Frage an Martina Gregersen von Sonja J. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrte Frau Gregersen,
Auf Ihr Geraderücken der sozialpolitischen Fortschritte kurz eingehend:
"Allerdings hatten die SozialhifleempfängerInnen keinen Anspruch auf Leistungen der aktiven Arbeitsmarktpolitik der Bundesagentur für Arbeit. Diese Tatsache hat zusammen mit problematischen Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt dazu geführt, dass es so gut wie keine Perspektive für viele SozialhilfeempfängerInnen gab, aus dieser Lage herauszukommen. Das ist die erste Verbesserung, die wir mit Hartz IV erreicht haben"
Wenn der Zugang von SozialhilfeempfängerInnen zum ersten Arbeitsmarkt bisher so schwierig war, dann stellt sich mir die Frage, warum das sogenannte Hartz 4 - Gesetz sich am Maßnahmenkatalog der Sozialhilfe orientiert und diese nun einer größeren Bevölkerung aufgezwungen wird. Dabei gänzlich außer acht gelassen wird, dass aufgrund der stetig steigendenden Produktivität und des konstant steigenden technischen Fortschritts zwangsläufig Arbeitsplätze im klassischen Sinn verloren gehen, die durch 1€ - Jobs, im Sinne des ALG II auch nicht gerettet werden können.
Ich frage mich seit der Diskussion um Hartz 4, ob das Thema Globalisierung von der Politik und Wirtschaft tatsächlich inhaltlich erfasst wird, denn die Chancen der Globalisierung werden weder bei Hartz 4 noch bei öffentlichen Stellungnahmen entsprechender Wirtschaftsorgane angesprochen oder berücksichtig, was meiner Meinung nach in der engbegrenzte und auch sehr ideologisch geführten "Scheindebatte" um Kostendruck, Arbeitszeit und Arbeitnehmerrechte seinen Höhepunkt findet.
Themen wie Abbau von Hierarchien, interdisziplinäres Denken und Handeln, Kommunikation oder das Ineinandergreifen von verschiedenen beruflichen Verhältnissen in der individuellen Biografie (angestellt oder selbstständig) wurden nicht konkretisiert und somit auch die Rahmenbedingungen wie Föderalismus, Versicherungsschutz, Rentenkasse, Steuergesetzgebung nicht den Anforderungen einer globalisierten Wirtschaftspolitik entsprechend aktualisert. Somit wurden die meiner Ansicht nach effektivsten Mechanismen nicht genutzt, zu Lasten der Arbeitssuchenden.
Abschließend sei noch erlaubt anzumerken, dass die durchaus konträr verlaufenden Umsetzung und Interpretation der ALG II Richtlinien eine behördliche Willkür begünstigen, während den Betroffenen hingegen wenig Spielraum für Eigeninitiative zugestanden wird.
Aufgrund dieser Reform sehe ich für Deutschland wenig Chancen, den nationalen Arbeitsmarkt konstruktiv zu reformieren und die Bevölkerung motivierend und optimistisch in die 3. Phase der Globalisierung aktiv miteinzubeziehen.
Wieso glauben Sie, dass sich diese Reform positiv auf den Arbeitsmarkt auswirkt?
Danke für die Mail. Leider kann ich sie aber momentan nicht beantworten, denn nun mache Urlaub an der See! Frisch erholt werde ich mich ab dem 6.8. um eine zügige Beantwortung bemühen.
Auch Ihnen wünsche ich einen schönen Sommer,
Ihre Martina Gregersen
Sehr geehrte Frau Junginger,
vielen Dank für Ihre Frage. Sie sprechen mehrere Punkte an, auf die ich gerne eingehen möchte:
Gleich zu Beginn zitieren Sie einen Absatz aus einer meiner früheren Antworten. Dieser Absatz bringt die Tatsache zum Ausdruck, dass bis zur Hartz IV-Reform Sozialhilfeempfänger reine Transferleistungsempfänger waren. Das heißt, sie bekamen zwar Geld (sog. Hilfe zum Lebensunterhalt), hatten aber keinen Anspruch auf das arbeitsmarktpolitische Instrumentarium der Bundesagentur. Dieses Instrumentarium blieb ausschließlich Arbeitslosengeld- bzw. Arbeitslosenhilfeempfängern vorbehalten. Mit Hartz IV hat sich das geändert: alle Instrumente der aktiven Arbeitsmarktpolitik stehen grundsätzlich allen erwerbsfähigen Hilfeempfängern zu, egal, ob sie vorher Beiträge zur Arbeitslosenversicherung bezahlt haben oder nicht. Sämtliche ehemaligen Sozialhilfeempfänger, auch wenn sie nie gearbeitet haben, werden also den ehemaligen Arbeitslosenhilfeempfängern in diesem Punkt rechtlich gleichgestellt. Das verbessert ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt.
