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Martin-Sebastian Abel
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Frage von Sandra L. •

Frage an Martin-Sebastian Abel von Sandra L. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie

Sehr geehrter Herr Landtagsabgeordneter Abel.

Am 03.12. haben Sie den Haushaltsetat 2015 festgelegt und Mittel für ein Centrum zur Entwicklung von Ersatzmethoden zu Tierversuchen (CERST NRW) bereitstellen können, welches schon bald seine Arbeit aufnehmen soll.
Sie geben an, dass Sie mit dem Hochschulzukunftsgesetz unter Zielen von Forschung und Lehre wieder einen Tierschutzparagraphen verankern konnten.

Die neue Tierversuchsrichtlinie der EU stellt ausdrücklich fest, dass Tests an lebenden Tieren für wissenschaftliche Zwecke und Bildungszwecke vollständig durch tierfreie Methoden zu ersetzen sind.

Auch die deutsche Bundesregierung behauptet, Tierversuche reduzieren und die Entwicklung tierfreier Forschungsmethoden vorantreiben zu wollen.

Nach wie vor fällt die Verteilung der öffentlichen Fördergelder höchst einseitig zu Ungunsten der tierfreien Forschungsverfahren aus.
So fördert der Bund laut Auskunft des Landwirtschaftsministeriums die Entwicklung von Alternativmethoden jährlich mit rund 4,5 Mio Euro (und sonstige Maßnahmen zur Reduzierung von Tierversuchen mit weiteren 4 Mio Euro), während ein Milliardenbetrag in die Forschung mit Tierversuchen fließt.

http://www.lobby-pro-tier.de/lpt2011/Tierversuchsfreie-Forschu.81.0.html

Eine weitere große Ungerechtigkeit besteht darin, dass Alternativmethoden einen sehr hohen Standard erfüllen müssen bis sie zugelassen werden. Dieser gilt aber nicht für die Methodik Tierversuche.

Meine Fragen an Sie als tierpolitischer Sprecher und Mitglied im Ausschuss für Innovation, Wissenschaft und Forschung lauten daher, welche Mittel dem Land 2015 für CERST NRW genau zur Verfügung stehen, welche Mittel dem Land NRW im Jahr 2015 für Tierversuche zur Verfügung gestellt werden und zu wann eine Umstellung der Primatenversuche am Affenlabor COVANCE auf eine tierversuchsfreie Methodik laut EU-Richtlinien geplant ist.

Ich bedanke mich vorab für eine Beantwortung meiner Fragen.

Mit freundlichen Grüßen,

Sandra Lück

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrte Frau Lück,

Danke für Ihre Fragen.
Zunächst darf ich für die anderen LeserInnen einen Hinweis geben: Die Fragestellerin hatte zuvor per Mail an mehrere Abgeordnete Anfragen gesendet, in der die Haltung zu Tierversuchen im Allgemeinen und zu speziellen Versuchen abgefragt wurde. Meine Antworten auf diese Fragen wurden kopiert und anschließend in Blogs und Sozialen Netzwerken aus dem Zusammenhang gerissen oder mit falschen Behauptungen versehen. Die Einschätzungen von anderen Kollegen wurden vice versa als Kronzeugen für die von den Fragestellern geteilten Haltung zu Tierversuchen genutzt. Auch zu dieser Anfrage wurde bereits, obwohl noch keine Antwort vorliegt, auf Facebook eine Wertung vorgenommen: es geht um angebliche Milliarden-Subventionen aus Steuermitteln für Tierversuche. Die Antwort steht also im Vorhinein fest. Da Sie, sehr geehrte Frau Lück, in der so genannten Tierschutzpartei aktiv sind, gehe ich davon aus, dass Sie die Antworten zur Untermauerung einer Kampagne oder als Argumentationshilfe für den nächsten Wahlkampf sammeln möchten.

Vielleicht lesen aber auch andere Menschen diese Frage und deshalb möchte sie nicht unbeantwortet lassen.

