Martina Michels
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Frage von Heinz S. •

Frage an Martina Michels von Heinz S. bezüglich Staat und Verwaltung

Sehr geehrte Frau Michels,

Ihre Antwort auf meine am 27.07.06 an Sie geäußerten Auffassungen befriedigen mich nicht. Was hat z.B. der Wirtschaftssenator getan, damit die vom vormaligen CDU/SPD Senat geschlossenen Verträge für die Wasserbetriebe / Stadtreinigung usw. auf den juristischen Prüfstand kommen, um ihren Bestand sowie die möglichen Veränderungen auszuloten? Jeder geschlossene Vertrag bietet Möglichkeiten zur Veränderungen bzw. hätte man auch prüfen müssen, ob die geschlossenen Verträge nicht gegen die guten Sitten verstoßen und deshalb gerichtlich anzufechten gewesen wären.

Mit freundlichen Grüßen
H.Siggelkow

Martina Michels
Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Siggelkow,
ich freue mich, dass Sie Interesse an einem Dialog über unsere Regierungstätigkeit bekunden.
Hie meine vertiefende Antwort auf Ihre Frage zu den Wasserbetrieben:
Selbstverständlich war unser Wirtschaftssenator nicht untätig bei der Prüfung der Frage einer Rückabwicklung des Privatisierungsvertrages. Die Versorgung mit Wasser ist für die Linkspartei eine Daseinsvorsorge, die in öffentliche Hand gehört. Deshalb kämpfte die PDS 1999 gegen die von der schwarz-roten Mehrheit beschlossene Teilprivatisierung der Wasserbetriebe und klagte mit anderen beim Berliner Verfassungsgericht, das Gesetz für nichtig zu erklären. Das entschied im Oktober 1999, dass es im Wesentlichen, d. h. in den Grundzügen des gewählten Privatisierungskonstrukts, verfassungskonform sei. Das mag nicht befriedigend sein, ist aber auch durch eine linke Regierungsübernahme ein juristischer Tatbestand, der akzeptiert werden muss.
Lediglich die gesetzlichen Regelungen zur Kalkulation der Entgelte beanstandete das Gericht in zwei Punkten. Erstens: Die festgeschriebene kalkulatorische Einplanung einer automatischen "Gewinnspanne" von 2 Prozent über einer Richtverzinsung des eingesetzten Kapitals sei nicht zulässig, weil hier kein sachlicher Zusammenhang zur gewährten Leistung (Wasserversorgung, Abwasserentsorgung) mehr gegeben sei. Zweitens: Die sogenannte Effizienzsteigerungsklausel, nach der betriebswirtschaftliche Vorteile aus wirtschaftlichen Maßnahmen erst nach drei Jahren entgeltmindernd in die Gebührenkalkulation einzustellen - also an die WasserbezieherInnen weiterzugeben - wären, verletzt ebenfalls die verfassungsmäßigen Grundlagen des Gebührenrechts.

Der schwarz-rote Senat hatte jedoch die Einnahmen aus dem "Vermögensgeschäft" Teilprivatisierung der Infrastruktur des hauptstädtischen Wassersektors bereits in den Landeshaushalt eingestellt. Ergo: Die Große Koalition musste nach dem Urteil sehr schnell handeln, um den Vertragsabschluss mit den Privaten nicht zu gefährden. Kurzfristig wurde eine Sondersitzung des Berliner Parlaments einberufen und dort - unter dem Druck des Verfassungsgerichtsspruchs - eine folgenschwere Entschließung angenommen: Der Senat wurde von einer Parlamentsmehrheit aus CDU und SPD u. a. aufgefordert, den im Rahmen des Konsortialvertrages festgelegten Verpflichtungen des Landes umfassend und vollständig nachzukommen - also die versprochene Rendite in jedem Falle zu gewährleisten, wenn auch auf anderem Wege als vereinbart. Noch am gleichen Tag wurden dem gemäß die Verträge unterschrieben und notariell beurkundet, und somit für eine lange vertragliche Laufzeit - nämlich bis Ende 2028, falls bis 2023 der Vertrag gekündigt wird - vollendete Tatsachen geschaffen. Knapp 1,7 Mrd. € wurden 1999 von RWE/Vivendi/Allianz Capital Partners an das Land überwiesen und Preiserhöhungen nur bis Ende 2003 ausgeschlossen.
Zu einer völligen Neuverhandlung der Verträge kam es nicht und hätte es - entgegen manchem Eindruck in der Öffentlichkeit - unter diesen Rechts- und Kräfteverhältnissen auch nicht kommen können. Die privaten Gesellschafter verzichten nicht selbstlos auf ihre 1999 ausgehandelten Ansprüche. Rot-rot blieb nichts anderes übrig, als die vertraglich garantierte Rendite den Investoren auf andere Weise zu ermöglichen - durch Einnahmeverzichte des Landes auf ihm zustehende Abgaben (über 50 Mio. € pro Jahr) auf der einen und durch kalkulatorische Neuberechnung bedingte Erhöhungen der Wasserpreise auf der anderen Seite. Es geht also "nur" um die politische Entscheidung, in welchem Verhältnis sie die BürgerInnen als SteuerzahlerInnen einerseits und als WasserverbraucherInnen andererseits aufbringen. Von 2000 bis 2004 waren es insgesamt 483 Mio. €.
Natürlich gibt es immer eine Alternative. Aber unter den bestehenden Rahmenbedingungen ist politisch Wünschenswerteres kaum durchsetzbar, hinsichtlich der Lastenverteilung eine "bessere" politische Lösung kaum denkbar. Die immer wieder ins Gespräch gebrachte Aufkündigung der Verträge enthält nicht nur ein erhebliches Prozesswagnis: Wer sagt denn, dass die Verträge wirklich anfechtbar oder gar nichtig sein sollen? Das Verfassungsgerichts-Urteil schlägt jedenfalls nicht einfach auf die Verträge durch.
Deren Rückabwicklung führt mindestens zu einem Rückforderungsanspruch der Investoren auf den Kaufpreis, im (wahrscheinlichen) schlechteren Falle, dass das Land bestehende Verträge ohne Rechtsgrund nicht erfüllt (weil sie vor dem Zivilgericht Bestand haben), sogar zuzüglich aller zu erwartenden Renditen für die Laufzeit des Vertrages. Alles in allem wohl eine Größenordnung von 5 Mrd. €. Fälligkeit: Sofort! Zahlbar allein aus neuen Schulden des Landes, für die dann allerdings erneut Rendite anfällt - zugunsten der Banken, als Zinsen auf die Neuverschuldung.