Marlene Löhr
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Florian S. •

Frage an Marlene Löhr von Florian S. bezüglich Familie

Liebe Frau Löhr,

ich bin zu dem Themen Ehegattensplitting noch ratlos bei den grünen.
Wie sollte die Förderin von Kindern bzw. Familien aussehen? Soll der Staat die Familien "bestrafen" indem die Familien-Sozialleistungen immer mehr gestrichen und in Kitas und schulen gesteckt werden?
Für viele Familien-Einkommen wäre es doch fataler wenn das Splitting wegfallen würde. Viele Eltern wollen die Erziehung selber durchführen und verzichten dabei bewusst auf eine berufliche Tätigkeit. Ist es da nicht vermessen, dass dann staatlicherseits zu "bestrafen" indem man das Geld immer mehr in staatliche Programme (Kitas Schule etc.) gibt, statt auch die individuellen im Elternhaus stattfindenden Tätigkeiten zu fördern?

Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Moritzen,

herzlichen Dank für Ihr Schreiben zur aktuellen Diskussion um das Ehegattensplitting. Gerne lege ich Ihnen die Position der Grünen dar.

Das 1958 eingeführte Ehegattensplitting kommt aus einer Zeit, in der Ehe und Familie zumeist “eins” waren. Zwar ist es bis heute überwiegend so, dass Frauen wegen der Kinder beruflich zurückstehen, die Männer die Hauptverdiener sind und sich daraus die verschieden hohen Erwerbseinkommen begründen. Trotzdem hat sich unsere Gesellschaft seit 1958 wesentlich verändert. Frauen sind heute unter anderem durch besseren Bildungsabschlüsse und Berufsqualifikationen häufiger erwerbstätig. Immer mehr Eltern leben ohne Trauschein zusammen. Die Anzahl alternativer Familienformen hat zugenommen. Durch veränderte Lebensstile ist auch der Anteil der gewollt oder ungewollt kinderlos lebenden Ehepaare größer geworden. Seit Jahren führt dies zu öffentlichen Diskussionen, ob das gegenwärtige Ehegattensplitting noch zeitgemäß ist.

Unsere Kritik setzt vor allem an der fehlerhaften Zielorientierung an: Auch wenn gut die Hälfte der verheirateten Eltern davon profitieren, ist das Ehegattensplitting keine Familienförderung! Das Splitting knüpft nicht an das Vorhandensein von Kindern an. Auch nach Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist das Ehegattensplitting rechtlich von der Familienförderung zu trennen. Die eigentliche Familienförderung sind alle Transferleistungen wie der “Förderanteil” des Kindergeldes, das Elterngeld und die Ausbildungsförderung. Problematisch sind vor allem die verteilungspolitischen Auswirkungen sowie gleichstellungspolitischen Konsequenzen des Splitting. Tatsache ist, dass viele Ehepaare aufgrund unterschiedlich hoher Einkommen stark vom Ehegattensplitting profitieren. Der Splittingvorteil ist nämlich umso größer, je höher das Haushaltseinkommen und je größer die Differenz zwischen den individuellen Einkommen der PartnerInnen. Kurz gesagt: Das Ehegattensplitting begünstigt unverhältnismäßig Ehen, in denen ein Partner alleine viel verdient. Und das ist ungerecht - egal ob mit oder ohne Kinder. Das Ehegattensplitting fördert nicht einmal die Ehe selbst, sondern nur den Unterschied in den Einkommensverhältnissen beider Eheleute. Es gibt vor allem Frauen einen Anreiz, aus dem Erwerbsleben auszuscheiden beziehungsweise so spät ins Erwerbsleben zurückzukehren, dass ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt gegen Null sinken. Und betrachtet man das Ehegattensplitting in der Verteilung zwischen alten und neuen Bundesländern, so zeigt sich, dass es ein Steuermodell ist, dessen finanzielle Vorteile sich vor allem zugunsten der privaten Haushalte in den alten Bundesländern auswirken.

