Frage an Martin Neumann von Guido F. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Neumann,
in Ihrer Antwort an Herrn Philipp schreiben Sie:
"Das Verfassungsgericht hatte festgestellt, dass das Betäubungsmittelgesetz verfassungsgemäß ist, da es in Verbindung mit den Prozessordnungen den Behörden bei der Verfolgung von Verstößen gegen das Gesetz erlaubt, von einer Verfolgung bzw. Bestrafung von vornherein abzusehen."
In der Studie "Drogen und Strafverfolgung" weisen die Autoren Carsten Schäfer und Letizia Paoli u. a. darauf hin, dass lediglich bei einer "Idealkostellation", welche nur in 20% der Fälle bis 6 g Cannabis auftritt, von einer Einstellung des Verfahrens nach § 31a BtMG ausgegangen werden kann. (vgl. http://tinyurl.com/24ts7r9 )
Warum ist es mit der Auffassung der Verfassungsrichter, wonach eine Bestrafung des Besitzes geringer Mengen Cannabis zum Eigenverbrauch gegen das Übermaßverbot verstößt, vereinbar, dass in 80% der Fälle mit geringer Menge überhaupt nicht von einer Einstellung des Verfahrens nach § 31a BtMG ausgegangen werden kann?
Ist es nun, vier Jahre nach Veröffentlichung der Untersuchung von Schäfer und Paoli, wahrscheinlicher, dass es bei Delikten mit geringer Menge Cannabis zu einer Verfahrenseinstellung nach § 31a BtMG kommt?
Sie selbst äußerten die Auffassung, ebenfalls in Ihrer Antwort an Herrn Philipp, dass gegen den Konsum von Alkohol - also gegen Drogengebrauch - nichts einzuwenden sei.
Weshalb ist dann etwas gegen den Konsum von Cannabis einzuwenden?
Wissenschaftliche Vergleiche zeigen schließlich immer wieder, dass das Gefahrenpotential des Alkoholkonsums in jeder Hinsicht größer ist, als das des Cannabisgebrauchs. (vgl. http://tinyurl.com/35rhl35 , http://tinyurl.com/3azcw6w , http://tinyurl.com/2jmp5r , http://tinyurl.com/Krumdiek )
Können Sie als Mitglied einer angeblich liberalen Partei tatsächlich ein Gesinnungsstrafrecht vertreten, welches den Umgang mit einer weniger gefährlichen Alternative zu Alkohol verhindern soll?
Freundliche Grüße
Guido Friedewald
Sehr geehrter Herr Friedewald,
Sie haben Recht, der übermäßige Konsum von legalen Substanzen wie Alkohol ist auch schädlich. Doch im Vergleich zieht der individuelle Konsum von illegalen Drogen wie Heroin einen erheblich höheren (gesellschaftlichen) Schaden nach sich. So ist statistisch betrachtet die Beschaffungskriminalität oder Zwangsprostitution im Kontext illegalen Drogenkonsums und massiver Abhängigkeit signifikant höher als beispielsweise die Zahl von Straftaten unter Alkoholeinfluss.
Jeder Fall ist natürlich einer zu viel, egal ob unter Einfluss von legalen oder illegalen Substanzen. Doch die überwiegende Mehrheit der Menschen konsumiert Alkohol auf verantwortungsvolle Weise. Ein anfänglich verantwortungsvoller Konsum illegaler Drogen gerät jedoch schnell – und im Vergleich zu Alkohol – unverhältnismäßig schneller und intensiver zu einem von massiver Abhängigkeit geprägten Konsum. Die Spirale der Abhängigkeit und der damit verbundenen Kriminalität sowie den damit verbundenen gesundheitlichen Folgen schaden der Gesellschaft nicht zuletzt im volkswirtschaftlichen Sinne. Ein Verbot bestimmter Drogen halte ich daher auch nach Abwägung und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folgend für sinnvoll.
