Frage an Marko Mühlstein von Maren K. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrter Herr Mühlstein!
Mit Interesse habe ich Ihre Antwort auf die Frage bezüglich des Hungerstreiks der Contergangopfer in Bergisch-Gladbach gelesen.
Hierzu möchte ich eine Anmerkung machen:
Es ist richtig, dass ein Vertreter des BMFSJS die Hungerstreikenden bereits in der ersten Woche der Aktion besucht hat. Allerdings erfolgte neben der platten Aufforderung zur Aufgabe der Hinweis (sinngemäß): "Sie sind doch selber Schuld an Ihren Folgeschäden! Hätte Sie sich früher nicht so angestrengt um Selbstständigkeit bemüht, würde es Ihnen heute besser gehen!"
- Wie stehen Sie zu einem solchen Affront?
Sie betonen, die bisherige Erhöhung des monatlichen Opfergeldes und die in Aussicht gestellten 50 Millionen der Firma Grünenthal seien ein Anfang.
- Wie sehen denn die weiteren Bemühungen der Bundesregierung unter Federführung des BMFSJS aus?
Wir, die Betroffenen, erfahren nur gerüchteweise kleine Details. Dies gilt auch für die in den dem Bundesverband der Contergangeschädigten zusammengeschlossenen Mitgliedsverbänden. Momentan haben viele Conterganopfer das Gefühl, dass wieder über ihre Köpfe hin entschieden wird. Besonders vor dem Hintergrund der Zahlungen im europäischen Ausland sind wir in der BRD doch deutlich benachteiligt.
Mit freundlichem Gruß
Maren Kühlen
Sehr geehrte Frau Kühlen,
vielen Dank für Ihre Anfrage. Ich bitte Sie um Verständnis dass ich mich zu etwaigen Äußerungen des BMFSJS-Verteres nicht äußern kann, da ich selbst nicht vor Ort war.
Es ist traurige Wahrheit, dass die Contergangeschädigten immer wieder an schmerzliche Grenzen stoßen: Jahrzehntelange Fehlbelastungen von Wirbelsäule, Gelenken und Muskulatur bringen Spät- und Folgeschäden mit sich. Die Lebenssituation der Betroffenen ist heute nach 50 Jahren zunehmend durch diese sehr schmerzhaften Auswirkungen ihrer Behinderung geprägt, ihre Lebensqualität ist zusätzlich erheblich eingeschränkt. Oft drohen Arbeitsunfähigkeit und Frühverrentung. Das belastet die Menschen, die sich unter größten Mühen jahrzehntelang ein Stück Unabhängigkeit erkämpft und behauptet haben, sehr.
Für diese neuen Herausforderungen mussten Lösungen gefunden werden. Deshalb stehen wir seit rund einem Jahr in einem sehr engen Dialog mit den Betroffenen, der Firma Grünenthal und der Contergan-Stiftung für behinderte Menschen. Außerdem hat im Mai der Bundestagsausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend eine öffentliche Anhörung unter breiter Beteiligung der Geschädigten und ihrer Verbände durchgeführt. Wir haben gemeinsam nach Lösungen gesucht -- und wir haben viel erreicht. So wurden die Entschädigungsleistungen nicht nur um die ursprünglich vorgesehenen 5 % erhöht, sondern verdoppelt. Seit dem 1.7.2008 beträgt der Höchstsatz 1.090 Euro -- und nicht mehr wie bis dahin 545 Euro. Das bedeutet für die am schwersten Geschädigten zusätzliche Leistungen in Höhe von 6.540 Euro jährlich. Außerdem haben wir geregelt, dass die Entschädigungsleistung nicht auf andere Zahlungen, wie z.B. Erwerbsminderungsrenten, SGB-II-Zahlungen oder Sozialgeld angerechnet wird. Durch die Verdoppelung bringt der Bund künftig jährlich 31 Mio. Euro allein für die Entschädigungsleistungen auf. Insgesamt hat der Bund hierfür in den Jahren 1972 bis 2007 437,84 Mio. Euro bezahlt. Daneben stehen den Betroffenen selbstverständlich Leistungen aus dem SGB V (Krankenkassen), SGB IX (Leistungen zur Rehabilitation und Teilhabe), SGB XI (Pflegeversicherung), SGB XII (Sozialleistungen), SGB II (Leistungen im Falle von Arbeitslosigkeit), SGB VI (Erwerbsminderungsrenten) zu.
