Frage an Martina Michels von Gerrit D. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Hallo und Guten Tag Martina Michels!
Nach meinen Recherchen waren Sie in der Vergangenheit bis zur kommenden Wahl bereits für 6 Jahre Mitglied des europäischen Parlaments, 22 Jahre Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin. Daraus ergeben sich für mich vier Fragen.
- Woher kommt ihre ganz persönliche Motivation erneut zu kandidieren?
- Angenommen, sie nähmen in Zukunft kein Mandat, öffentliches Amt, keine Parteifunktion (die einfache Mitgliedschaft einmal ausgenommen) wahr: Bewerten Sie ihre eigenen politischen Einflussmöglichkeiten als unter-, durch- oder überdurchschnittlich?
- Was könnte ihnen helfen sich selbst, die eigenen Hobbys, die Familie/Freunde, den Wahlkreis, Mitarbeiter_innen, die Partei, die Fraktion, das Parlament, den Beruf außerhalb des Parlaments zufriedenstellend und im gesunden Ausgleich „unter einen Hut“ zu bekommen?
- Welche Erfahrungen, Kenntnisse oder Fähigkeiten aus ihrem politischen Leben waren/sind in ihrem beruflichen Alltag hilfreich (gewesen)?
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit!
Europäische Grüße
G. D.
Zu 1:
Die Europäische Union ist nach meiner Auffassung in einer schlechten Verfassung und bedarf grundlegender Veränderung. Vor allem braucht sie eine verbindliche und gezielte soziale Ausrichtung. Sie muss sich vor allem an den Bedürfnissen der Bürger*innen orientieren, statt an den Interessen der Banken und Konzerne. Sie braucht mehr Demokratie, eine Stärkung der Einflussnahme des Europäischen Parlaments, mehr demokratische Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger und eine klare friedensstiftende Politik statt mehr Aufrüstung. Deshalb will ich als überzeugte Europäerin bewusst Verantwortung übernehmen, um die EU in diese Richtung zu verändern, statt sie den Rechtspopulisten zu überlassen. In der zurückliegenden Legislatur konnte ich viele Kontakte und Netzwerke vor allem auch zu außerparlamentarischen Bewegungen und NGOs aufbauen, die für mich eine gute Grundlage für die weitere Arbeit sind. Ich möchte besonders den Bewegungen, die sich derzeit auf der Straße Gehör verschaffen – wie die Schülerbewegung, die Bewegung für ein freies und faires Internet, den Mieterprotesten, oder die der Seenotretter*innen – im Parlament eine Stimme geben. Diese Art der parlamentarischen Arbeit habe ich begonnen und würde sie gern fortsetzen.
Zu 2:
Die derzeitigen demokratischen Teilhabemöglichkeiten in der EU sind bei weitem nicht ausreichend und ich halte das für ein gravierendes Problem. Es gibt Ansätze, die stärkere Teilhabe ermöglichen sollen, wie beispielsweise die Möglichkeit Europäischer Bürgerinitiativen, wie sie erfolgreich gelaufen sind ist zur Wasser-Richtlinie, zu TTIP, zur Abschaffung der Sommerzeit oder gegenwärtig zur Wohnungspolitik unter dem Anspruch „Housing for all“. Doch hierzu sind die Hürden sehr hoch und der bürokratische Aufwand enorm. Es fehlt dabei ebenso die Verbindlichkeit.
Es braucht - statt finanzkräftiger Lobby von Großkonzernen - eine stärkere Verbindung zwischen außerparlamentarischen Bewegungen und den politisch Verantwortlichen auf europäischer, nationaler, regionaler und kommunaler Ebene.
Ein wichtiges Ziel meiner Arbeit ist es, meine Tätigkeiten als Politikerin und Europaabgeordnete im möglichst hohen Maße transparent zu machen und an die Bürger*innen weiterzugeben. Deshalb gebe ich seit fünf Jahren einen wöchentlichen Newsletter “Martinas Woche“ heraus und bin so oft es geht vor Ort - konkret betreue ich zwei Bundesländer: Berlin und Sachsen-Anhalt. Ich lade außerdem regelmäßig Besuchergruppen ins Europäische Parlament ein: In der zu Ende gehenden Legislatur kamen so ca. 600 Parlamentsbesucher*innen zu mir nach in Brüssel und Strasbourg und konnten sich über die Arbeit des Europarlaments und die Europapolitik allgemein sowie über meine Arbeit in der Delegation der LINKEN. im EP informieren.
Zu 3:
Große Unterstützung bieten mir seit vielen Jahren Familie und Freunde. Hinter mir steht zudem ein motiviertes Team von Expert*innen, die mich und meine politische Arbeit begleiten. In der eigenen Partei wünschte ich mir ein noch besseres Zusammenspiel von europäischem und nationalen Handeln. Mein Motto: europäisch denken und lokal handeln.
Zu 4:
Viele Erfahrungen, Kenntnisse oder Fähigkeiten meines früheren beruflichen und politischen Lebens sind natürlich auch in der Europapolitik hilfreich, vor allem meine vorherige Tätigkeit in Berlin, die mich nicht vergessen lässt: Europa findet vor allem vor Ort statt, in den Kommunen und Regionen.
Natürlich führe ich die Zusammenarbeit mit NGOs wie den oben genannten oder zum Beispiel auch kurdischen Vereinen, verfolgten Journalisten und Anwälten in der Türkei, Frauen-, Umwelt- und Verbraucherschutzverbänden auch auf der EU-Ebene weiter.
Und schließlich denke ich, dass mir besonderes die Fähigkeit und das ehrliche Interesse, auf Menschen zuzugehen und zuzuhören, hilft - nicht für alle Politiker*innen ist das eine Selbstverständlichkeit.