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Mechthild Rawert
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Frage von Tobias S. •

Frage an Mechthild Rawert von Tobias S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Rawert,

seit Mitte letzten Jahres ist die NSA-Affäre in aller Munde, jedenfalls in journalistischen Erzeugnissen. In der Realität des Bundestages scheint dieser Vorfall kaum eine Rolle zu spielen und das wundert mich doch sehr. Sollte das Ausmaß, der bislang bekannt gewordenen, Unternehmungen nicht zu einer größeren Empörung führen? Sollte nicht jeder Vertreter des Volkes aufmerken, Anfragen stellen und seinen Unmut über diese Rechtsbrüche kund tun und vor allem, sollte nicht auch jeder, dem demokratischen Geister verpflichtete Politiker einen Unmut gegenüber solch einem Vorgehen entwickeln?

Ich habe das Gefühl, dass immer öfter in der großen Politik Rechtsstaatlichkeit ein vernachlässigbares Gut ist, wenn es um Machtpolitik geht. Siehe Fall Edathy und das Verhalten des ehemaligen IM Friedrich. Eine "wehrhafte" Demokratie ist gut, richtig und wichtig, aber ich befürchte, dass die Demokratien der westlichen Wertegemeinschaft eine starke Tendenz zur Autoaggression aufweisen.

Sie sind eine der Vertreterinnen meines Wahlkreises und ich erhoffe mir von Ihnen eine Stellungnahme zum Thema NSA-Skandal, wie Sie die Ausmaße wahrnehmen und was Sie als Vertreterin meines Wahlkreises dagegen zu tun gedenken und im Züge dessen vielleicht auch eine Zerstreuung meiner Befürchtungen, bezogen auf die demokratischen Entwicklungen der jüngsten Zeit.

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Stieber,

ich bedanke mich herzlich für Ihre Frage!

Das Thema NSA-Skandal wirft, wie Sie richtig dargestellt haben, viele tiefergreifende Fragen zu Werten unserer Demokratie und unseres Rechtsstaates auf. Mit diesen setzten wir uns aber auch stetig auseinander.

Am 16.Oktober 2015 wurde im Bundestag der "Gesetzesentwurf zur Einführung einer Speicherpflicht und einer Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten" (Drucksache 18/5088) ( http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/050/1805088.pdf ) beschlossen. Ich habe gegen diesen Gesetzesentwurf gestimmt: Die anlassbezogene und flächendeckende Speicherung von Telekommunikations- und Ortungsdaten über Wochen und Monate war mir zu weitreichend. Ich habe darin ein undifferenziertes und rechtlich unverhältnismäßiges Überwachungsinstrument gesehen, welches die Grundrechte in unzumutbarer Art einschränkt und alle BürgerInnen unter einen Generalverdacht stellt. Außerdem befürchtete ich, dass damit ein falscher und gefährlicher Paradigmenwechsel angestoßen wird.

Es wurde die Notwendigkeit dieses Gesetzesentwurfs stets mit der Begründung vorangebracht, dass damit ein wichtiger Schritt in Richtung Sicherheit gemacht wird. Ich bin mir aber nicht sicher, ob die erhoffte Beweiskraft wirklich so stark ist. Ziel soll sein, die Erkenntnisgewinnung für die Strafverfolgungsbehörden zu erleichtern. Diese konnten bislang nicht auf alle Verbindungsdaten zugreifen und so entscheidende Verknüpfungen nicht nachvollziehen, um schwere Straftaten zu verhindern. Sicherlich ist es für alle Strafverfolgungsbehörden - und auch für mich - von Interesse, schwere Straftaten aufzuklären und das Begehen schwerer Straftaten zu verhindern. Ich konnte aber nicht überzeugt werden, wie aus dem entstehenden Datenwust die entsprechenden Verbindungsdaten herausgefiltert werden können ohne Unbescholtene in die Ermittlungen zu verwickeln. Ich glaube außerdem nicht, dass mutmaßliche TäterInnen so unbedarft agieren und auf Telekommunikationsanbieter zurückgreifen, die zur Speicherung der Daten verpflichtet sind.

Zudem ist die Sicherheit der gespeicherten Daten nicht geklärt. Der Hackerangriff auf das Datennetz des Deutschen Bundestages zeigt mir, dass letztlich die meisten von uns nicht davor geschützt sind, dass seine oder ihre Daten von fremden, unbefugten Menschen "abgegriffen" werden können und ein Missbrauch der gespeicherten Daten kaum auszuschließen ist.
Ich sehe also den Anspruch "die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit auch in der digitalen Welt zu schaffen und zu bewahren", den wir in der Koalitionsvereinbarung getroffen haben, in Gefahr zu Gunsten eines Verfahrens, das letztlich nur einen kleinen Beitrag zur Sicherheit auf hohe Kosten der Freiheit leisten kann.

Daraus lässt sich auch meine Position zur NSA/BND-Affäre ableiten. Ich habe in meinem Newsletter als auch bei Wohnzimmergesprächen mit BürgerInnen meines Wahlkreises intensive Gespräche über dieses Thema geführt. Darin habe ich meinen Ärger darüber zum Ausdruck gebracht, dass keine Ehrlichkeit hinsichtlich des von den Amerikanern angebotenen No-Spy-Abkommens bestand, und die Bespitzelung der Amerikaner mit Hilfe des deutschen Nachrichtendienstes aber auch befreundete europäische Staaten, europäische Unternehmen und europäische PolitikerInnen betrifft. Leider von Seiten des KanzlerInnenamts auch zu langsam und zu wenig auf eine Aufklärung dieses Skandals gedrängt. Für mich gilt: Nach Snowden ist nicht vor Snowden. Das US-Spähprogramm PRISM wurde erst 2005 aufgebaut. Laut Edward Snowden sammeln die Amerikaner selbstautorisiert Informationen und überwachen gezielt den Datenverkehr in Deutschland. Das ist eine Verletzung der Persönlichkeits- und Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger.

Mit freundlichen Grüßen,

Mechthild Rawert