Frage an Martin Gerster von Wolfgang R. bezüglich Landwirtschaft und Ernährung
Sehr geehrter Herr Gerster!
Wie bewertet die SPD den SPIEGEL ONLINE-Bericht „Böden weltweit in Gefahr“ http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/landwirtschaft-boeden-weltweit-in-gefahr-a-1032437.html?
In der Zusammenfassung wird auf eine teilweise Lösung des Problems durch reduzierten Fleischkonsum und weniger Lebensmittelabfall hingewiesen. Was halten Sie davon? Wenn Sie dem zustimmen, wie wollen Sie es umsetzen? Ich hoffe, die Politik denkt nicht nur in Wahlzeiträumen, sondern mit nachhaltigen Entscheidungen auch an unsere Kinder und Enkel.
Mit freundlichen Grüßen,
Wolfgang Richter
Sehr geehrter Herr Richter,
vielen Dank für Ihre Anfrage Abgeordnetenwatch zum Thema Bodenerosion und Lebensmittelverschwendung. Gerne nehme ich zu Ihren Fragen Stellung. Fruchtbare Böden sind die Grundlage für die Erzeugung unserer Nahrungsmittel. Und dennoch werden die Böden großräumig zerstört: Fast ein Viertel der vom Menschen genutzten Landfläche ist heute durch Erosion geschädigt, wertvolle Böden werden immer weiter überbaut oder durch Eintrag von Chemikalien geschädigt.
Hauptursache der Bodendegradation sind Überweidung (rund 35 Prozent), Entwaldung (30 Prozent) und Übernutzung durch Ackerbau (27 Prozent). In dicht besiedelten Ländern wie Deutschland führt zudem die Versiegelung durch Siedlungs- und Straßenbau zum Verlust von Böden. Am stärksten gefährdet die Bevölkerungszunahme die Böden. Um die stetig wachsende Zahl Menschen zu ernähren, muss entweder die landwirtschaftlich genutzte Fläche um etwa 1,5 Prozent jährlich zunehmen, oder die Produktivität je Flächeneinheit müsste um diesen Anteil ansteigen. Doch in den letzten Jahrzehnten hat kaum Ackerland an Fläche zugenommen. Denn in der gleichen Größenordnung wie Flächen – meist zu Lasten von Wäldern und Grasländern – hinzugewonnen wurden, gingen Flächen durch nachfolgende Degradation wieder verloren. Dieses Vorgehen lässt sich aber nicht beliebig fortsetzen: Zerstörte Böden regenerieren sich nur in geologischen Zeiträumen, ackerfähige Flächen sind begrenzt verfügbar, und somit müssen zunehmend Böden genutzt werden, die immer weniger gut geeignet sind.
Die Hauptgefährdung des Bodens geht vom übermäßigen Abtrag des fruchtbaren Oberbodens aus: Trägt der Boden keinen oder zu wenig Bewuchs, wird er anfällig für Wind- und Wassererosion. Wind weht dann trockenen Boden fort; auf ungeschützten Boden aufprallende Wassertropfen zerstören dessen Struktur und verringern seine Fähigkeit, Wasser aufzunehmen. In der Folge fließt mehr Wasser oberflächlich ab und reißt Bodenpartikel mit sich.
Die Erosion infolge landwirtschaftlicher Nutzung hat viele Gründe: Intensiv bearbeiteter Boden ist häufig verdichtet, strukturierende Elemente wie Hecken oder Geländekanten werden entfernt und zunehmend Pflanzen mit unzureichender Bodenbedeckung angebaut. Wichtige Kulturarten wie Mais oder Zuckerrüben fördern den Bodenabtrag, da sie erst spät ein schützendes Blätterdach bilden.
Die Erosionsraten sind in Asien, Afrika und Südamerika am höchsten und liegen dort bei 30 – 40 Tonnen pro Hektar (t/ha) und Jahr. Auf stark übernutzten Weiden können sie 100 t/ha übersteigen. Pro Jahr gehen so etwa 75 Mrd. Tonnen an fruchtbarem Oberboden verloren; bis zu 12 Mio. Hektar Land werden jährlich derart zerstört, dass die Nutzung aufgegeben werden muss.
Bodenverlust ist aber nicht nur ein Problem des (trockenen) Südens. Auch in Deutschland geht jährlich fruchtbarer Boden in der Größenordnung von rund 10 t/ha durch Erosion verloren. In dem gleichen Zeitraum werden höchstens 1 – 2 Tonnen neu gebildet. Etwa 500 Jahre dauert es in unseren Breiten, bis sich eine 2,5 cm dicke Bodenschicht neu gebildet hat. Für eine produktive Landwirtschaft sind mindestens 15 cm Bodenmächtigkeit nötig.
Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, die Erosionsschäden der landwirtschaftlichen Nutzflächen zu minimieren. Dazu zählt zum Beispiel, den Boden so lange wie möglich mit schützendem Pflanzenbewuchs zu bedecken. Dies ist durch Zwischenfrüchte zwischen den Hauptkulturen möglich, durch Untersaaten oder Aufbringen von Ernterückständen (Mulchen), Anlage von Hecken und anderen Kleinstrukturen. Weitere Erosionsschutzmaßnahmen sind: Feldfrüchte entlang der Höhenlinien eines Hanges anzupflanzen, das Pflügen zu reduzieren oder die Neigung der Nutzflächen – etwa über Terrassen - zu verringern.
Es ist der SPD-Bundestagsfraktion ein wichtiges Anliegen, die Verschwendung von lebensnotwenigen Ressourcen und Lebensmitteln einzudämmen. Denn diese Versäumnisse haben weltweit negative soziale, ökologische und ökonomische Folgen. Für die Produktion von Lebensmitteln werden Wasser und Rohstoffe verbraucht und landwirtschaftliche Flächen genutzt. Ressourcenverknappung und steigende Preise sind die Folge eines unachtsamen Umgangs mit Lebensmitteln - und das auch in den armen Ländern der Welt, die diese Ressourcen dringend brauchen, um für Nahrungssicherheit vor Ort zu sorgen und den Hunger zu bekämpfen.
Deshalb war die SPD die erste Fraktion, die das Thema „Lebensmittelverschwendung“ auf die Tagesordnung des Bundestags gesetzt hat. Wir haben bereits 2011 einen Antrag dazu eingebracht („Strategie gegen Lebensmittelverschwendung entwickeln“, siehe: http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/17/074/1707458.pdf ). Im Verlaufe der Beratungen haben wir dann den fraktionsübergreifenden Antrag „Lebensmittelverluste reduzieren“ initiiert (siehe: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/109/1710987.pdf ).
Doch sind unsere mit allen Fraktionen gemeinsam verabschiedeten Forderungen teilweise heute noch nicht umsetzt. So gibt es bis heute keine Zielmarkenvereinbarung mit der Wirtschaft zur Minimierung der Lebensmittelverschwendung.
Aus diesem Grund haben wir unsere Forderungen im Sommer 2015 verabschiedeten Ernährungsantrag „Gesunde Ernährung stärken – Lebensmittel wertschätzen“ nochmals wiederholt ( http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/037/1803726.pdf ). Denn die SPD ist der Auffassung, dass auf jeder Stufe der gesamten Wertschöpfungskette sorgsam mit Lebensmitteln und sparsam mit Ressourcen umgegangen werden muss, um die Verschwendung einzudämmen. Dabei muss auch die Wirtschaft in die Pflicht genommen werden.
Zwar hat das Bundesernährungsministerium mit seiner Initiative „Zu gut für die Tonne“ dazu beigetragen, das Thema Lebensmittelverschwendung stärker ins öffentliche Bewusstsein zu bringen. Insgesamt aber ist bei dem Programm aus SPD-Sicht zu stark die Verschwendung beim Endverbraucher im Fokus. Die gesamten Lebensmittelverluste entlang der Wertschöpfungskette vom Acker über die Produktion bis in den Handel, Kantinen und Gastronomie werden kaum beachtet.
Denn nicht allein die Verbraucher sind verantwortlich. Laut einer aktuellen Studie des WWF werden ein Drittel der Lebensmittel weggeworfen, davon ein großer Teil bei der Herstellung und im Handel. In diesem Punkt müssen wir noch stärker mit Gesetzesentwürfen intervenieren.
Nichtdestotrotz bleibt die Eindämmung der Lebensmittelverschwendung ein Gebot der Nachhaltigkeit, damit für die Erzeugung von Lebensmitteln nicht weiterhin Ressourcen wie Wasser, Land, Energie und Arbeitskraft verschwendet werden. Vor allem aber ist die Vernichtung von genießbaren Lebensmitteln ein ethisches Problem. Während in armen Ländern Menschen hungern, ist es bei uns in der Lebensmittelproduktion und im Handel anscheinend oftmals billiger, die überzähligen Lebensmittel wegzuwerfen als sie weiterzuverwenden. Das können wir nicht hinnehmen.
Mit freundlichen Grüßen
Martin Gerster