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Mechthild Rawert
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Frage von Stefhan W. •

Frage an Mechthild Rawert von Stefhan W. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Hallo, Frau Rawert,

die Medien verbreiten,dass Sie am Montag im Rahmen der Buchveröffentlichung Ihres Parteikollegens Sarrazin gegen diesen und den Inhalt seines Buches demonstrieren wollen. Das ist ein starkes Stück!

Fakt ist, dass Sie - obgleich MdB bereits seit 2005 - politisch noch nicht aufgefallen sind. Nun aber veröffentlicht Sarrazin sein in der Tat bedenkliches Buch und Ihnen fällt auf einmal nichts besseres ein als...eine Demo. Super! Ganz toll! Die ganze Sache hat jedoch einen Haken, denn:

Wo waren Sie,als SPD-Mitglied Vural Öger 2004 von Hyrriett u.a. mit den Worten zitiert wurde,dass es im Jahr 2100 in Deutschland 35 Millionen Türken geben werde, und die Einwohnerzahl der Deutschen dann bei ungefähr 20 Millionen liege. Und dass das,was Sultan Süleyman 1529 mit der Belagerung Wiens begonnen habe, die Türken nun mit ihren kräftigen Männern und gesunden Frauen vollenden würden? Hatte Sie etwa nicht diese nazihafte "Lebensraum-im-Westen"-Attitüde gestört, oder reichte Ihnen gar die lauwarme Entschuldigung Ögers aus, er sei falsch zitiert worden?

Wo waren Sie,als SPD-Mitglied Helmut Schmidt 2008 in seinem Buch "Außer Dienst" den Gedanken veröffentlichte, dass derjenige,der die Zahl der Muslime nicht begrenze, wissen müsse, dass er damit den inneren Frieden des Landes aufs Spiel setze?

Wo waren Sie, als das SPD-Mitglied Kirsten Heisig 2010 in ihrem Buch "Das Ende der Geduld" resümmierte,dass türkische und arabische Großfamilien weitgehend nicht willens und fähig zur Integration seien und diesen Staat ablehnten?

Das sind die Namen Ihrer Parteifreunde, Frau Rawert. Meine Fragen:

1. Wie stehen Sie zu den Thesen Ögers, Schmidts und Heisigs? Bitte je eine eigene Antwort geben.

2. Wäre es nicht ein Fehler, Sarrazin jetzt aus der Partei bzw. der BuBa zu schmeißen? Müssten wir alle nicht befürchten, dass ihm das dann erst so richtig Schwung geben würde, à la Wilders & Co. eine eigene Partei zu gründen und die Parteien gegeneinander auszuspielen?

Danke!

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Wagenknecht,

ich danke Ihnen für Ihre Fragen, die ich wie folgt beantworte.

Zu Vural Öger:
Offenbar haben Sie zwar den SPIEGEL mit dem angeblichen Zitat von Vural Öger gelesen, aber nicht weiter recherchiert. Nach seiner - wie ich meine - unzulässigen Aussage, die er im Rahmen eines Abendessens und nicht in öffentlicher Rede gemacht hat, hat er klargestellt, dass seine Aussagen als Witz zu verstehen waren. Ich habe keinen Grund an dieser Aussage zu zweifeln, betone aber, dass es aus meiner Sicht ein ausgesprochen schlechter Witz gewesen ist.
Zudem hat es seinerzeit selbstverständlich diesbezüglich ein Gespräch mit dem damaligen SPD-Landesvorsitzenden Olaf Scholz in Hamburg gegeben. Vural Öger hat verstanden, dass solche Äußerungen - auch als Witz - nicht angebracht sind.
Vural Öger hat schon zu diesem Zeitpunkt seit vielen Jahren integrations- und gesellschaftspolitisch wirkt. Er war Mitglied in der Zuwanderungskommission der Bundesregierung und wurde 2001 mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande für sein interkulturelles Engagement ausgezeichnet.