Im Übrigen ist es falsch zu sagen, dass sich das Gesetz am Maßnahmenkatalog der Sozialhilfe orientiert. Lediglich die Höhe des Arbeitslosengeldes II orientiert sich am Regelsatz, den es im ehemaligen Bundessozialhilfegesetz auch gab. Dieser Regelsatz gilt für alle Empfängergruppen nach Sozialgesetzbuch II und Sozialgesetzbuch XII gleichermaßen und ist nicht wie das Arbeitslosengeld I am ehemaligen Einkommensstatus des Empfängers orientiert.
Ein weiterer Punkt Ihrer Beitrags ist der geringe Spielraum der Betroffenen bei der Umsetzung der ALG II Richtlinien. Die Defizite der Hamburger Jobcenter im Bereich der Integrationsförderung sind bekannt. Pauschale Forderungen wie 10 Bewerbungen pro Woche halte ich für falsch. Gangbare Wege zur Verbesserung der Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt müssen auf Augenhöhe in einer Eingliederungsvereinbarung abgemacht werden. Die Stellung der Arbeitssuchenden im Hilfeprozess muss gestärkt werden. Dafür ist individuelle Beratung durch Fallmanager nötig, die qualifiziert sein müssen und Zeit für den Einzelfall brauchen. Um Ungerechtigkeiten zu vermeiden und Transparenz und Qualität der Beratung in den Jobcentern zu verbessern, brauchen wir eine unabhängige Hamburger Hartz IV Ombudsstelle sowie die Finanzierung unabhängiger Beratung.
Mit dem Thema Globalisierung sprechen Sie einen Problemkomplex an, für den es keine einfachen Lösungen gibt und den ich auch an dieser Stelle nicht erschöpfend behandeln kann. Sicher haben Sie recht, dass dieses Thema in Wirtschaft und Politik oft ausgeblendet wird zugunsten einer Debatte auf so genannten „Nebenkriegsschauplätzen“.
Dennoch ist die Auseinandersetzung mit den von Ihnen genannten Beispielen Kostendruck, Arbeitszeit und Arbeitnehmerrechten auch eine Folge der globalisierten Wirtschaft.
Seit den 70er Jahren erleben wir in Deutschland einen tief greifenden Wandel unserer Arbeits- und Produktionsverhältnisse. Das so genannte Normalarbeitsverhältnis, also die lebenslange, nicht durch Arbeitslosigkeit unterbrochene, sozialversicherungspflichtige Vollzeitbeschäftigung auf einem qualifizierten Arbeitsplatz gilt für immer weniger Menschen. An diesem Normalarbeitsverhältnis orientieren sich bis heute auch unsere sozialen Versicherungssysteme, vor allem die Rentenversicherung, wenn es auch bereits unter rot-grün eine gewisse Entkoppelung der Sicherungssysteme von diesem Normalarbeitsverhältnis gegeben hat. Die Einführung der Bürgerversicherung würde eine weitere Entwicklung weg von der starren Koppelung der Sozialversicherung an die Löhne und Gehälter bedeuten.
In Zukunft wird es entscheidend sein, ob Deutschland international konkurrieren kann; nicht um billige, sondern um innovative Konzepte und kreative Produkte und Dienstleistungen. Durch Investitionen ins Bildungssystem und die Erhöhung der Ausgaben für Forschung und Entwicklung können neue Produkte und Produktionsverfahren und somit neue Beschäftigungsfelder erschlossen werden.
Im unteren Einkommensbereich müssen die Lohnnebenkosten gesenkt werden, da sie besonders beschäftigungshemmend wirken. Die hohen Arbeitgeberanteile zu den Sozialversicherungen führen in diesem Einkommenssegment dazu, dass viele Arbeitgeber auf die Einrichtung solcher Arbeitsplätze verzichten. Für Arbeitnehmer würde sich Schwarzarbeit weniger lohnen, wenn die Differenz zwischen Brutto- und Nettolohn nicht mehr so groß wäre. Finanzierbar ist diese Senkung der Lohnnebenkosten durch die Einführung progressiver Sozialversicherungsbeiträge vergleichbar mit der Steuerprogression. Niedrigere Bruttoeinkommen müssen prozentual weniger Sozialversicherungsabgaben leisten, höhere und hohe Einkommen entsprechend mehr.
Darüber hinaus muss alles getan werden, um auf internationaler Ebene, zunächst in der EU, gleiche Umwelt- und Sozialstandards einzuführen.
Abschließend möchte ich noch auf Ihre Schlussfrage eingehen, wieso ich glaube, dass sich Hartz IV positiv auf den Arbeitsmarkt auswirkt?
Wir hatten nie davon gesprochen, dass sich die Reform der Arbeitsverwaltung direkt positiv auf den Arbeitsmarkt auswirkt, also auf die Entstehung neuer sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplätze. Die Reform zielt vielmehr auf eine bessere Integration arbeitsloser Menschen in den Arbeitsmarkt durch verbesserte weil qualifiziertere Betreuung und passgenaue Vermittlung durch Berücksichtigung der individuellen Besonderheiten des Einzelfalls. Diese Reform muss begleitet sein durch weitere Reformen, von denen ich oben einige genannt habe.
Mit freundlichen Grüßen
Martina Gregersen