Frage an Martina Michels von Wolf-Dieter O. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie
Sehr geehrte Frau Michels,
welche Fortschritte hat Ihrer Meinung nach der vor 20 Jahren in gang gesetzte Bologna-Prozess für die Staaten der EU erzielt und welche Akzente würden Sie in der europäischen Hochschulpolitik setzen?
W. O.
Sehr geehrter Herr O.,
Die Einführung der Bachelor- und Master-Abschlüsse im Zuge der Bologna-Reform hat die Studiengänge zusätzlich verschult: Studieren wird von Zeitdruck und Prüfungsstress bestimmt. DIE LINKE. fordert deshalb, das Bologna-System zu reformieren. Hochschulen sind mehr als Einrichtungen zur Arbeitsmarktbefähigung, wie sie im Bologna-Prozess verstanden wurden. Sie müssen europaweit als offene, soziale und demokratische Einrichtungen gestaltet und verstanden werden, an denen Lehre und Forschung sich frei und unabhängig von Markt und Profit, aber in gesellschaftlicher Verantwortung entwickeln können. Wir wollen weg von repressiven Studienordnungen hin zu selbstbestimmtem, interdisziplinärem und kritischem Studieren.
Auch im (Hochschul)Bildungsbereich muss die soziale Dimension stärker in den Vordergrund rücken. Die Etablierung eines Systems von zwei Geschwindigkeiten, eine Unterteilung in einen Hochschulraum der sich nur auf Mitgliedsstaaten der EU einerseits beschränkt und die „sonstigen“ europäischen Staaten andererseits, halte ich für ebenso falsch, wie europäische Exzellenz-Initiativen zugunsten weniger Prestige-Universitäten und zulasten der Hochschulbildung in der Breite. Stattdessen muss es eine auskömmliche Grundfinanzierung der Hochschulen sowie eine Breitenförderung der Mobilität von Hochschulmitgliedern unterstützt geben. Wettbewerbliche Verfahren sehe ich als nicht geeignet an, um dies zu ermöglichen. Sie führen in „Wettbewerben um die besten Köpfe“ nicht selten zu weniger Kooperation.
Zur Stärkung der Mobilität von Studierenden und Absolvent*innen müssen insbesondere die finanziellen Hürden abgebaut werden. Noch immer sind es vor allem junge Menschen aus finanziell besser gestellten Haushalten, die während oder nach ihrem Studium einen Auslandsaufenthalt absolvieren. Die Förderung von Auslandsaufenthalten sollte jedoch als Instrument der Breitenförderung aufgebaut werden, und nicht vornehmlich als Eliten- und Exzellenzförderung.
DIE LINKE sieht dabei die Hochschulpolitik auch auf europäischer Ebene grundsätzlich gut aufgehoben. Europa, wie auch die gesamte Welt, steht vor der Herausforderung, seine Art des Wirtschaftens radikal zu verändern. Es bedarf einer großen sozial-ökonomischen Transformation, um den menschengemachten Klimawandel und die Übernutzung von Ökosystemen aufzuhalten. Um globale Herausforderungen zu lösen, bedarf es globaler Antworten, die ohne kooperative Forschung nicht zu entwickeln sind. Für diese übergeordneten Ziele müssen in der europäischen Bildungs- und Wissenschaftspolitik mehr Finanzmittel zur Verfügung gestellt werden. Gerade EU-Mitgliedsstaaten mit geringer Wirtschaftsleistung werden eine derartige Wende nicht ohne Unterstützung der EU umsetzen können.
Wichtig ist mir, dass EU-Forschungsförderung grundsätzlich auf zivile Bereiche auszurichten ist und europäische Standards in der Forschung, z.B. bei ethischen Grundsätzen, dem Tier- und Datenschutz sowie der Technikfolgenabschätzung, eingehalten werden müssen.
Mit freundlichen Grüßen
Martina Michels