Zu Ihrer das Verbot von Cannabis betreffenden Anmerkung bleibt Folgendes zu sagen. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat keine genaue Definition festgelegt, was eine geringfügige Menge ist. Das Gesetz unterscheidet nur zwischen der "geringen Menge", der "Normalmenge" und der "nicht geringen Menge", gibt dafür jedoch lediglich Anhaltspunkte. So kann eine Menge von bis zu 10 Gramm Haschisch als gering betrachtet werden. Ein Urteil des BVG vom Dezember 1995 legt allerdings fest, dass ab einer Menge von 7,5 Gramm des Wirkstoffs Tetrahydrocannabinol (THC) eine "nicht geringe" Menge vorliegt. Der THC-Gehalt von Haschisch, also dem zu Blöcken gepressten Harz der Cannabispflanze, hängt von der Qualität ab. Als Richtlinie wird davon ausgegangen, dass sich 7,5 Gramm THC etwa in 100 Gramm Haschisch guter Qualität oder in 250 Gramm Haschisch schlechter Qualität finden.
Der Konsum von Cannabisprodukten war schon immer erlaubt, nur der Besitz nicht. Und es gilt weiterhin: Wer Cannabisprodukte "anbaut, herstellt, mit ihnen Handel treibt, sie, ohne Handel zu treiben, einführt, ausführt, veräußert, abgibt, sonst in Verkehr bringt, erwirbt oder sich in sonstiger Weise verschafft", so hält der Paragraph 29 des Betäubungsmittelgesetzes es fest, macht sich strafbar. Inwieweit der Besitz straffrei bleibt, liegt aber im Ermessen der jeweiligen Bundesländer.
Das Urteil des BVG sollte vor allem dazu beitragen, Erst- oder Geringkonsumenten zu entkriminalisieren, so dass von einer Strafverfolgung abgesehen werden kann, begründet unter anderem durch das verfassungsrechtliche Verbot übermäßigen Strafens.
Schwerpunkt der Argumentation ist der Eigenbedarf. Dadurch wird deutlich, dass mit dem mitgeführten Betäubungsmittel kein Handel betrieben werden soll. Je höher die Grammzahl jedoch ist, desto mehr kann man aus der mitgeführten Menge ableiten, dass andere Konsumenten an dem Stoff teilhaben sollen und mit ihm gedealt werden könnte.
Ich halte den Weg, den Gelegenheitskonsum von Cannabis zu entkriminalisieren, für richtig. Es gilt angemessen und verhältnismäßig auf die Tatsache zu reagieren, dass das gelegentliche Rauchen eines Joints ein gesellschaftliches Phänomen ist, das nicht repressiv und mit aller Staatsmacht angegangen werden muss. Hier muss nach praktikablen Lösungen gesucht werden, die auch die Behörden und Gerichte so gering wie möglich belasten.
Gleichwohl gebe ich zu bedenken, dass die in der Öffentlichkeit oft geäußerte völlige Unbedenklichkeit des Hanfkonsums nicht den vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnissen entspricht. Experten warnen insbesondere, dass Cannabis immer stärker und immer giftiger wird und nicht mehr vergleichbar ist mit der Substanz der so genannten Hippie-Droge der 1970er Jahre. Der THC–Gehalt ist im Laufe der Jahre stetig gestiegen. Beispielsweise weisen Experten auf die Gefahr von schizophrenen Psychosen hin. Insofern sind Ihre Anmerkungen nicht vollkommen unberechtigt. Aber meinen Ausführungen werden Sie auch entnehmen können, dass gerade auch die rechtlichen Fragen in diesem Zusammenhang äußerst diffizil sind und ein klassisches Schwarz-Weiß-Zeichnen dieser Thematik nicht im Interesse der Allgemeinheit liegt.
Mit besten Grüßen aus Berlin
Prof. Dr.-Ing. Martin Neumann MdB
Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion für Forschungspolitik