Portrait von Martin Gerster
Martin Gerster
SPD
88 %
14 / 16 Fragen beantwortet
Frage von Anita R. •

Frage an Martin Gerster von Anita R. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Guten Tag Herr Gerster,

gerade habe ich in den Nachrichten gehört, dass ein Designurheberrecht in Kraft treten soll. Dieses Gesetz besagt, dass z. B. Autoersatzteile nur noch vom Hersteller erworben werden dürfen?

Das bedeutet doch in letzter Konsequenz, dass unsere staatlichen Sicherheitsorgane mehr und mehr zum privaten Werkschutz der Industrie verkommen, um die Designkontrolle der Industrie zu gewährleisten? Wie sehen Sie das?

Wie wird der Konsument in Deutschland (ich vermute im Ausland gilt dieses Gesetz nicht, oder?) vor diesem gesetzlich verordneten Monopol geschützt?

Portrait von Martin Gerster
Antwort von
SPD

Liebe Frau Rodi-Nohr,

herzlichen Dank für Ihre Frage zum Urheberrecht. Da ich selbst kein Fachmann für diesen Politikbereich bin, habe ich bei den zuständigen Rechtspolitikern nachgefragt. Diese waren sich nicht sicher, auf welche Nachricht Sie sich beziehen. Wahrscheinlich sprechen Sie von der geplanten Umsetzung des Vorschlags der Europäischen Kommission (KOM) für eine "Richtlinie des Europäischen Parlamentes und des Rates zur Änderung der Richtlinie 98/71/EG über den rechtlichen Schutz von Mustern und Modellen" (KOM-Nr.(2004)582 endg.; Ratsdok.-Nr: 12555/04).

Dieser KOM-Vorschlag beschäftigt den Bundestag bereits seit der 15. Wahlperiode und wird im Unterausschuss Europarecht des Rechtsausschusses beraten. Der deutsche Gesetzgeber hat sich bei der Umsetzung der Designschutzrichtlinie durch das Geschmacksmusterreformgesetz vom 12. März 2004 (BGBl. I, S. 390) dafür entschieden, den bereits zuvor geltenden Geschmacksmusterschutz für sichtbare Ersatzteile weiterhin zu gewähren.

Diese Rechtslage könnte nicht mehr aufrechterhalten werden, wenn die Änderungsrichtlinie verabschiedet würde. Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass eine Aufhebung des Geschmacksmusterschutzes für sichtbare Ersatzteile, die sich im Wesentlichen zu Lasten des Ertrages der EU-Automobilhersteller auswirken wird, geeignet ist, deren Wettbewerbsfähigkeit auf den Weltmärkten zu schwächen. Der Bundestag hat sich bei den Beratungen zum Geschmacksmusterreformgesetz im Ergebnis mit den Stimmen der damaligen Koalitionsfraktionen (SPD und Bündnis90/Die Grünen) dafür ausgesprochen, den Geschmacksmusterschutz für sichtbare Ersatzteile gemäß dem Regierungsentwurf beizubehalten (Bundestagsdrucksache 15/2191).

Die Europäische Kommission geht davon aus, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher vom Wegfallen des Designschutzes durch niedrigere Preise für Ersatzteile profitieren werden. Ob und inwieweit das Vorhaben finanzielle Vorteile für die Verbraucherseite bewirken kann, ist nach Auffassung der den Vorschlag kritisierenden Mitgliedstaaten jedoch offen. Nicht untersucht ist insbesondere, welche Auswirkungen ein im Sinne des Kommissionsvorschlags geändertes Designrecht auf die Kalkulation der Automobilhersteller für andere als sichtbare Ersatzteile haben würde.

