Frage an Mechthild Rawert von Utz W. bezüglich Finanzen
Sehr geehrte Frau Rawert,
Rechnet man z.B. für 2009 das Aufkommen an Körperschaftssteuer, Einkommensteuer der Unternehmen (30% vom Aufkommen), nicht veranlagte Steuern vom Ertrag, Abgeltungssteuer und Gewerbesteuer zusammen ergibt das rund 70 Mrd. € http://www.bundesfinanzministerium.de/nn_4158/DE/BMF__Startseite/Service/Downloads/Abt__I/0602221a6009__Steuerarten__2006_E2_80_932009,templateId=raw,property=publicationFile.pdf
In Beziehung zu den Unternehmens- und Vermögenseinkommen von rund 566 Mrd. € entspricht das einer realen Steuerlastquote von 12% statt der gesetzlichen rund 25% - 30%. Grund: Steuervermeidung durch Nutzung von Steuerschlupflöchern. Besonders spektakulär bei der Körperschaftssteuer, die auf 7 Mrd. € gesunken ist, obwohl die Gewinne der Kapitalgesellschaften rund 2/3 der Unternehmens- und Vermögenseinkommen ausmachen (Bundestagsdrucksache 16/3071).
Jetzt will die SPD die Steuersätze für Einkommensteuer, Abgeltungssteuer erhöhen und eine Vermögenssteuer einführen.
Meine erste Frage: Warum will die SPD Steuern erhöhen, statt die Schlupflöcher zu stopfen?
Oder hatte Peter Struck recht, der einmal sagte, dies sei "gegen die Lobby nicht durchsetzbar" (eine Erfahrung, die Prof. Kirchhof auch schon machen musste)?
Die Mehreinnahmen sollen in die Bildung fließen.
Lt. OECD gaben die Mitgliedsländer 2006 (neuere Zahlen gibt es erst am 10.09.2010) im Durchschnitt 5,8% des BIP für Bildung aus und erzielten damit durchschn. 37 Hochschulabsolventen pro 100 Schulabgänger. Deutschland gab 5,1% aus und hatte 21 Absolventen. (Quelle, u. a.: http://www.oecd.org/dataoecd/44/38/43645629.pdf )
Noch weniger hatte nur Griechenland. Die Niederlande z. B. gaben 5% aus und hatten 43 Absolventen, Polen erreichte mit 5,9% 47 Absolventen.
Meine zweite Frage: wäre es nicht besser das offenbar ineffiziente deutsche Bildungssystem qualitativ zu verbessern statt noch mehr Geld in ein offenkundig schlecht funktionierendes System zu stecken?
Mit freundlichen Grüßen
Utz Wilke
Sehr geehrter Herr Wilke,
ich danke Ihnen für Ihre Fragen zu den Themenkomplexen Finanzen und Bildung.
In der Tat sind sowohl die Verbesserung des Bildungssystems als auch ein gerechtes und transparenteres Steuersystem wichtige Zukunftsaufgaben unserer Gesellschaft.
Die SPD-Bundestagsfraktion möchte ein Steuer- und Abgabensystem, das auf Dauer eine auskömmliche Finanzierung der wichtigen Aufgaben der öffentlichen Hand sichert - dazu gehört an überragender Stelle die Bildungspolitik.
Beim Thema Steuer strebt die SPD eine Entlastung kleinerer und mittlerer Einkommen an und im Gegenzug eine Verschiebung der Steuerprogression sowie eine Erhöhung des Spitzensteuersätze auf 50%. Neben der Erhöhung der Abgeltungssteuer und der (Wieder) -einführung der Vermögenssteuer, steht für uns als Sozialdemokrat/Innen die Bekämpfung der Steuerhinterziehung ganz oben an.
Ich darf in diesem Zusammenhang an das Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetz aus dem Jahr 2009 erinnern, das der damals amtierende Finanzminister Peer Steinbrück entscheidend vorangebracht hat. Nach harten Verhandlungen konnten wir damals das Gesetz durchsetzen, aber nur mit dem Kompromiss, dass die konkreten Umsetzungsschritte aus dem Gesetz herausgenommen werden mussten. CDU und CSU haben im Laufe des Verfahrens das "Scharfmachen" des Gesetzes verhindert und darauf gedrängt, dass dies erst über eine Verordnung erfolgt. Die FDP hatte sogar noch zur abschließenden Lesung im Bundestag einen Entschließungsantrag eingebracht, in dem sie den Gesetzentwurf als rechtsstaatlich bedenklich ablehnt.
Was hat es mit der Steuerhinterziehungsbekämpfungs-Verordnung auf sich?
Bundesfinanzminister Steinbrück hatte die entsprechende Verordnung dem Bundeskabinett vorgelegt, mit der dem Gesetz zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung Leben eingehaucht wurde. Mit der Verordnung legen wir die besonderen Mitwirkung- und Nachweispflichten fest, die Steuerpflichtige zu befolgen haben, wenn sie Geschäftsbeziehungen zu Staaten und Gebieten unterhalten, die den OECD-Standard nicht anwenden. Ebenso wird der Umfang der Rechtsfolgen festgelegt, die an die Nichtbefolgung dieser Pflichten geknüpft sind.
