Frage an Martina Michels von Bernd M. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrte Frau Michels,
DIE LINKE hat die Arbeitnehmerfreizügigkeit ab den 1.5.11 auch für Deutschland begrüßt. In den anderen EU-Länder, z.B. Frankreich, gibt es flankierent dazu Mindestlohngesetze.
Befüchten Sie nicht, dass gerade Klein- und Kleinstunternehmen, Scheinselbstständige, also diejenigen, die schon jetzt am Rande des Existenzminimums "wirtschaften", es noch schwerer haben werden, ihre Leistungen auskömmlich entlohnt zu bekommen?
Begrüßen Sie und ihre Patei da nicht etwas Abstraktes ohne Bezug zur Wirklichkeit?
Mit freundlichen Grüßen
B. Mewes
Sehr geehrter Herr Mewes,
Die Gewährung der Arbeitnehmerfreizügigkeit für Bürgerinnen und Bürger der EU-Mitgliedstaaten gehört als grundrechtsgleiches Recht zu den elementaren Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts. Im Zusammenhang mit dem Beitritt der acht mittel- und osteuropäischen Staaten sowie von Malta und Zypern wurde den bisherigen Mitgliedstaaten zunächst die Möglichkeit eröffnet, eine (bis zu) siebenjährige Übergangsfrist zu nutzen und die nationalen Zugangsregelungen zum Arbeitsmarkt beizubehalten. DIE LINKE hat sich bereits frühzeitig für die Aufhebung dieser Beschränkungen eingesetzt und diese Position immer mit der Forderung nach einem Mindestlohn von zunächst 7,50 Euro und aktuell 8,50 Euro verbunden. Angesichts der nach wie vor hohen Arbeitslosigkeit in der Region Berlin-Brandenburg ist es aber auch verständlich, wenn in der Bevölkerung, gerade in den von Ihnen angesprochenen Bereichen, Befürchtungen entstehen.
Gute Arbeit und volle Arbeitnehmerfreizügigkeit müssen nicht im Widerspruch zu einander stehen. Wir begrüßen das Ende der Übergangsregelungen und die Herstellung der Arbeitnehmerfreizügigkeit zum 1. Mai 2011. Sie sprechen mit Ihrer Frage eine wichtige Verbindung zwischen der gewonnenen Freizügigkeit und den entsprechenden Rahmenbedingungen an. Wir kritisieren, dass der Bund diese Chance bisher weitgehend vertan hat. Es ist leider auf Bundesebene nur sehr unzureichend gelungen, arbeitsmarkt- und sozialpolitische Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, die Chancen der Arbeitnehmer-freizügigkeit ohne das Risiko von Sozialdumping zu nutzen.
Die rot-rote Koalition in Berlin hat bereits anlässlich der ersten Verlängerung der Übergangsregelungen 2006 festgestellt, dass eine längere Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit für Berlin keine Vorteile bietet. Die Senatorinnen und Senatoren der LINKEN haben darauf gedrängt, dass der Senat die Berliner Position, dass die volle Freizügigkeit bereits früher zu erreichen gewesen wäre, wenn die Übergangszeit für die Absicherung von Beschäftigungsverhältnissen durch verbindliche Mindestlohnregelungen und angepasste Entsenderichtlinien genutzt worden wäre, in die entsprechenden Fachgremien auf Bundesebene einbringt. Der Bund hat letztlich leider anders entschieden.
Um den mit einer vollen Arbeitnehmerfreizügigkeit einhergehenden Druck auf die Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem Land zu vermeiden und um Lohndumping zu verhindern, fordert DIE LINKE weiterhin einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn und die Ausweitung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes auf alle Branchen.
Berlin muss sich darüber hinaus gemeinsam mit dem Land Brandenburg und den Nachbarwojewodschaften in Westpolen abstimmen, um die schrittweise Schaffung einer gemeinsamen Wirtschafts- und Arbeitsmarktregion Berlin-Brandenburg/Westpolen zu befördern – etwa durch eine regionale Arbeitsmarktpolitik unter fairen Bedingungen, die auch die Fachkräftesituation einbezieht.
Im neuen Berliner Vergabegesetz haben wir die Möglichkeiten der Landesebene zur Durchsetzung der Mindestlohnes bereits genutzt, in dem wir die Vergabe öffentlicher Aufträge gesetzlich an die Tarif- bzw. Mindestlohnzahlung gebunden haben.
Herzliche Grüße
Martina Michels, MdA