Frage an Martin Neumann von Ingo K. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Zum Whistleblower-Schutz (Schutz von Personen welche Missstände öffentlich machen) beziehen Sie eine neutrale Position bzw. beziehen Sie sich lediglich auf den Informatenschutz. Daher meine Frage: Liegt es nicht auch im (mitunter existentiellen) Interesse eines Unternehmens, dass ein Missstand - wie z.B. die unzureichend geprüfte Einführung von Contergan - umgehend und möglichst vor dem Schadensfall auch ohne Anonymität des Whistleblowers öffentlich gemacht wird?
Mit freundlichen Grüßen
Ingo Karras
Whistleblower gegenüber der ehemaligen
Leitung der Hochschule Lausitz
Sehr geehrter Herr Karras,
vielen Dank für Ihre Anfrage zum Thema Whistleblower-Schutz in Deutschland.
Selbstverständlich ist es nicht nur im Interesse etwa betroffener Verbraucher oder Geschäftspartner, sondern auch des Betriebes selbst, dass Arbeitnehmer ermuntert werden, sich für die Einhaltung rechtlicher Vorgaben verantwortlich zu fühlen. Die zu Recht vom Arbeitgeber erwartete Loyalität seiner Arbeitnehmer darf nicht missverstanden werden, um Arbeitnehmern quasi zu vermitteln, sie müssten sich zu Komplizen möglicherweise vorhandener unrechtmäßiger Praktiken machen. Vielmehr muss es gerade im Sinne der rechtstreuen Unternehmen sein, selbstbewusste Arbeitnehmer gerade durch die Offenheit des Betriebsklimas für ihren Arbeitgeber einzunehmen.
Aus Sicht der FDP-Fraktion wäre es daher wünschenswert, wenn im Zusammenhang mit Compliance-Regelungen in den Betrieben die Voraussetzungen geschaffen werden könnten, Missstände auch dadurch zu bekämpfen, dass Arbeitnehmer sich nicht scheuen, tatsächlich bestehende Missstände zur Anzeige zu bringen. Dabei muss natürlich ein Interessenausgleich zwischen den Belangen des Arbeitgebers und des Arbeitnehmers gefunden werden, der zugleich arbeitsrechtlichen oder etwa datenschutzrechtlichen Anliegen Rechnung trägt. Bereits nach geltender Rechtslage können sich Arbeitnehmer etwa an den Betriebsrat wenden. Eine verbesserte Information der Arbeitnehmer über bestehende Möglichkeiten begrüßt die FDP-Fraktion. Beispiele aus der Vergangenheit, wo Arbeitnehmer, die einen Rechtsbruch melden wollten, aufgrund fehlender Informationen über Ansprechpartner erst sehr spät in der Lage waren, strafbares Handeln zur Anzeige zu bringen, müssen zum Anlass genommen werden, hier die Aufklärung zu verbessern.
Zugleich darf und muss natürlich der Arbeitgeber erwarten, dass eine Störung des Betriebsklimas durch Denunziantentum unterbleibt. Hier gilt es, durch klare Regelungen im Betrieb einen Riegel vorzuschieben. So sind etwa die Vorschläge der Art. 29-Gruppe der EU erwägenswert, wonach Anzeigenden Vertraulichkeit zugesichert werden sollte, jedoch der Angezeigte informiert werden muss, sofern nicht dadurch das Risiko der Verdunklung besteht. In Fällen, in denen eine bewusst falsche Anzeige gestellt wurde, soll der Angezeigte den Namen des Anzeigenden erfahren. Nur in Ausnahmefällen sollten anonyme Anzeigen akzeptiert werden.
Eine Verbesserung des Whistleblower-Schutzes durch die Anpassung des gesetzlichen Rahmens kam trotz der Ankündigung von Bundeskanzlerin Merkel beim G20-Gipfel in Seoul am 12. November 2010 in dieser Wahlperiode nicht zustande, da unser Koalitionspartner auf erheblichen Klärungsbedarf im Hinblick auf Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit verwies. Die FDP-Fraktion hatte sich hingegen für eine Regelung im Bereich des Arbeitnehmerdatenschutzes ausgesprochen. Bislang vorgelegte gesetzliche Regelungsansätze wie etwa derjenige der SPD-Fraktion, zu dem am 12. März 2012 eine öffentliche Anhörung im Deutschen Bundestag stattfand, erfüllten allerdings auch aus Sicht der FDP-Fraktion jedenfalls nicht die Maßstäbe, die an eine verhältnismäßige und interessengerechte Lösung zu stellen wären. Der SPD-Vorschlag wurde in der erwähnten Anhörung im Ausschuss für Arbeit und Soziales des Deutschen Bundestags von den Sachverständigen kritisch bewertet, unter anderem, da eine an das US-Recht angelehnte Regelung mit dem deutschen Kündigungsschutzrecht nicht in Einklang zu bringen wäre, und da Regelungen zum Schutz zu Unrecht "angeschwärzter" Personen unzureichend waren.
Die FDP-Fraktion wird sich auch in Zukunft für eine faire und interessengerechte, ausgleichende Lösung einsetzen. Wir sind überzeugt, dass ein offenes und vertrauensvolles Betriebsklima ebenso wie fairer Wettbewerb rechtstreuer Unternehmen die Grundlage wirtschaftlichen Erfolgs darstellen. Schwarze Schafe dürfen sich nicht auf den Schutz der Ordnungspolitik berufen, zugleich darf nicht durch die Förderung von Denunziantentum Missgunst und Misstrauen in den Betrieben gesät werden.
Mit besten Grüßen aus Berlin
Prof. Dr.-Ing. Martin Neumann MdB