit Ihrer eigenen Entscheidung nicht mehr konfrontiert werden?
Sehr geehrter Herr Hoos,
herzlichen Dank für Ihre Frage, die ich gern wie folgt beantworten möchte.
Die Entscheidung aus dem Dezember 2012 war eine der schwierigsten Entscheidungen, die ich als Abgeordnete des Deutschen Bundestages zu treffen hatte. Hier trafen - und treffen - zwei Grundrechte aufeinander und mussten abgewogen werden. Ich habe damals über Monate hinweg sehr viele Gespräche um das Für-und Wider geführt und in einem Interview vorausgesagt, dass die Abstimmung im Deutschen Bundestag nicht die gesellschaftliche Debatte ersetzen kann und das Thema zurück in den öffentlichen Diskurs kommen wird. Deshalb bin ich Ihnen dankbar für Ihre Frage.
Ich betone mit Nachdruck, dass der Deutsche Bundestag KEINESFALLS Vorschub für weibliche Genitalverstümmelung geleistet hat. Die Gleichsetzung der von Ihnen erwähnten Rechtswissenschaftlerin ist unzulässig. Deutlich wird auch eine Unkenntnis dessen, was weibliche Genitalverstümmelung und männliche Beschneidung für die Mädchen bzw. Jungen, für die erwachsenen Frauen und Männer bedeutet.
Der § 1631d BGB bezieht sich ausschließlich auf die Beschneidung von männlichen Kindern - dies macht sowohl die Überschrift des Paragrafen als auch Absatz 1 deutlich. Hier der Wortlaut des Paragrafen:
"§ 1631d
Beschneidung des männlichen Kindes
(1) Die Personensorge umfasst auch das Recht, in eine medizinisch nicht erforderliche Beschneidung des nicht einsichts- und urteilsfähigen männlichen Kindes einzuwilligen, wenn diese nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt werden soll. Dies gilt nicht, wenn durch die Beschneidung auch unter Berücksichtigung ihres Zwecks das Kindeswohl gefährdet wird.
(2) In den ersten sechs Monaten nach der Geburt des Kindes dürfen auch von einer Religionsgesellschaft dazu vorgesehene Personen Beschneidungen gemäß Absatz 1 durchführen, wenn sie dafür besonders ausgebildet und, ohne Arzt zu sein, für die Durchführung der Beschneidung vergleichbar befähigt sind."
Unabhängig von der Debatte um die männliche Beschneidung gab es schon seit einigen Jahren die Debatte zur strafrechtlichen Verfolgung der weiblichen Genitalverstümmelung mit der Fragestellung ob FGM eine eigene Strafrechtsnorm braucht, um einen gesellschaftlichen Konsens der Ächtung der weiblichen Genitalverstümmelung zu erreichen.
Wir SozialdemokratInnen hatten uns für eine Aufnahme der weiblichen Genitalverstümmelung in den §5 StGB (Auslandstaten inländischer Rechtsgüter) ausgesprochen, konnten uns damit allerdings nicht gegen die Koalitionsmehrheit durchsetzen. Für uns wäre dies ein bedeutenderer Beitrag für die öffentliche Diskussion und Ächtung der weiblichen Genitalverstümmelung gewesen. Denn damit wäre klar gestellt worden, dass auch Taten die im Ausland geschehen, hier unter Strafe stehen.
Entstanden ist im Endeffekt der §226a StGB: In der Begründung zum Gesetzesvorhaben wird explizit dargelegt was unter Verstümmelung zu verstehen ist. In der entsprechenden Drucksache 17/13707 vom 4.6.2013 heißt es:
"Die Regelung erfasst die Verstümmelung der äußeren weiblichen Genitalien in einer eigenen Strafnorm. Tathandlung ist die Verstümmelung der äußeren Genitalien einer weiblichen Person. Davon sollen die Erscheinungsformen der Beschneidung von Frauen und Mädchen erfasst werden, die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) typisiert umschrieben sind als Klitorisdektomie, Exzision, Infibulation sowie weitere von diesen Erscheinungsformen nicht erfasste Veränderungen an den weiblichen Genitalien, wie Einschnitte, Ätzungen oder Ausbrennen. Für die Erfüllung des Tatbestandes ist es gleichgültig, in welcher Weise die Genitalverstümmelung vorgenommen wird.
Dem Schutz des Straftatbestandes sollen Mädchen und Frauen jeden Alters unterstellt werden, weshalb der altersneutrale Begriff der "weiblichen Person" gewählt wurde. Die Bestimmung beschränkt sich auf Eingriffe an den äußeren Genitalien. Dadurch sollen vor allem medizinische Eingriffe an den inneren Genitalien, insbesondere an den Eierstöcken, Eileitern und der Gebärmutter, von dem Anwendungsbereich ausgenommen werden. Derartige Eingriffe sind nicht Gegenstand religiös oder traditionell bedingter Beschneidungen von Frauen und Mädchen. Im Übrigen unterfallen diese Handlungen, sofern sie nicht medizinisch gerechtfertigt sind, häufig § 226 Absatz 1 Nummer 1, Absatz 2 StGB, weil sie zum Verlust der Fortpflanzungsfähigkeit der Frau bzw. des Mädchens führen.
Durch das Abstellen auf eine Verstümmelung der äußeren weiblichen Genitalien soll klargestellt werden, dass es sich um negative Veränderungen an den äußeren Genitalien von einigem Gewicht handeln muss. Der Begriff "verstümmeln" bedeutet "gewaltsam (um einen Teil, Teile) kürzen, schwer verletzen, entstellen, schlimm/übel zurichten, durch Abtrennung eines/mehrerer Glieder schwer verletzen", vgl. u. a. Duden, Das Synonymwörterbuch, 4. Auflage; Wahrig, Deutsches Wörterbuch, 8. Auflage; Paul, Deutsches Wörterbuch, 10. Auflage. Rein kosmetisch motivierte Eingriffe, wie Intimpiercing oder die in jüngerer Zeit auftretende Erscheinung der "Schönheitsoperationen" im Genitalbereich sollen vom Anwendungsbereich der Strafnorm ausgenommen werden. Diese haben regelmäßig auch nicht die mit der Verstümmelung der weiblichen Genitalien schweren unmittelbaren und mittelbaren körperlichen und psychischen Schäden der betroffenen Mädchen und Frauen zur Folge."
Die Herleitung, die die Rechtswissenschaftlerin Frau Hörnle gemacht hat, ist somit für mich nicht nachvollziehbar.
Zu Ihrer Bemerkung betreffs Facebook: Ich blockiere sehr selten Personen auf meiner Profilseite. Ich behalte mir vor Personen zu blockieren, die rassistische, antisemitische und sexistische Kommentare auf meiner Profilseite hinterlassen oder für Parteien und Vereinigungen werben, die als rechtsextrem oder -populistisch eingestuft werden können. Zudem sperre ich Personen, die andere mit ihren Kommentaren herabwürdigen und beleidigen. Bei der Kontrolle meines Facebook-Accounts konnte ich feststellen, dass Sie nicht zu den blockierten Personen gehören.
Mit freundlichen Grüßen
Mechthild Rawert