Zu Helmut Schmidt:
Er hat in seinem Buch lange Ausführungen gemacht. Die von Ihnen angesprochene Zuzugssperre für Muslime habe ich nicht gefunden und ich verstehe Helmut Schmidt auch anders. Er hat sehr sachlich und aus verschiedenen Perspektiven auf den Islam, die Menschen in unserer Gesellschaft und auf unsere Außenpolitik geschaut. Er hat uns allen eine „Ermahnung“ mitgegeben:

„Innenpolitisch bedarf es einer langwierigen Anstrengung, um die muslimischen Mitbürger in unseren Schulen, im Arbeitsmarkt und in unserer Politik angemessen zu beteiligen. Unser Staat, die Kirchen und die Medien sollten der islamischen Religion mit dem gleichen Respekt begegnen, den sie bisher dem katholischen, dem evangelischen und dem jüdischen Bekenntnis gezollt haben. Wir sollten auch in der Europäischen Union und in allen internationalen Gremien für diese Gleichbehandlung eintreten. Darüber hinaus sollten wir darauf drängen, dass der Europäische Rat, die Regierungschefs und das Europäische Parlament sich dem Islam öffnen. Es ist nicht Deutschlands Aufgabe dem religiösen Oberhaupt der kleinen, ethnisch begrenzten Sekten der tibetischen Buddhisten zur öffentlichen Anerkennung zu verhelfen. Wohl aber liegt die öffentliche Anerkennung der islamischen Weltreligion in unserem Interesse.“ Helmut Schmidt, Außer Dienst, 2008

Helmut Schmidt verfolgt damit einen ganz anderen Ansatz. Er benennt sachlich Probleme, er benennt Defizite und Gefahren und schlägt einen Dialog und damit auch Lösungen vor. Helmut Schmidt will eine sachliche Diskussion.

Zu Kirsten Heisig:
Eine Bewertung ihrer Aussagen in ihrem Buch werde ich nicht vornehmen. Das Buch ist nach ihrem Suizid veröffentlicht worden. Ich habe es mir gekauft, aber noch nicht lesen können. Eine Auseinandersetzung mit den Thesen von Kirsten Heisig ist daher nicht möglich, eine Bewertung deshalb auch nicht.

Zu ihrer zweiten Frage:
Thilo Sarrazin hat schon vor Jahren mit verbalen Attacken begonnen. Zunächst kamen die „faulen Beamten“ dran, dann die „schlampigen Berliner“. Es folgte noch einiges mehr. Auf Druck von Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, aber auch der empörten öffentlichen Meinung entschuldigte er sich bis dato für seine skurrilen Sprüche bei der Öffentlichkeit. Wer von den Beamten wollte sich als pauschal als „faul“ bezeichnen lassen, welcher Bürger, welche Bürgerin will zu Hause jeweils den ganzen Winter über bei 16 Grad nur mit dicken Pullovern rumlaufen und sich pauschal als Sozialschmarotzer abstempeln lassen, welche Bürgerin, welcher Bürger will - außer Herr Sarrazin - "Für fünf Euro würde ich jederzeit arbeiten gehen. Das wäre 40 Euro am Tag."(Äußerung der Zeitschrift Cicero gegenüber). Wie haben Sie zu diesen Äußerungen gestanden, wie diese empfunden? Herr Sarrazin entschuldigte sich damit, dass es nicht so gemeint gewesen wäre. Mit der Veröffentlichung seines Interviews in Lettre International im Oktober 2009 vermochten viele - auch ich - nicht mehr an eine wirkliche Entschuldigung und die Mär der bloßen Sprücheklopferei glauben. Ein Zeitungsinterview führt man überlegt und die zu veröffentlichende Fassung wird noch einmal zur Korrektur vorgelegt. Wegen seiner dort geäußerten Auslassungen wurde gegen Thilo Sarrazin bereits ein Parteiordnungsverfahren eingeleitet. Ich habe dies unterstützt und sehr bedauert, dass dieses Parteiordnungsverfahren quasi mit einer Ermahnung, einer Rüge endete. Die Schiedskommission glaubte zu diesem Zeitpunkt leider noch den Ausführungen von Thilo Sarrazin, er wolle lediglich provozieren. Die Landesschiedskommission der Berliner SPD hat ihm jedoch deutlich mitgeteilt, dass auch im politischen Diskurs die Sprache nicht menschenverletzend und herabwürdigend sein darf, wenn er in der SPD bleiben möchte.
Kein halbes Jahr nach diesem Schiedsspruch veröffentlicht Thilo Sarrazin nun ein „Sachbuch“. Ja, es gibt Probleme im Zusammenleben in Vielfalt. Und Ja, das hat die Politik auch wahrgenommen. Viel zu lange wurde geleugnet, dass Deutschland ein Einwanderungsland, dass Berlin eine Einwanderungsstadt ist. Wir leben gegenwärtig mit den Problemen von Versäumnissen, mal abgesehen davon, dass es auch viele Menschen muslimischen Glaubens sind, die arbeiten, die Geschäfte eröffnet haben, die WissenschaftlerInnen sind. Und unsere Nachbarn und Nachbarinnen. Herr Sarrazin negiert die Vielfalt der Menschen mit muslimischen Glauben. Er schert sie über einen - nämlich seinen - Kamm und stellt sie alle in seine eine Ecke. Er spielt mit der aufgrund von Finanz- und Wirtschaftskrise weit verbreiteten Angst vor sozialem Abstieg, er schürt in der Bevölkerung Überfremdungsängste. Er biegt sich Zahlen und Statistiken nach eigenem Eingeständnis auch so zu Recht, wie es ihm für seine Ausführungen gerade passt.
Herr Sarrazin äußert gruppenbezogene menschenfeindliche, rassistische Äußerungen. Ich verweise hier auch auf seine, mittlerweile relativierten, Aussagen, dass alle Juden oder Basken ein bestimmtes Gen teilen. Ich glaube seinen nachträglichen Entschuldigen nicht mehr. Seine Selbstkritik nach seinen umstrittenen Äußerungen über genetische Gemeinsamkeiten von Juden, seine Distanzierung in der ARD-Sendung «hart aber fair» ist für mich zu sehr Kalkül - jetzt wo es um seinen Posten bei der Bundesbank geht. Mit ist es auch viel zu wenig, sich von der Behauptung, alle Juden teilten ein «bestimmtes Gen», damit reinwaschen zu wollen, dass er es als „Riesenunfug“ bezeichnet, welches er auch extrem bedauere.