Besonders interessant finde ich in der oben genannten vorgeschlagenen Richtlinie (KOM-Nr.(2004)582 endg.; Ratsdok.-Nr: 12555/04) folgende Passage: „Die wirtschaftlichen Auswirkungen des Geschmacksmusterschutzes auf die Ersatzteilpreise sind unter den interessierten Kreisen umstritten (sowohl bei den Befürwortern als auch den Gegnern einer Liberalisierung). Allerdings sind die von Industrieverbänden und anderem Betroffenen zur Verfügung gestellten Preisvergleiche nicht hinreichend belegt oder beinhalten allenfalls Durchschnittswerte für einzelne Ersatzteile und Länder. Um geeignetere Daten zu erhalten hat die Kommission eine vertiefte und detaillierte Untersuchung durchgeführt. Hierdurch sollte festgestellt werden, ob es bei Ersatzteilen systematische Preisunterschiede in Mitgliedstaaten mit und ohne Musterschutz gibt. Die Ergebnisse, welche in der eingehenden Folgenabschätzung beschrieben sind, legen den Schluss nahe, dass die betreffenden Märkte systematisch verzerrt werden.
Diese Untersuchung betraf Preise für 11 Ersatzteile für 20 Automodelle in 9 Mitgliedstaaten sowie in Norwegen. Von diesen Ländern gewähren 6 Geschmacksmusterschutz für die betreffenden Ersatzteile. Bei den 4 anderen ist dies nicht der Fall. Es stellte sich heraus, dass die Preise für 10 dieser Ersatzteile in den Mitgliedstaaten mit Musterschutz erheblich über denjenigen ohne einen solchen Schutz liegen. Bei dem einzigen Ersatzteil, bei dem der Preis nicht erheblich höher liegt, handelt es sich um den Kühler. Dieser ist das einzige Teil der untersuchten Stichprobe für das kein Gebrauchsmusterschutz zur Anwendung kommt, da es sich um keinen Bestandteil der Karosserie handelt. Bei den anderen Ersatzteilen, wie Stoßstangen, Türen, Kotflügeln, Lampen, Heckklappen und Motorhauben waren die Preise in Mitgliedstaaten mit Gebrauchsmusterschutz zwischen 6,4 und 10,3 % höher. Diese Ergebnisse zeigen, dass KFZ- Hersteller in ihrer Eigenschaft als Rechtsinhaber in den betreffenden Mitgliedstaaten ihre starke Marktmacht zu Lasten der Verbraucher ausüben. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die gegenwärtige Situation mit einem gemischten Schutzregime im Binnenmarkt Handelsverzerrungen verursacht. Ressourcen und Produktion werden insoweit nicht unter Zugrundelegung von Wettbewerbsfähigkeitsgesichtspunkten eingesetzt und die Erzeugung wird nicht von Marktmechanismen bestimmt. Dies führt zu Preisverzerrungen und Handelshemmnissen. Es kann folglich davon ausgegangen werden, dass in einem liberalisierten einheitlichen Markt weitere Preisrückgänge zu erwarten sind. Ferner würden für unabhängige KMU Geschäftsgelegenheiten und Arbeitsplätze geschaffen, welche bislang – auch in Mitgliedstaaten ohne Geschmacksmusterschutz – nur über einen bescheidenen Marktanteil verfügen.“

Nach so viel „Juristendeutsch“ möchte ich nochmals zusammenfassend versuchen, die Frage kurz und prägnant zu beantworten: Erstens gibt es momentan keine Anzeichen dafür, das sich durch die zu erwartenden Änderungen durch die Kommission die Lage für die Verbraucherinnen und Verbraucher verschlechtern würde, im Gegenteil. Zweitens werden die staatlichen Sicherheitsorgane nicht zu einem privaten Werkschutz umfunktioniert, da sich die Durchsetzung von privaten Rechten ausschließlich über den Zivilrechtsweg herstellen lässt. Und drittens werden die Konsumenten im gesamten Gebiet der EU erfasst, was eine deutliche Verbesserung darstellen würde.

Ob dies allerdings mit dem deutschen Recht vereinbar ist, kann ich nicht beurteilen. Hier sind selbst Fachleute unterschiedlicher Meinung. Insofern hoffe ich, Ihre Frage umfassend und zu Ihrer Beruhigung beantwortet zu haben.

Mit freundlichen Grüßen

Ihr Martin Gerster

Was möchten Sie wissen von:
Portrait von Martin Gerster
Martin Gerster
SPD