Frage an Marlitt Köhnke von Peter-René S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Köhnke,
Sie haben fast alles erreicht, was man in der Kommunalpolitik erreichen kann: Sie waren unter anderem Fraktionsvorsitzende für die SPD in der BVV Marzahn-Hellersdorf, Mitglied im Landesvorstand Berlin der SPD, Gründungsmitglied der DDR SPD Hellersdorf (im Jahre 1990), Bezirksbürgermeisterin eines ca. 130.000 Einwohner starken Berliner Bezirks (Hellersdorf), Bezirksstadträtin des Großbezirks Marzahn-Hellersdorf mit ca. 250.000 Einwohnern,...
1.Frage:
Welche Momente in dieser politischen Karriere waren die glücklichsten, die Sie immer wieder ermutigt haben, weiterzumachen und nicht aufzugeben?
2.Frage:
Was können Sie gerade den jungen Menschen, die sich für Politik interessieren, sagen, warum es sich lohnt größtenteils ehrenamtlich (gegen eine geringe Aufwandsentschädigung) so wie Sie es tun, kommunalpolitisch zu engagieren in unserer Zeit in der es immer wieder Politik- und Demokratie-Verdrossenheit gibt?
Mit freundlichen Grüßen
Peter-René Schröter
Sehr geehrter Herr Schröter,
ich bedanke mich für Ihr Interesse an meiner Kandidatur zur Wahl des Berliner Abgeordnetenhauses und bitte die Verspätung der Beantwortung wegen zu vieler Wahlkampftermine zu entschuldigen.
Zur Frage 1: Es gab in den vergangenen 20 Jahren viele schöne Momente in meiner politischen Arbeit und zwar immer dann, wenn sich mein Engagement gelohnt hat und ich Dinge auf den Weg bringen konnte. Z.B. einen Sportplatz in Marzahn/ Nord für 300 T € sanieren zu lassen, Kultureinrichtungen vor der Schließung zu bewahren und Schulen sanieren zu lassen. Ganz wichtig war mir damals, 1990, die Gründung einer Städtpartnerschaft mit einem Bezirk von Budapest, weil die Ungarn als erste den Eisernen Vorhang geöffnet haben und damit den Fall der Mauer mit vorbereitet haben.
Es waren aber nicht die schönen Momente, die mich ermutigt haben, nach existentiellen Rückschlägen weiter zu kämpfen. Es waren die Tiefschläge, die politischen Abstürze, die mich zu "jetzt erst recht" motiviert haben, mich nicht von einem politischen Gegner aus der Politik vergraulen zu lassen. Es ging mir immer darum, dass die SPD, als eine in der DDR vereinnahmte und gleichzeitig diffamierte Partei (Arbeiterverräter), wieder von den BürgerInnen akzeptiert und angenommen wird. Der ehemaligen SED und heutigen Linkspartei ging und geht es nicht um die Menschen. Es geht diesen Genossen um die Macht und den damit verbundenen gut bezahlten Ämtern und Mandate und dafür reden sie den kleinen Leuten zum Munde und gebärden sich als einzig wahre "Ossi"-Partei, nur um wieder den gesellschaftlichen Status zu erreichen, den sie in der DDR hatten. Heute ist damit sogar viel "Westgeld " zu verdienen. Sie sind Salonkommunisten und haben kein wirklich umsetzbares alternatives Gesellschaftskonzept. Hinter verschlossenen Türen wird geprasst, wie es auf höheren Ebenen überall der Fall ist. Sie vermögen eins, dieses politische System für ihre Zwecke besser zu nutzen, als manch anderer. Das hat aber nichts mit sozialer Gerechtigkeit und anderen ihrer Sprechblasen zu tun! Ich werde für die Linkspartei immer ein rotes Tuch bleiben, weil mir die BürgerInnen abnehmen, dass es mir nicht um eine politische Karriere um jeden Preis geht.
Nun zu Frage 2:
Es lohnt sich für Jung und Alt, sich politisch zu engagieren, um das politische und auch wirtschaftliche System kennen zu lernen, in dem wir uns bewegen. Wer das nicht tut, wird immer einen wichtigen Teil seines Lebensumfeldes nicht wahrnehmen können und verstehen. Ich habe mich z.B. in der DDR überhaupt nicht politisch engagiert und deshalb bestimmte gesellschaftliche Mechanismen nicht verstanden. Es gab Situationen, da wäre es besser gewesen, nicht so naiv zu reagieren, wie ich es manchmal getan habe.
Mit der Wende hat sich das bei mir total geändert. Mit dem Aufbau demokratischer , politischer Strukturen in Ost Berlin (sprich organisatorischer Aufbau einer neuen, alten Partei) musste ich Neues wahrnehmen und mich damit auseinander setzen. Das heutige System politischer, staatlicher und wirtschaftlicher Strukturen ist viel komplizierter, als es in der DDR war, aber es ist durchschaubar, wenn man/frau sich mit gesellschaftliche Problemen beschäftigt. Wir werden von einem politischen Überbau regiert, dessen Moral nicht besser ist, als der der DDR. Aber er ist durch die Parteienvielfalt veränderbar und muss durch die Globalisierung auf alle Probleme flexibel reagieren. Da kann man nicht in Agonie verharren, wie die Mächtigen der DDR, da ist allein der Druck durch eine Medienmeute so ungeheuerlich, dass Politik einfach reagieren muss. Dies alles könnte ich nicht schreiben und reflektieren, wenn ich die geblieben wäre, die ich vor 22 Jahren war, eine letztendlich nicht politsch agierende Person. Politisches Engagement gehört zur Allgemeinbildung eines Menschen, eine politische Karriere von Jugend an anzustreben, halte ich menschlich allerdings für gefährlich.
Mit freundlichen Grüßen
Marlitt Köhnke