Es wurde also einiges getan, vieles ist aber noch zu verbessern, um Steuerschlupflöcher zu schließen.
Weshalb ist die Bekämpfung von Steuerhinterziehung so wichtig?
Wer seine Gewinne und sein Einkommen in Deutschland erwirtschaftet, soll hierzulande seine Steuern zahlen - und zwar gerecht nach seiner steuerlichen Leistungsfähigkeit. Wer das nicht macht, schadet allen, die mit ihren Steuern die Leistungen des Staates finanzieren müssen. Denn die vielen Menschen, die keine Steuern hinterziehen, müssen um so mehr Steuern für die gleiche staatliche Leistung zahlen. Deshalb bekämpfen wir den internationalen Steuerbetrug und schädlichen Steuerwettbewerb.
Steuerhinterziehung ist mit anderen Worten der Entzug von Wirtschaftswachstumspotenzial. 100 Mrd. Euro hinterzogenem Geld stehen 100 Mrd. Euro an neuen Schulden gegenüber. Allein mit 1 Mrd. Euro könnten rund 50.000 zusätzliche Betreuungsplätze durch den Ausbau von Kinderkrippen- und Kindergartenplätzen oder circa 2.000 zusätzliche Ganztagsschulen oder für 1,6 Millionen Kinder an jedem Schultag ein Mittagessen finanziert werden.
Oder es könnten 38.500 neue Studienplätze finanziert werden.
Sie haben recht, das Bildungssystem muss qualitativ verbessert werden, um Chancengleichheit für alle zu erreichen. Allerdings halte ich es für falsch, allein den prozentualen Anteil des BIP ins Verhältnis zu den Hochschulabsolvent/innen zu stellen, um diese Forderung zu erheben.
Das Bildungssystem unterscheidet sich von Bundesland zu Bundesland. In Berlin beginnt "Bildung" bereits in der KiTa. Die Schaffung von KiTa-Plätzen wird nicht nur unter dem Aspekt von Betreuung gesehen, damit den Eltern eine Erwerbstätigkeit ermöglicht werden kann, sondern auch unter dem Aspekt der frühzeitigen vorschulischen Bildung. Es soll aber auch die Chancen für Kinder, egal welcher Herkunft, zur Integration in die Gesellschaft erhöhen. So sollen möglichst alle Kinder zumindest im letzten Jahr vor Schulbeginn eine KiTa besuchen. Damit dieses Angebot auch von möglichst vielen Eltern angenommen wird, ist der Besuch für die Eltern kostenfrei gestellt worden. Hier hat das Land Berlin, das möchte ich betonen, bundesweit eine Vorreiterrolle übernommen und investiert für die gesamte Kitabetreuung ca. 800 Millionen Euro. Ziel ist, den Kindern einen guten Schulstart zu ermöglichen.
Auch das Schulsystem unterscheidet sich von Bundesland zu Bundesland. Bildungsbeteiligung unterscheidet sich leider nach sozialer Herkunft: So haben Kinder aus Familien mit niedrigem sozioökonomischem Status immer noch geringere Chancen für den Besuch eines Gymnasiums, und zwar auch bei Kontrolle von kognitiven Grundfähigkeiten und kulturellen Grundqualifikationen. Generell bleibt es die überragende Herausforderung an Bildungspolitik und Bildungspraxis, ein hohes Bildungsniveau bei geringer Kopplung mit der sozialen Herkunft zu erreichen.
Berlin hat in den letzten Jahren das Bildungssystem konsequent umgebaut. Zu Schuljahresbeginn 2010 sind die neuen Sekundarschulen an den Start gegangen, das Schulsystem Skandinaviens gab das Vorbild. Längeres gemeinsames Lernen erhöht die Bildungschancen und schafft mehr Chancengleichheit für die Schülerinnen und Schüler. In Berlin gibt es nun nur noch ein zweigliedriges Schulsystem. Sowohl an der Sekundarschule als auch am Gymnasium kann das Abitur abgelegt werden. Diese Schulstrukturreform war nicht zum Nulltarif zu haben. Das Land Berlin investiert erheblich.
Wer schulische Bildung verbessern will, muss auch bereit sein Geld dafür in die Hand zu nehmen. Qualität in der Bildung ist nicht zum Nulltarif zu bekommen.
Wer die Anzahl der Hochschulabsolventen erhöhen will, muss gesellschaftliche Rahmenbedingungen verändern. Wer Studiengebühren zahlen muss, wer neben dem Studium arbeiten muss, um den Lebensunterhalt zu finanzieren, ist schlechter gestellt als Studierende, die diese finanziellen Belastungen nicht tragen müssen.
Im Rahmen des demografischen Wandels ist Deutschland aber auf hochqualifiziert ausgebildete Menschen angewiesen. Deshalb bleibt es volkswirtschaftlich unverzichtbar: Wir müssen Geld in die Bildung investieren.
Mit freundlichen Grüßen
Mechthild Rawert