Frage an Martina Krogmann von Martin W. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrte Frau Krogmann,
sie haben in einer Antwort auf eine Frage geschrieben, daß das Bundessozialgericht mit Bezug auf die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe am 23. November 2006 entschieden hätte, daß die Hartz-Gesetze nicht verfassungswidrig seien.
Ist Ihnen bekannt, daß das Bundessozialgericht lediglich über Einzelfälle entschieden hat und daß man aus Einzelfällen in der Regel nicht schlußfolgern kann, ob eine gesetzliche Regelung verfassungsgemäß ist? Ist Ihnen bekannt, daß es nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts tatsächlicher Feststellungen bedarf, um feststellen zu können, ob eine gesetzliche Regelung verfassungsgemäß ist?
Ist Ihnen insbesondere bekannt, daß das Bundessozialgericht und die Vorinstanzen bislang keinerlei tatsächliche Feststellungen zu der Frage der Verfassungsmäßigkeit der Hartz-Gesetze getroffen haben und keine Ermittlungen zu der Frage der Verfassungsmäßigkeit der Hartzgesetze angestellt haben?
Ist Ihnen weiter bekannt, daß das Bundesverfassungsgericht kommunale Verfassungsbeschwerden gegen die SGB-II-Arbeitsgemeinschaften "zur Entscheidung angenommen" hat, obwohl das Bundessozialgericht die Hartz-Gesetze, insbesondere die SGB-II-Arbeitsgemeinschaften, für verfassungsgemäß hält? Ist Ihnen bekannt, daß die Vorinstanzen des Bundessozialgerichts keine Sachverständigengutachten zu den SGB-II-Arbeitsgemeinschaften eingeholt haben, obwohl dies - nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts - angezeigt gewesen wäre. Das Bundesverfassungsgericht hat nämlich in der mündlichen Verhandlung am 24.05.2007 Sachverständige zu der Frage der Verfassungsmäßigkeit der Arbeitsgemeinschaften gehört.
Falls Ihnen das alles bekannt sein sollte, aus welchem Grunde behaupten Sie dann noch, die Hartz-Gesetze seien verfassungsgemäß?
Mit freundlichen Grüßen
Martin Wirtz
Sehr geehrter Herr Wirtz,
ich bedauere, dass Sie meine Antwort auf die Anfrage von Herrn Sieg vom 16.7. über die Verfassungsmäßigkeit der Hartz-Gesetze missverstanden haben. Dies heißt im Detail zu ihren einzelnen Fragen:
Mir ist sehr wohl bekannt, dass das Bundessozialgericht lediglich zu Einzelfällen ent-schieden hat. Ich zitiere aus meiner Antwort: „Urteile dieser Art beziehen sich jedoch immer auf Einzelfälle …“
Was die Verfassungsmäßigkeit gesetzlicher Regelungen im Allgemeinen anbelangt, so ist festzuhalten, dass ein Gesetz bis zu einer anders lautenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes prinzipiell verfassungsgemäß ist. Dies ist sichergestellt durch die formale und eingeschränkte materielle Prüfung von Gesetzen durch den Bundespräsidenten (GG Art. 82 Abs. 1 Satz 1): „Die nach den Vorschriften dieses Grundgesetzes zustande gekommenen Gesetze werden vom Bundespräsidenten nach Gegenzeichnung ausgefertigt und im Bundesgesetzblatte verkündet.“ Das Bundesverfassungsgericht kann nur im Nachhinein über die Vereinbarkeit oder Unvereinbarkeit von Gesetzen mit dem Grundgesetz entscheiden. Dann hat diese Entscheidung jedoch Gesetzeskraft (§ 31 2 BVerfGG). Eine positive Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes kann keine Voraussetzung für die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes sein, da ansonsten jedes Gesetz erst einmal verfassungswidrig wäre.
Ebenso ist mir bekannt, dass das Bundesverfassungsgericht eine kommunale Verfassungsbeschwerde gegen die SGB-II-Arbeitsgemeinschaften verhandelt hat. Kläger sind elf Kreise bzw. Landkreise, die meisten aus Bayern und Sachsen. Die mündliche Verhandlung am 24. Mai betraf insbesondere die Frage, ob Zuständigkeiten (Grundsicherung für Arbeitssuchende) ohne vollständigen Ausgleich der Mehrbelastungen zugewiesen werden können, sowie die Verpflichtung zur Bildung von Arbeitsgemeinschaften mit der Agentur für Arbeit. Es geht also lediglich um administrative Fragen, nicht jedoch um tatsächliche Leistungen für Arbeitslose.
Nach Aussage des Verfassungsgerichts wird der Zweite Senat wohl im Herbst dieses Jahres ein Urteil verkünden. Bis dahin gilt jedoch - wie oben bereits geschrieben, dass die gesetzliche Regelung - in diesem Fall das Zweite Sozialgesetzbuch nach den Änderungen durch das Zweite und Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (Hartz II und Hartz IV) – nicht mit dem Grundgesetz unvereinbar sind.
In der Tat hat das Bundesverfassungsgericht in der Verhandlung über die von Ihnen angesprochene Klage auch sogenannte fachkundige Dritte gehört, was keinesfalls ungewöhnlich ist. Dass das Bundessozialgericht in dieser Frage keine Sachverständigen gehört hat, liegt daran, dass es mit dieser Frage überhaupt nicht befasst war. Die Klage der Landkreise wird erstinstanzlich vom Bundesverfassungsgericht bearbeitet, da es sich um eine Organstreitigkeit handelt (Kommunen gegen Bund).
Zu Ihrer letzten Frage, wie ich behaupten könne, die Hartz-Gesetze seien verfassungsgemäß: An keiner Stelle meiner Antwort habe ich dies geschrieben. Ich habe geschrieben, dass das Bundessozialgericht die Zusammenlegung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe nicht als verfassungswidrig angesehen hat. Ich zitiere aus dem Urteil: „Es ist nicht verfassungswidrig, dass die Arbeitslosenhilfe durch die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB 2 ersetzt worden ist“ (Bundessozialgericht; Urteil vom 23.11.2006, B 11b AS 1/06 R). Ich bin der Ansicht, dass die Hartz-Gesetze im Kern nicht dem Grundgesetz widersprechen, sonst hätte ich sicherlich im Bundestag dagegen gestimmt. Auch der Bundespräsident hat diese Gesetze nach eingehender formaler und inhaltlicher Prüfung unterschrieben. Kein Gericht hat die wesentlichen Bestimmungen der Gesetze bisher für verfassungswidrig erklärt, dies gilt auch für das Bundesverfassungsgericht, dass in solchen Fragen die maßgebliche Instanz ist.
Mit freundlichen Grüßen
Martina Krogmann