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Matthias Miersch
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Frage von Erhard T. •

Frage an Matthias Miersch von Erhard T. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Betr.:Wahlrechtsreform
Sehr geehrter Herr Dr.Miersch, was steckt eigentlich hinter dem Antrag der Bundestagsfraktion - SPD? Werden die Parteien mit den meisten Direktmandaten (die Anzahl der direkt gewählten Abgeordneten übersteigt den errechneten Przentsatz lt. Liste)nicht bei der beantragten Änderung der Wahlrechtsreform benachteiligt? Danke für eine Information.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Erhard Trier

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Trier,

vielen Dank für Ihre Anfrage. In der Tat sprechen Sie ein Thema an, dass momentan sowohl die Bundestagsfraktion der SPD, wie auch die anderen Parteien beschäftigt. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Juni letzten Jahres wurde der Gesetzgeber verpflichtet, das Wahlrecht in einigen Punkten entsprechend den Vorgaben des Urteils zu reformieren. Das BVerfG hat hierfür eine 3-jährige Frist eingeräumt, wobei auch unter Experten umstritten ist, ob noch vor der anstehenden Bundestagswahl Reformen durchgeführt werden müssen.

Insbesondere geht es bei der anstehenden Reform um eine Neuregelung der Berechnung von Überhangmandaten: Nach heutiger Rechtslage kann es unter besonderen Umständen zu der Situation kommen, dass eine Partei bei einer Bundestagswahl durch zusätzliche Zweitstimmen auf Landesebene insgesamt an Mandaten für den Bundestag verliert, sollten ebenso viele oder mehr Direktmandate wie Mandate über die Zweitstimme erreicht werden (die sogenannte negative Stimmengewichtung). Diese Tatsache liegt in der komplizierten Verrechnung der abgegebenen Stimmen für die einzelnen Landeslisten der Parteien begründet, auf die ich hier im Detail nicht weiter eingehen will. Als Folge dieses Missstandes kann es allerdings dazu kommen, dass abgegebene Zweitstimmen einer Partei eher schaden, also zu weniger Mandaten führen, als ihr nützen. Für den Bürger ist dieses Verfahren höchst undurchsichtig und im Ausnahmefall könnte seine Wahlentscheidung sogar ad-absurdum geführt werden.

Ihre Frage zielte nun auf die anstehende Änderung des Wahlrechts vor dem Hintergrund des oben geschilderten Problems. Sie bezogen sich dabei auf einen Antrag der SPD-Bundestagsfraktion zur Änderung des Wahlrechts mit Auswirkungen auf die Anzahl der Überhangmandate. Tatsächlich gibt es einen derartigen Antrag nicht. Der von Ihnen erwähnte Änderungsantrag ist bisher nur in Form einer Idee in den zuständigen Gremien der SPD diskutiert worden und bildet momentan die Grundlage für Verhandlungen mit den anderen Fraktionen im zuständigen Ausschuss für die Wahlrechtsreform.

Sollten sich die bisher von der SPD formulierten Ideen durchsetzen, würde es zu einer, wie Sie zutreffend festgestellt haben, Veränderung der Mandatsanzahl bei Parteien mit Überhangmandaten kommen. Für die von Ihnen angeführten Parteien mit den meisten Direktmandaten hätte dies zunächst aber keine Auswirkungen. Grundsätzlich würden Direktmandate durch die konzipierte Änderung nicht angetastet. Überhangmandate –also Mandate für Abgeordnete, die eine Partei zusätzlich zu den ihr zustehenden Mandaten nach Zweitstimmenanteil in den Bundestag entsenden kann – sollen allerdings nach unseren Vorstellungen demnächst anders verrechnet werden. Plastisch dargestellt würden die Überhangmandate von den nach dem Verhältnisanteil zustehenden Mandaten einer Partei abgezogen. Nach den heutigen politischen Kräfteverhältnissen sind nun aber gerade die Parteien mit den meisten Direktkandidaten auch die Parteien, die bisher Überhangmandate kreiert haben. Die neue Regelung würde sich gemessen an der heutigen Konstellation also besonders für die SPD und die CDU/CSU als einzigen Parteien mit Überhangmandaten negativ auswirken, da sie relativ an Mandaten verlieren könnten. Andererseits sind die Einschränkungen der Gleichheit und der Unmittelbarkeit der Wahl durch die aktuelle Rechtslage nicht von der Hand zu weisen. Die Stimmengleichheit kann nach momentan geltender Rechtslage möglicherweise nicht gewährleistet werden.

Da die aktuelle Rechtslage hinsichtlich der negativen Stimmengewichtung ein verfassungsrechtlich bedeutsames Problem darstellt, halten wir es für angebracht, das Wahlrecht noch vor der anstehenden Bundestagswahl zu reformieren. Das von Ihnen erwähnte SPD-Konzept enthält den oben dargestellten Vorschlag zur Streichung von Überhangmandaten als einen „minimal-inversiven“ Eingriff in das bestehende Recht. Größere Reformen sind angesichts des begrenzten zeitlichen Horizontes nicht mehr realistisch. Genauso wenig lassen sich alle Folgen einer größeren Änderung des Wahlrechts in kurzer Zeit sicher abschätzen. Um trotzdem eine verfassungsrechtlich akzeptable und vor allem für den Bürger zufriedenstellende Lösung zu finden, spricht sich die SPD für die Veränderung der Berechnungsgrundlagen aus, ohne im prozedualen Ablauf Eingriffe tätigen zu müssen.

Klargestellt werden muss letztlich auch, dass trotz möglicher Mandatsverluste für Parteien mit Überhangmandaten eine klare Regelung der Berechnungsgrundlage dazu führen wird, dass Wähler vertrauen in die positive Wirkung ihrer abgegebenen Zweitstimmen haben. Auch Parteien mit Überhangmandaten würde durch die Regelung in der politischen Praxis also geholfen, da Unklarheiten über die tatsächliche Wirkung der Zweitstimme für den Wähler aus dem Weg geräumt werden.

Ich hoffe, ich konnte Ihre Frage zufriedenstellend beantworten, auch wenn es sich um eine komplizierte Materie handelt.

Mit freundlichen Grüßen
Matthias Miersch

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