Sehr geehrter Herr Professor Schwab, wie stehen Sie zur Meinungsfreiheit an Universitäten?
Meine Antwort beginne ich mit der Definition, die das Bundesverfassungsgericht dem Begriff der "Wissenschaft" in Art. 5 Abs. 3 GG gegeben hat: Wissenschaft ist die planmäßige Suche nach der Wahrheit. Ein Wissenschaftler sucht also die Wahrheit. Er behauptet nicht, sie gefunden zu haben. Wenn er Forschungsergebnisse veröffentlicht, behauptet er allenfalls, der Wahrnheit nähergekommen zu sein oder einen Beitrag zur Annäherung an die Wahrheit geleistet zu haben. Sobald aber jemand mit der Behauptung antritt, die Wahrheit gefunden zu haben, ist er in Wirklichkeit mit einem wissenschaftsfremden Absolutheitsanspruch unterwegs.
Dem Ziel von Wissenschaft, die Wahrheit zu suchen, widerstrebt ferner jegliches partei- oder machtpolitische Kalkül. Wissenschaft ist gerade auch dort geschützt, wo ihre Ergebnisse den Herrschenden nicht in den Kram passen.
Dies alles zu betonen besteht deshalb Anlaß, weil an den deutschen Universitäten seit längerer Zeit - auch schon lange vor Corona - ein beschämendes Phänomen Schule macht: die sog. Cancel Culture. Damit ist der Versuch einiger Akteure gemeint, bestimmte Personen und bestimmte Denkrichtungen komplett aus dem universitären Diskurs auszuschließen. Es heißt dann immer, besagten Personen oder Denkrichtungen dürfe man keine Bühne bieten. Ein Beispiel: Im Herbst 2009 war Wolfgang Schäuble, damals Bundesinnenminister, am Fachbereich Rechtswissenschaft der FU Berlin (meiner damaligen Wirkungsstätte) zu einem Vortrag zu Gast. Es gab massive Versuche, diese Veranstaltung zu sprengen. Erfolglos. Ich war nie ein Fan von Herrn Schäuble. Ich bin zu dem Vortrag auch nicht hingegangen. Und trotzdem war es gut, daß der Vortrag stattgefunden hat - damit diejenigen, die Herrn Schäuble hören wollten, auch die Chance dazu bekamen. Versuche, akademische Veranstaltungen mit bestimmten Personen oder Inhalten zu verhindern oder zu stören, gibt es immer wieder. Und das ist beschämend. Denn Denk- und Sprechverbote haben in einem Wissenschaftsbetrieb nichts verloren. Solche Verbote sind Hindernisse auf der Suche nach der Wahrheit.
Ein leider beliebter Trend - schon vor Corona, aber verstärkt seit dem Ausbruch der Corona-Krise - ist der Versuch, Andersdenkende zu diffamieren, indem man versucht, sie in die Nazi-Ecke zu drängen. Diesen Trend findet man in den Medien, leider aber auch an den Universitäten. Aktuell bin ich auch selbst davon betroffen: Meine Haltung zu Corona und meine Kritik an der einseitigen Berichterstattung hierüber in den Altmedien missfällt dem AStA (Allgemeiner Studierenden-Ausschuß - so nennt man die organisierte studentische Interessenvertretung an den Unis). Sachargumente gegen mich, die auch nur halbwegs belastbar wären, hat der AStA nicht. Also hetzt er gegen mich, indem er in dieses übliche Nazi-Rechts-Rechts-Nazi-Horn bläst.
Ich habe auf die AStA-Hetze mit einem zweiseitigen Statement reagiert. Meine Kernbotschaft: Vor diesen selbsternannten Tugendwächtern werde ich keinen Millimeter weichen. Jeder, der mich kennt, weiß, daß rechtsextremes Gedankengut mir absolut fremd ist. Ich muß das niemandem beweisen, schon gar nicht dem AStA. Die Vorwürfe gegen mich sind kontruiert und absolut lächerlich. Ich werde weiterhin für meine Studierenden da sein - und von mir bekommen sie für ihr Studium viel mehr Unterstützung, als sie der AStA ihnen jemals bieten könnte.
Nazi-Framing gefährdet die in Deutschland so wichtige Erinnerungskultur. Wer unbescholtene Menschen, die einfach nur ihr Leben zurückhaben wollen, mit Neonazis gleichsetzt, banalisiert das Treiben derjenigen, die wirklich mit ausländerfeindlichem und rassistischem Gedankengut unterwegs sind, und verharmlost auf diese Weise das NS-Unrecht. Und auch das Nazi-Framing enthält den perfiden Versuch, Denk- und Sprechverbote zu etablieren. Solche Verbote dürfen gerade an einer Universität keinen Platz haben.