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Matthias Gastel
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Bernd E. •

Frage an Matthias Gastel von Bernd E. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Werden Sie sich nach Ihrer Wahl in den Bundestag für die Bildung einer Enquete-Kommission „Fluchtursachen“ einsetzten?

Hintergrund: Weltweit sind derzeit 60 Millionen Menschen auf der Flucht. Deutschland hat 2015 nahezu eine Million Flüchtlinge aufgenommen und bemüht sich um ihre Integration. Das ist gut so. Die Politik hat sich allerdings seither darauf konzentriert, möglichst schnell die Flüchtlingszahlen in Deutschland zu reduzieren. Zwar wird beteuert, wie notwendig es sei, die Fluchtursachen zu bekämpfen. Eine umfassende und parteiübergreifende politische Initiative gibt es jedoch für diese längerfristige Aufgabe bisher nicht. Europaweite Initiativen sind notwendig, aber auch nationales Handeln.

130 Trägerinnen und Träger des Bundesverdienstkreuzes fordern den Deutschen Bundestag auf, eine Enquete-Kommission „Fluchtursachen“ einzusetzen. Die Kommission soll untersuchen, wie Deutschland weltweit zu Fluchtursachen beiträgt und Maßnahmen sowie gesetzliche Initiativen vorschlagen, wie dies vermieden oder dem entgegengewirkt werden kann. Die zur Bundestagswahl antretenden Parteien werden aufgefordert, sich die Forderung zu eigen zu machen, sie in ihre Wahlprogramme aufzunehmen und nach Konstituierung des Bundestages eine Enquete-Kommission „Fluchtursachen“ einzusetzen.

Initiiert wurde der Aufruf von
Ralf-Uwe Beck
Prof. Dr. Klaus Töpfer
Prof. Dr. Angelika Zahrnt

https://fluchtursachen-enquete.com

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr E.,

herzlichen Dank für Ihre Frage und Ihren Vorschlag in der nächsten Wahlperiode eine Enquetekommission zum Thema Fluchtursachen einzurichten. Wir teilen vollkommen Ihre Analyse, was die Fluchtursachen angeht. Auch ich finde, dass strukturelle Gründe für Flucht schnellstmöglich beseitigt werden müssen.

Die beste Flüchtlingspolitik ist und bleibt aus meiner Sicht diejenige, die Menschen davor bewahrt, ihr eigenes Land verlassen zu müssen. Es geht mir daher um eine Politik, die die strukturellen Ursachen der Zerstörung von Lebensgrundlagen langfristig zu beheben. In einer globalisierten Welt hilft es dabei wenig, wenn alle mit dem Finger auf die anderen zeigen. Fluchtursachenbekämpfung heißt deshalb für Grüne auch, zunächst einmal nach der eigenen Verantwortung zu fragen.

Wir in Europa exportieren Rüstungsgüter in Krisengebiete, überfischen die Weltmeere und nehmen in Kauf, dass unsere Agrarexporte andernorts in der Landwirtschaft die Existenzgrundlage zerstören. Die Ursachen von Flucht und Vertreibung lassen sich weder mit höheren Zäunen noch mit Patrouillenbooten oder durch Pakte mit autokratischen Staaten lösen. Ich setze mich daher für eine kohärente internationale Politik ein und fordere strukturelle Reformen beim Handel, in der Landwirtschaft, bei Energie, Fischerei, Außenpolitik und Klimaschutz, wie sie die nachhaltigen Entwicklungsziele vorgeben. Wir Grüne werden die ärmsten Staaten bei der Anpassung an Klimaveränderungen entschieden unterstützen. Und wir brauchen eine faire Handelspolitik. Rüstungsexporte in Krisengebiete und an Staaten mit hochproblematischer Menschenrechtslage werden wir daher in Regierungsverantwortung stoppen.

Die Bundesregierung und die Europäische Union müssen mehr zur Bewältigung der Krisen und Kriege beitragen, vorrangig im Rahmen der Vereinten Nationen. Zivile Krisenprävention wird daher ein zentrales Feld grüner internationaler Politik bleiben. Um Menschen zu helfen, die sich bereits auf den Weg gemacht haben, muss die deutsche humanitäre Hilfe in einer krisenhaften Zeit wie dieser auf weit über eine Milliarde Euro stabilisiert werden und UN-Hilfsorganisationen wie das World Food Programme brauchen zudem eine dem Bedarf entsprechende stabile Finanzierung. Länder wie Jordanien, Türkei, Pakistan, Libanon, Äthiopien oder Kenia nehmen weltweit die meisten Flüchtlinge auf. Die internationale Gemeinschaft darf diese Staaten aus humanitären Gründen nicht im Stich lassen.

Ich bin deshalb der Meinung: Es muss dringend politisch gehandelt werden, um Fluchtursachen zu beseitigen. Dafür braucht es auch einen längeren Atem. Wir haben dies in dieser Wahlperiode intensiv im Bundestag debattiert. Der Antrag unserer Grünen-Bundestagsfraktion „Fluchtursachen statt Flüchtlinge bekämpfen“ (Bundestags-Drucksache 18/7046: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/070/1807046.pdf) enthält zahlreiche Maßnahmen zur Fluchtursachenbekämpfung, wurde aber von der Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD abgelehnt.

Die Frage, wie auch tieferliegende Fluchtursachen behoben werden können, ist aus meiner Sicht weniger eine Erkenntnisfrage, sondern vielmehr eine Frage heftiger Interessenkonflikte. Derartige Interessenkonflikte kann eine Enquetekommission des Deutschen Bundestages jedoch gar nicht lösen.

Eine Enquetekommission könnte im Gegenteil sogar die Gefahr bergen, dass eine Bundesregierung und mit ihr die Koalitionsmehrheit das Thema dorthin abschiebt und dieses dann dort versandet, weil die Fraktionen des Deutschen Bundestages sich eben nicht auf klare Umsetzungsschritte einigen.

Gleichzeitig könnte mit Verweis auf die laufende Arbeit der Enquetekommission noch später oder vier Jahre lang überhaupt nicht gehandelt werden. Als Grüne verschließen wir uns ganz sicher nicht der Einrichtung einer solchen Enquetekommission Fluchtursachen, sehen aber, dass direktes politisches Handeln aus der Bundesregierung heraus, z.B. durch Neuverhandlung fairer Handelsabkommen für afrikanische Staaten, in der konkreten politischen Umsetzung mehr bringt und so auch der Fluchtursachenbekämpfung letztendlich mehr hilft.

Sehr geehrter Herr E., als Unterstützer des Aufrufs danke ich Ihnen für Ihre Initiative und Ihr Engagement, mit dem Sie die Dringlichkeit des Themas Fluchtursachen deutlich machen.

Ich werde mich weiterhin für eine rasche und konsequente Umsetzung des Pariser Klimaabkommens und eine strukturelle Fluchtursachenbekämpfung in der konkreten politischen Umsetzung einsetzen. Deswegen wollen wir Grüne nach der Wahl als Teil der nächsten Bundesregierung in diesen wichtigen Ressorts Regierungsverantwortung übernehmen, damit Fluchtursachenbekämpfung eben kein Debattenthema bleibt, sondern endlich in die Umsetzung kommt. Daher werben wir Grüne dafür, nach dem 24. September in Regierungsverantwortung eintreten zu dürfen. Wer uns Grüne dabei unterstützen möchte, sollte vor allem mit der Zweitstimme GRÜN wählen.

Mit freundlichen Grüßen

Matthias Gastel MdB
Ihr Bundestagsabgeordneter im Wahlkreis Nürtingen/Filder

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