Außerdem werden CDU/CSU und SPD in den nächsten Wochen einen Gesetzentwurf zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes einbringen, der es ermöglicht, den Conterganopfern ab dem Jahr 2009 zusätzlich lebenslang eine jährliche Sonderzahlung von ca. 3.000 Euro auszuzahlen (die Höhe der Einmalzahlung richtet sich nach dem Schweregrad der Schädigung). Das Geld wird aus dem Stiftungsvermögen der Conterganstiftung aufgebracht, in die der Bund aus dem Kapitalstock 50 Mio. Euro einbringt. Weitere 50 Mio. Euro spendet die Firma Grünenthal, die das Medikament seinerzeit auf den Markt gebracht hat. Obwohl durch den 1971 zwischen den Eltern der Contergangeschädigten, der Firma Grünenthal und der Bundesregierung geschlossenen Vergleich jeder weitere Anspruch gegenüber der Firma ausgeschlossen ist, haben sich die Eigentümer freiwillig zur Beteiligung an weiteren Verbesserungen für die Situation der Geschädigten bereit erklärt.
Weitere Maßnahmen sind geplant: Der Deutsche Bundestag wird die Bundesregierung auffordern, Forschungsprojekte zu den Spätfolgen der Schädigung zu initiieren, eine interministerielle Arbeitsgruppe arbeitet an Vorschlägen zur Verbesserung der Kostenübernahme von Behandlungen bei Conterganschäden durch die Gesetzliche Krankenversicherung, das Bundesgesundheitsministerium versucht, durch Gespräche mit den verschiedenen Organisationen des Gesundheitswesens sicherzustellen, dass Contergangeschädigte alle Leistungen erhalten, die medizinisch geboten sind. Außerdem haben wir den Geschädigten zu ihrem längst überfälligen Anrecht auf einen Behindertenparkplatz verholfen.
Mit all diesen Maßnahmen haben wir die Probleme der Contergan-Geschädigten aufgegriffen und für konkrete Lösungen gesorgt. Dabei ist uns bewusst, dass alle Leistungen den Schaden für die Gesundheit und die seelische Belastung der Betroffenen nicht ausgleichen können. Wir wollen aber einen Beitrag leisten, das Leben mit einer schweren Behinderung besser meistern zu können.
Mit den genannten Maßnahmen haben wir einen wirklichen Fortschritt für die contergangeschädigten Menschen erreicht. Die am schwersten Geschädigten erhalten aus Bundes- und Stiftungsmitteln ab 2009 jährlich Aufwendungen in Höhe von ca.16.000 Euro -- steuerfrei und zusätzlich zu ihren sonstigen Einkünften -, die sie für Maßnahmen verwenden können, die die Sozialversicherungen nicht übernehmen. Wir haben Verständnis dafür, dass Betroffene, die noch weitergehende Forderungen haben, ihren Protest äußern. Der Bund wird aber keine weiteren finanziellen Leistungen mehr übernehmen - nicht zuletzt aus Gründen der Gleichbehandlung gegenüber Menschen mit ähnlichen Behinderungen, die nicht durch die Einnahme von Thalidomid verursacht wurden, aber unter denselben Spätfolgen leiden. Daran wird auch die Ankündigung oder gar Durchführung eines weiteren Hungerstreiks, den wir grundsätzlich für kein adäquates Mittel halten, nichts ändern können.
Wir sind zuversichtlich, dass die contergangeschädigten Menschen die erreichten und vereinbarten Verbesserungen anerkennen und aus Solidarität mit anderen behinderten Menschen unsere Haltung akzeptieren und respektieren.
Mit freundlichen Grüßen
Marko Mühlstein, MdB