Immer wieder werden Rufe zur Umgestaltung des Splittings laut: Auch die Union will vom Ehegatten- zum Familiensplitting wechseln. Auf den ersten Blick scheint der Name “Familiensplitting” zu überzeugen. Natürlich sollen Kinder bei der Steuererklärung “zählen”; auch klingt es überzeugend, die mit Kindern verbundenen Kosten steuerlich einfach und transparent berücksichtigen zu können. Das Familiensplitting würde aber faktisch die Ausdehnung der ungerechten Wirkungen des Ehegattensplitting auf die Kinder bedeuten. Das heißt: Das Gesamteinkommen würde fiktiv auf die Zahl der Familienmitglieder verteilt und dann besteuert. Die Steuer fiele damit abhängig von der Einkommenshöhe und der Zahl der Familienmitglieder geringer aus, als wenn das Einkommen nicht geteilt würde. Mit anderen Worten: Je höher das Einkommen, desto größer der Steuervorteil - bei gleicher Kinderzahl. Bei genauerer Betrachtung stellen wir also Folgendes fest: Das Familiensplitting käme vor allem Familien im obersten Fünftel der Einkommensverteilung zugute. Bündnis 90/Die Grünen lehnen deshalb das sogenannte Familiensplitting grundsätzlich ab.

Familienförderung in Deutschland muss aus unserer Sicht konsequent auf die Förderung von Kindern orientiert werden. Dabei muss uns schon aus Gründen der Chancengleichheit jedes Kind gleich viel wert sein. Die grüne Kindergrundsicherung macht Schluss mit den Ungerechtigkeiten des bestehenden Ehe- und Familienfördersystems. Sie stellt das Kind in den Mittelpunkt der Förderung und erkennt an, dass es verschiedene Formen des familiären Zusammenlebens gibt. Nach unserem Konzept beträgt sie 330 Euro im Monat pro Kind und wird bis zum 18. Lebensjahr gezahlt. Die Kindergrundsicherung wird zu Teilen auf das zu versteuernde Einkommen angerechnet und verringert sich auf ein Minimum von 280 Euro, wenn die Eltern sehr gut verdienen.

Der grüne Vorschlag für eine Umwandlung des Ehegattensplitting in eine Individualbesteuerung ist einfach: Jede PartnerIn, die Einkommen erzielt, wird separat besteuert. Es gibt keine Zusammenveranlagung der EhepartnerInnen mehr. Die Steuerklassen III, IV und V können aufgehoben werden. Das ist ein kleiner Beitrag zur Vereinfachung des Steuersystems. Da das Bundesverfassungsgericht verlangt, dass das gemeinsame Existenzminimum von EhepartnerInnen steuerfrei bleiben muss, sieht der grüne Vorschlag einen bestimmten Höchstbetrag vor, der von dem Einkommen der besser verdienenden PartnerIn auf die geringer verdienende PartnerIn übertragen werden kann, wenn diese über kein oder nur geringes eigenes Einkommen verfügt. Diese muss den übertragenen Betrag dann bei sich versteuern. Diese Übertragung wird pauschal unterstellt und muss nicht nachgewiesen werden. Es entsteht weiterhin ein Steuervorteil, weil die progressive Besteuerung höherer Einkommen abgemildert wird. Dieser Vorteil ist aber bei höheren Einkommen deutlich kleiner als heute. Bei kleinen Einkommen entstehen keine finanziellen Nachteile gegenüber heute. Die daraus zu erwartenden Steuermehreinnahmen müssen zielgenau, wirkungsvoll und gerecht in Kinder investiert werden.

Wir werden uns weiterhin für gerechte Chancen für alle Kinder und für alle Familien stark machen. Bei uns sollen die Kinder im Mittelpunkt stehen.

Mit freundlichen Grüßen,
Marlene Löhr