Frage an Martin Gerster von Jan-Niclas M. bezüglich Innere Sicherheit
Sehr geehrter Herr Gerster,
auf die Fragen von Herrn Berdet antworten sie, das dass gescheiterte Kofferbombenattentat gezeigt hat, dass es für die Bundesrepublik ein Risko von Anschlägen gibt.
Ich stimme ihnen durchaus zu, dass es für Deutschland ein Risiko von Anschlägen gibt und es im Interesse aller Bundesbürger ist, diese durch geeignete Maßnahmen zu verhindern. Allerdings zweifele ich am Erfolg vieler Maßnahmen die umgesetzt werden. So sehe ich keinen direkten Zusammenhang zwischen der voranschreitenden Videoüberwachung öffentlicher Plätze oder der Erfassung biometrischer Merkmale auf dem Ausweis und der Verhinderung von terroristischen Anschlägen. Wie zum Beispiel die Anschläge in London gezeigt haben, konnten die Videokamers die Täter zwar schneller identifizieren, aber die Anschläge nicht verhindern! Wenn Terroristen Anschläge planen, hilft auch die Speicherung von Fingerabdrücken auf den Ausweisen nicht weiter.
Ich sehe darin, ähnlich wie Herr Berdet, nur eine weitere Überwachungsmaßnahme des Staates und einen heftigen Eingriff in unsere Grundrechte. Ebenso ist dies ein weiterer Schritt in Richtung "Totaler Überwachungsstaat", wie es zur Zeit in England der Fall ist.
Dort gibt es, trotz Millionen von Überwachungskameras, keinen signifikaten Rückgang der Kriminalitätsrate. Es handelt sich bloß um eine Verschiebung der Kriminalität in nicht-Kameraüberwachte Gegenden. Diese fortschreitende Überwachung kostet Milliarden von Euro, welche in anderen Projekten sicherlich wirkungsvoller eingesetzt wären.
Trotz dieses eigentlich abschreckenden Beispieles, herrscht unter Deutschen Politikern trotzdem die Überzeugung weitere Kameras würden zur Sicherheit beitragen.
Ich frage sie nun, wie es angehen kann, das trotz des belegten Misserfolgs weiterhin viel Geld in die öffentliche Überwachung investiert wird, anstatt das Geld sinnvoll einzusetzen, z.B. in geeignete Resozialisierungsmaßnahmen oder zusätzliche Polizisten auf den Straße!
Sehr geehrter Herr Müller,
herzlich danke ich Ihnen für Ihre Frage zum Thema Videoüberwachung und Gefahrenabwehr. Dass ich erst jetzt antworte, hat sich aus der Notwendigkeit ergeben, in der Angelegenheit diverse Erkundigungen einzuholen. Die entstandene zeitliche Verzögerung bitte ich zu entschuldigen.
Auch ich sehe die Nutzung dieser Sicherheitstechnologie ambivalent. Wie Sie zu Recht anmerken, ist die Präventionswirkung solcher Anlagen eher gering. Auch kann es zur Verlagerung von Kriminalitätsschwerpunkten in nicht videoüberwachte Bereiche kommen, was die Wirksamkeit des Instruments zur Verbrechensbekämpfung in Frage stellt. Trotzdem haben Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit gezeigt, dass die Aufzeichnungen von Überwachungskameras wertvolle Beiträge zur Ermittlung von Tätern liefern können. So hilft die Veröffentlichung solcher Bilder Fahndungsdruck aufzubauen, der die Täter letztendlich dazu verleitet, Fehler zu machen. Im Falle der Kofferbomben-Attentäter war genau dies der Fall. Auch der mutmaßliche Mörder des neunjährigen Mitja aus Leipzig konnte durch das Foto einer Überwachungskamera in einer Straßenbahn identifiziert werden.