Die grundgesetzlich geschützte Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG) sichert den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die Freiheit zu die Forschungen zu betreiben, die sie betreiben möchten, solange dies nicht gegen andere Regelungen verstößt, die ein gleich- oder höherwertiges Verfassungsgut schützen. Zum Schutze des Wissenschaftspluralismus wird dieser Begriff sehr weit gefasst. Das Bundesverfassungsgericht hat dies wie folgt formuliert „…alles, was nach Inhalt und Form ernsthafter planmäßiger Versuch zur Ermittlung der Wahrheit anzusehen ist." Inwieweit sich dieser weit gefasste Schutzgegenstand auch auf die außeruniversitäre Forschung und die Forschung in der Industrie bezieht, ist nicht unumstritten, siehe den folgenden Abschnitt zu Covance. Der Staat kann jedoch nur im Rahmen seiner zeitlich begrenzten Projektmittel Vorgaben machen, dass mit diesen Mitteln beispielweise keine Tierversuche durchgeführt werden dürfen, kann aber keine solchen Vorgaben für die aus der Grundfinanzierung oder anderen Quellen finanzierten Forschungen machen. Im Ergebnis ist Ihre Aussage über ein Ungleichgewicht zwischen Ersatz- und Alternativmethoden zu Tierversuchen und "konventioneller" Forschung mit Tierversuchen sicherlich richtig und auch beklagenswert. Jedoch resultiert dies nicht aus einer von Ihnen unterstellten absichtlichen Bevorzugung der Industrie oder einer "Tierversuchslobby".

Für die Industrie (bspw. für Covance) können wir entsprechend der oben gemachten Ausführungen gar keine Vorgaben, wie z.B. für Projektmittel aus Steuergeldern, machen. Nach meinem Wissen erhält dieser Konzern überhaupt keine Landesmittel. Mir ist bekannt, dass Covance in den Vereinigten Staaten mehrfach angezeigt und auch verurteilt wurde, z.T. wegen Verstoß gegen Tierschutzrichtlinien. Auch in den vergangenen Jahren war die Haltung in Münster immer wieder Gegenstand öffentlicher Kontroversen. Über eventuelle Verstöße gegen das Tierschutzgesetz kann ich keine Aussagen machen. Selbstverständlich steht aber auch diese Forschungseinrichtung unter staatlicher Aufsicht. Wenn es hier Verstöße gegen das Tierschutzgesetz oder andere Regelungen gibt, muss diesen nachgegangen werden. Wenn Sie konkrete Hinweise haben, wenden Sie sich bitte an die zuständigen Ermittlungsbehörden. Wir können jedoch nicht, wie von Ihnen suggeriert, Covance „umstellen“. In diesem Zusammenhang interpretieren Sie die sogenannte EU-Tierversuchsrichtlinie auch falsch:

Die Richtlinie 2010/63/EU sieht nicht den sofortigen und vollständigen Ausstieg aus jeglichen Tierversuchen vor, sondern setzt das Ziel, dass auf den Einsatz von Tieren in Versuchen verzichtet wird, wo es möglich ist (siehe insbesondere Artikel 4 der Richtlinie: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2010:276:0033:0079:de:PDF ). Die deutsche Gesetzgebung steht mit dieser Richtlinie in Einklang, auch die Regelung im nordrhein-westfälischen Hochschulgesetz (die sich zudem am Grundgesetz orientiert). Daher ist es so wichtig Alternativmethoden zu Tierversuchen zu entwickeln: sobald es valide alternative Verfahren gibt, müssen diese statt Tierversuchen angewendet werden.

Mit dem Haushalt 2015 stellt das Land NRW dem IUF jährlich zusätzlich 200.000 Euro im Rahmen einer Sonderfinanzierung für eine zusätzliche Personalausstattung des CERST zur Verfügung. Das IUF selbst ist ein von Bund und Land finanziertes außerhochschulisches Forschungsinstitut der Leibniz-Gemeinschaft, das sich auch anderen Aufgaben widmet. Die Einrichtung eines solchen Centrums ist ein wichtiger Schritt für den Tierschutz und für die Wissenschaft. Sämtliche seriösen Verbänden und Organisationen aus dem Tierschutz haben diesen Schritt einhellig begrüßt. Auch die grün-rote Landesregierung in Baden-Württemberg hat eine Stiftungsprofessur eingerichtet, die den selben Zweck verfolgt.

