Frage an Martina Krogmann von Stefan B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Dr. Krogmann,
vielen Dank für Ihre rasche Antwort zum Thema ´Wahlrecht in Deutschland´. Sie haben die Funktionsweise des deutschen Wahlrechts umfassend und zutreffend referiert, allerdings damit meine Frage nicht beantwortet:
1.
Halten Sie es für demokratisch, wenn Parteitage ihre Kandidaten in Hochburgwahlkreisen aufstellen bzw. ihnen "sichere" Listenplätze zuweisen, so daß ihr Einzug ins Parlament schon Monate vor der Wahl faktisch feststeht, die Wahlentscheidung des Bürgers somit zu einem reinen Abnicken von Parteitagsentscheidungen verkommt?
Wie Sie selbst schreiben, kann für Listenkandidaten nur "en bloc" abgestimmt werden, da es sich ja um starre Listen handelt. Könnte man nicht Elemente des Kommunalwahlrechts auf das Bundestagswahlrecht übertragen (Stichworte: flexible Listen, kumulieren), um dem eigentlichen Wahlakt des Bürgers eine größere Bedeutung zu geben?
2.
Steht das dt. Wahlreicht, so wie Sie es beschrieben haben, nicht dem freiem Abgeordnetenmandat entgegen? Die Kandidaten werden, wie ich auch bereits wußte, durch Parteitagsbeschlüsse festgelegt. Besteht nicht Gefahr, daß ein Abgeordneter, wenn seine Wiederaufstellung von der Gnade eines Parteitages abhängig ist, den Mut verliert, für die Partei "unbequeme" Gewissensentscheidungen zu treffen?
3.
Begünstigt das dt. Wahlrecht nicht eine Art "negative Selektion"? Die Schlüsselentscheidungen dafür, ob jemand ins Parlament kommt, treffen die Parteien. Deswegen ist es für den Abgeordneten auch so wichtig, innerhalb der Partei Einfluß zu haben und die Fäden so zu ziehen, daß er aufgestellt wird - und zwar auf einem der aussichtsreichen Plätze. Das setzt aber nach aller Erfahrung voraus, daß er in der Partei eine lange "Ochsentour" absolviert hat - und die können eben vor allem Politiker aus bestimmten Berufsgruppen (Lehrer, Rechtsanwälte) bewältigen, während diejenigen, die wir eigentlich im Parlament bräuchten, hierfür keine Zeit haben.
Mit freundlichen Grüßen
S. Bormes
Sehr geehrter Herr Bormes,
je konkreter die Frage, um so größer die Chance auf eine passende Antwort!
1. Hier muss man genau unterscheiden: Ich kann beim besten Willen kein Demokratiedefizit darin sehen, wenn die Parteibasis einen Bewerber in einem "sicheren" Wahlkreis aufstellt. Sollte die CDU im Emsland auf Kandidaten verzichten?
Plätze auf der Landesliste sind auch nur relativ "sicher" - es gab schon Fälle, wo Platz 1 schon nicht mehr gezogen hat.
2. Die vermeintliche oder tatsächliche Abhängigkeit des Abgeordneten von den Parteigremien ist ein oft strapaziertes Argument. Wer mehr auf seine Wiederwahl als auf sein Gewissen schaut, macht sich immer von denen abhängig, die ihn aufstellen - wer auch immer das ist.
3. Hier sind ihre Ausführungen nicht völlig stringent: Politiker mit Berufserfahrung stellen auf jeden Fall eine Bereicherung des Parlaments dar. Die von Ihnen angesprochene "Ochsentour" ist unabhängig vom Beruf. Es gibt aber offensichtlich politikaffinere Berufe und solche, bei denen politisches Engagement eher weniger häufig ist.
Mit freundlichen Grüßen
Martina Krogmann