Ich habe nichts gegen konstruktiv geführte Streitgespräch, führe diese selbst durchaus häufig. Die SPD war schon immer diskussionsfreudig, konträre Meinungen zu Sachfragen sind auch immer erwünscht. Hier ist aber eine Linie überschritten worden. Das hohe Gut der Meinungsfreiheit wird missbraucht. Meinungsäußerungen, die Menschen herabwürdigen, sind mit den Grundwerten der SPD - Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität - nicht übereinzubringen. Und auch das hat die Landesschiedskommission bereits im ersten Verfahren festgestellt: Für rassistische Äußerungen ist in der SPD kein Platz!
Deshalb unterstütze ich ein Parteiordnungsverfahren mit dem Ziel des Parteiausschlusses für Herrn Sarrazin. Auch Bundesbankpräsident Weber muss handeln. Bundesbankvorstände sind zur Zurückhaltung verpflichtet. Es kann nicht sein, dass ein Mitglied des Vorstands der Bundesbank mit Äußerungen wie Thilo Sarrazin sie gemacht hat, letztendlich der Bundesrepublik Deutschland - und damit uns allen - im In- und Ausland ungestraft schadet.
Sarrazin dagegen nutzt jede Gelegenheit, um die Öffentlichkeit zu suchen und die Auflage in die Höhe gehen zu lassen: Vorabdrucke, Interviews und Talkshow-Auftritte. Bei Beckmann am Montagabend ging es am Ende kurz nicht mehr um seine provokanten Aussagen: "Jetzt bin ich erst mal dabei, die Auflage zu steigern", sagte Sarrazin.
Ohne SPD-Parteibuch und ohne Vorstandsmandat der Bundesbank wird Herr Sarrazin für die Medien weitaus weniger spannend sein und weniger Plattform geboten bekommen. Um seine wirtschaftliche Existenz muss er nicht bangen. Schon bis dato hat er laut Medienberichten über 800 000 Euro mit dem Buch verdient.
Ich glaube nicht, dass er eine eigene Partei gründen würde - und wenn, müsste sie mit den bereits bestehenden rechtspopulistischen Parteien konkurrieren.

Mit freundlichen Grüßen

Mechthild Rawert