Wir verfolgen das Ziel, irgendwann ganz auf Tierversuche verzichten zu können, denn diese bleiben ein ethisches Dilemma und werden methodisch und methodologisch kritisiert. Das Ende der Tierversuche führt über ihren Ersatz durch tierversuchsfreie Verfahren. Doch bis sich dieser Anspruch erfüllt, ist noch viel Forschung erforderlich. Zur vollständigen Wahrheit gehört nämlich auch, dass wir in manchen Feldern heute noch nicht auf Tierversuche verzichten können, da zum Beispiel eine moderne Medizin ohne diese Versuche nicht möglich ist. Eine alleinige Testung von Wirkstoffen oder auch Chemikalien direkt am Menschen ist nicht in allen Fällen möglich und auch ethisch nicht vertretbar.

Als überzeugter Tierschützer kann ich für mich zu der Überzeugung gelangen, dass ich diese Versuche dennoch für nicht vertretbar halte. Als gesunder Mensch mag diese Perspektive auch noch anders sein als für einen unheilbar oder schwer kranken Menschen. Nun lese ich in Statements von Tierrechtlern immer wieder die These, dass die meisten Tierversuche ohnehin nur für Zivilisationskrankheiten gebraucht würden, die durch gesunde Lebensweise, wobei in der Regel Veganismus gemeint ist, zu vermeiden wären. Ohne Zweifel gibt es unbestreitbare Zusammenhänge zwischen unserer Lebensweise und unserem Gesundheitszustand. Nur kann auch der nichtrauchende, vegan lebende und saisonal ernährte Triathlet auf medizinische Hilfsmittel oder Verfahren angewiesen sein, die zuvor an Tieren getestet wurden. Selbst wenn ein Mensch zu der Überzeugung gelangt, solch eine Therapie aus ethischen Gründen auszuschlagen, ergibt sich daraus kein Recht oder Anspruch, diese Entscheidung auf andere zu übertragen oder besser gesagt für andere zu treffen. Der in dieser Argumentation anklingende „Tun-Ergehen-Zusammenhang“ bestimmt zunehmend den Diskurs über unsere Gesundheit und staatlichen Gesundheitssysteme. Dabei ist dieser aus ethischen Gründen abzulehnen, denn jeder Mensch hat unabhängig von seiner Lebensweise das gleiche Recht auf medizinische Versorgung. Solange eine Mehrheit nicht auf den medizinischen Fortschritt verzichten will, und das sehe ich nicht und hielte ich auch für problematisch, müssen wir mit Tierversuchen leben.

Selbstverständlich ist dies kein Freibrief und jeder Tierversuch muss im Einzelfall geprüft und ethisch hinterfragt werden. Das bedeutet also auch, dass die Abwägungs- und Entscheidungsprozesse anders strukturiert sein müssen als bisher. So sind Tierversuche für Kosmetika inzwischen nicht nur europaweit verboten, sondern sogar die Einfuhr solcher Produkte ist untersagt. Das ist ein großer Erfolg für den Tierschutz und auch ganz konkret Erfolg Grüner Politik. In Deutschland sind Tierversuche zur Testung von Munition oder Waffen sowie für Tabakprodukte schon länger Verboten. Ich bin auch dafür, dass hier dieselbe Regelung gilt, wie für Kosmetika und die Einfuhr dieser Produkte untersagt wird. Auch sind viele rechtliche Vorschriften zur Umweltverträglichkeitsprüfung (Stichwort REACH) veraltet und entsprechen weder dem Stand der wissenschaftlichen Forschung noch hielten Sie einer ethischen Überprüfung stand, wie zum Beispiel Umweltverträglichkeitsprüfungen für Pflanzenschutzmittel, die ausschließlich für den industriellen Anbau von Mono-Kulturen benutzt werden. Aber wie sieht es bei lebensrettenden Therapien aus? Beispielsweise wäre eine Organtransplantation ohne die entsprechenden Medikamente, ohne Immunsuppressiva, die eine Abstoßung von transplantierten Organen verhindern, nicht möglich. Diese wurden in Tierversuchen entwickelt und werden ständig weiter verbessert. In diesen Fällen kann ich trotz schwerwiegender Bedenken nicht zu dem Schluss kommen, diesen Patienten eine Therapie zu verweigern. Können Sie?

Martin-Sebastian Abel MdL