Frage an Martin Neumann von Thomas G. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Prof. Dr. Martin Neumann,
Die FDP versteht sich als Partei der Liberalen d. h der Theorie der Freiheit des Individuums.
Wie stehen denn sie (oder die FDP) zu libertären (anarchistischen) Theorien, die jede Form von Hierarchie d. h Staat, Kapital, Rassismus, Sexismus wegen der Einschränkung der individuellen Selbstbestimmung ablehnt?
Sehr geehrter Herr Glänzel,
die FDP ist die einzige liberale Partei in Deutschland. Wir Liberalen haben die soziale Marktwirtschaft mitgestaltet. Wir richten unsere Politik an die Kraft des Individuums und an den Bürger als Zentrum der Gemeinschaft. Gleichzeitig versuchen wir, jedem Bürger eine Chancengerechtigkeit zu gewähren. So soll jedem die Chance zukommen, aus seinem Leben zu jeder Zeit "etwas zu machen".
Sie erkennen in Ihrer Frage ganz richtig, dass zwischen liberal und libertär deutliche Unterschiede bestehen. Der Liberalismus, der das politische Leitbild der FDP, mithin auch mein Prinzip, darstellt, unterscheidet sich deutlich von Anarchismus und Wirtschaftsanarchismus.
Als Liberaler möchte ich nicht den Staat abschaffen. Ich möchte einen schlanken und sparsamen Staat, der in seinen Kernaufgaben kraftvoll wirkt. Ein starker und wirkungsvoller Staat ist Voraussetzung für ein friedliches Zusammenleben, Sicherheit und Wohlstand. Bestimmte Gemeinwohlinteressen lassen sich nun mal nicht bilateral erreichen.
Auch richtig erkennen Sie, dass die FDP die Freiheit des Individuums hochhält. Unnötige Vorschriften schaffen Bürokratie und behindern den Bürger. Viele politische Kräfte in Deutschland versuchen zugleich, in jeden Winkel der individuellen Lebensgestaltung einzugreifen. Wir wollen nicht den Bürgern vorschreiben, an welchen Tagen sie Fleisch essen dürfen. Wir wollen nicht, sprichwörtlich, die Krümmung jeder Gurke im Gesetz festlegen. Wir machen Politik, um jedem Bürger und jeder Bürgerin die Freiheit zur Entscheidung zu lassen, auch wenn das die Freiheit zur Fehlentscheidung einschließt.
Als Liberaler glaube ich an das Zusammenspiel von Freiheit und Verantwortung. Es sind zwei Seiten einer Medaille. Ich glaube an bürgerschaftliches Engagement und das Ehrenamt. Ich glaube an die Gleichheit vor dem Gesetz, aber auch, dass manche unserer Mitmenschen vor Diskriminierung geschützt werden müssen.
Schlussendich lässt sich nicht jeder Politikbereich aus der Theorie ableiten, als Politiker treffe ich regelmäßig Abwägungen zwischen Nutzen und Nachteil neuer Gesetze und Regelungen. Nicht immer kann die pure philosophische Betrachtung, die "reine Lehre", mit der Lebenswirklichkeit und der Verantwortung für viele Bürger und für die Zukunft des Landes in Übereinstimmung gebracht werden.
Ich hoffe, meine Ausführungen wurden Ihrer Frage gerecht.
Mit besten Grüßen aus Berlin
Prof. Dr.-Ing. Martin Neumann MdB