Frage an Martina Lennartz von Silke S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Hallo Frau Lennartz,
was halten Sie persönlich, oder auch die DKP davon, dass es für die Aufnahme von neuen Asylsuchenden eine jährliche Obergrenze gelten soll?
Wir haben doch jetzt schon so eine hohe Arbeitslosenzahl und zu wenige Wohnungen. Wie soll das Problem denn gelöst werden?
Freundliche Grüße
S. S.
LiebeFrau S.,
Sie sprechen wieder ein Thema an, dass viele Menschen zu Recht interessiert undauch betrifft. Bei derAufnahme von Asylsuchenden geht es aber nicht darum Obergrenzen zu diskutieren,sondern die Fluchtursachen zu beheben. Die Kriegspolitik von NATO und EU, dieWirtschafts- und sogenannte Freihandelspolitik der EU und die Zerstörung derUmwelt durch den Raubbau an Ressourcen sind Fluchtursachen. Die EU zerstörtLebensbedingungen in Afrika und dem Nahen Osten, aber auch in der eigenenPeripherie. Die DKP fordert deshalb auch den sofortigenStopp von Rüstungsexporten sowie der verfassungswidrigen Auslandseinsätze derBundeswehr. Erst, wenndie NATO aufhört fremde Länder zu bombardieren und der Reichtum gerecht in derWelt verteilt wird, wird es auch keineFlüchtlinge mehr geben.
Sie sprechen eine Obergrenze an. Dazu ein paar nüchterne Zahlen: In der BRD leben 227Einwohner pro Quadratkilometer, in Holland 405, also fast doppelt so viele.Besondere Verwerfungen aufgrund der „Enge“ sind nicht bekannt. Weiter: Nach demzweiten Weltkrieg kamen rund sieben Millionen Menschen aus den einstmalsdeutschen Ostgebieten nach Westdeutschland. Damals war das Land vom Kriegzerstört, die Wirtschaft lag am Boden. Doch keiner schrie: „Das Boot ist voll!“Zwischen 1949 und 1990 verließen 3,8 Millionen Menschen die DDR in RichtungWestdeutschland. Keiner hetzte „Unsere Aufnahmekapazität ist erreicht“. Ganz imGegenteil: Sie wurden geradezu angelockt, weil die Kapitalisten gutausgebildete Fachkräfte brauchten und man der DDR so schaden konnte. Zusätzlichwurden zwischen 1955 und 1973 2,6 Millionen Arbeiter aus der Türkei, Italien,Griechenland, Jugoslawien und anderen Ländern als billige Arbeitskräfteangeworben. Nach 1990 kamen rund drei Millionen sog. deutschstämmige Menschenaus der ehemaligen Sowjetunion in die BRD. Keiner hat all das überhaupt sorichtig gemerkt. Dieses Land ist nicht ärmer geworden in all der Zeit, sondernsehr viel reicher. Dass ein großer Teil des Reichtums in den Händen sehrweniger kleben bleibt hat nichts mit Einwanderern zu tun, sondern mit unsererGesellschaftsordnung.
Sie sprechen das Wohnungsproblem an
Warum werden nicht leer stehende Wohnungen,Zweitwohnungen, Villen beschlagnahmt? Warum wird nicht beschlossen, dass Hotelseinen Teil ihrer Zimmer zur Verfügung stellen müssen?Ja, es stimmt, dass es jetzt schon viel zu wenigebezahlbare Wohnungen gibt. Doch dafür sind die Flüchtlinge auch nichtverantwortlich. Verantwortlich ist dafür dieser Staat, der sich aus dem Bau vonbezahlbaren Wohnungen völlig verabschiedet hat. Seit 2007 werden kaum mehrSozialwohnungen gebaut. Verantwortlich sind die Kapitalisten, die mit dem Bauvon Wohnungen kein anderes Ziel haben als mit dem Bau von Autos, Panzern oderKühlschränken: möglichst hohen Profit zu erzielen.
Von den 6 Millionen Sozialwohnungen, die es einmalgab, sind noch ganze 1,4 Millionen übrig. Jährlich fallen 60.000 weitereWohnungen aus der Sozialbindung, die einst mit steuerlichen Mitteln finanziertworden sind. D.h. die Immobilienkapitalisten können dann genau so hohe Mietenverlangen wie für Wohnungen, die nicht mit unseren Steuermitteln subventioniertworden sind. Dass, wenn es politisch gewollt ist, schnell Wohnungen gebautwerden können, zeigt die Geschichte. Für die Millionen Menschen, die nach demKrieg aus Polen oder der Tschechoslowakei nach Westdeutschland umsiedeln mussten,wurden ganze Kleinstädte hochgezogen. Traunreut und Waldkraiburg in Oberbayernsowie Neugablonz im Ostallgäu sind Beispiele dafür. Finanziert wurde dies durcheinen sog. Lastenausgleich, der bedeutete, dass Vermögende bis zu 50 Prozentihres Vermögens über Jahre gestreckt abgeben mussten. Sie sehen, dass man dieProbleme lösen könnte, wenn man es denn wolle.
Ich hoffe Ihnen mit der ausführlichen Antwortweitergeholfen zu haben und stehe weiter sehr gerne zur Verfügung
Viele Grüße Martina Lennartz