In Ihrem Schreiben schwingt die Unterstellung mit, auch in Deutschland seien Milliardenbeträge für den Ausbau von Videoüberwachung geplant. Hierzu möchte ich festhalten, dass sich im aktuellen Bundeshaushalt kein einziger Posten findet, in dem eigens Mittel für den Ausbau von Videoüberwachung veranschlagt wären. Allerdings können das Bundeskriminalamt und die Bundespolizei Teile ihrer Mittel für entsprechende Maßnahmen verwenden, zum Beispiel bei der Sicherung von Flughäfen, und Bahnhöfen.
Alle weiteren Maßnahmen in Sachen Videoüberwachung fallen in den Zuständigkeitsbereich der Länder, da ihnen die Aufsicht über die Polizei obliegt. Genau wie im Bundeshaushalt ist auch in Baden-Württemberg kein Posten zu finden, der direkt mit entsprechenden Maßnahmen verknüpft wäre. Allerdings plante der Landesinnenminister Heribert Rech (CDU) im vergangenen Jahr, privat installierte Kameras für polizeiliche Zwecke zu nutzen. Angedacht war eine Novellierung des Polizeigesetzes, in deren Rahmen ein „Atlas“ über Standorte angelegt werden sollte, die von solchen Kameras überwacht werden, etwa in Banken oder Einkaufszentren. Der Polizei sollte laut Rech Zugang zu den Aufnahmen dieser landesweit rund 4000 privaten Kameras ermöglicht werden, um damit die Terrorabwehr in Gefahrensituationen zu verbessern. Der Einzelhandelsverband dagegen erhoffte sich von der Kooperation mit der Polizei als „Nebeneffekt“ vor allem den Rückgang von Ladendiebstählen. Die SPD-Fraktion im Landtag hat die Pläne des Innenministeriums klar abgelehnt, da eine solche Überwachung unter Datenschutzgesichtspunkten höchst bedenklich ist. Auf meine Anregung hin hat die SPD-Landtagsfraktion darüber hinaus einen Antrag eingebracht, der die Höhe der hierfür eingesetzten Mittel und die Effizienz des Einsatzes transparent machen soll.
Grundsätzlich halte ich es tolerabel, die derzeitigen Möglichkeiten der Polizei im Bereich der Videoüberwachung maßvoll zu erweitern. Die Einbeziehung privater Kameras und die von Rech geplante Erstellung eines „Überwachungsatlasses“ schießt aber weit über das Ziel hinaus. In der Tat wäre es wichtiger, die derzeitigen Überwachungsbefugnisse der Polizei unter strenger Aufsicht zu erweitern und ihr besseren Ausstattung sowie ausreichend Personal zur Verfügung zu stellen.
Auch was das von Ihnen angesprochene Thema Biometrie angeht, plädiere ich für eine differenzierte Herangehensweise. Die Verwendung biometrischer Kennzeichen in Pässen und anderen Identitätsnachweisen kann helfen, Sicherheitsstandards bei der Identifikation von Personen zu erhöhen. Missbrauchsrisiken sind jedoch zu minimieren, weshalb bei der Vernetzung von Sicherheitstechnologien und sicherheitsrelevanter Daten höchste Vorsicht geboten ist. Ein Beispiel dafür wäre der Abgleich von Videoüberwachungsdaten mit biometrischen Kriterien, z. B. zur Identifikation von Straftätern.
Die aktuelle Diskussion um die Erweiterung der Sicherheitsgesetze, wie sie das Bundesinnenministerium plant, halte ich für dringend notwendig und setze mich für eine moderate Modernisierung der entsprechenden Regelungen ein. Tatsache ist: Terroristen und andere organisierte Kriminelle passen sich schnell an neue technische Möglichkeiten, wie sie Mobiltelefone und Internetdienste bieten, an und nutzen sie in umfangreichem Maße. Hier müssen unsere Sicherheitsorgane mithalten können, um Anschlägen, Drogen- oder Menschenhandel entgegenwirken zu können. Solche Schritte erfordern jedoch Augenmaß und müssen im Einklang mit dem Geist unserer freiheitlichen Verfassung stehen. Einen „Präventionsstaat“, der alle Bürgerinnen und Bürger vorsichtshalber zu Verdächtigen erklärt, wird es mit mir und meiner Fraktion nicht geben.