Frage an Marina Schuster von Philipp H. S. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrte Frau Schuster,
in den letzten Tagen ist zumindest in der etwas eigenen Welt des Internets einige Aufregung über die deutsche Zustimmung zum Vertrag von Nizza entstanden. Davon ausgehend habe ich mir einige Informationen eingeholt und unter anderem auch den hier auf Abgeordnetenwatch veröffentlichten Gesetzentwurf gelesen. Als Gegenposition allerdings auch die von Dr. Gauweiler, MdB, eingereichte(n) Verfassungsklage(n).
Bei der Lektüre haben sich mir einige Fragen und Zweifel aufgetan, die ich nun Ihnen, als eine meinen eigenen Positionen und Überzeugungen anscheinend nahestehende Abgeordnete, stellen möchte.
Frage 1: Wie intensiv haben Sie sich ausschließlich mit dem Vertrag von Lissabon und dem Zustimmungsgesetz beschäftigt (Lektüre, Recherche, Einholen von Positionen/Kritik dazu, eigene Überlegungen)? Haben die anderen Bundestagsmitglieder ähnliche Zeiten investiert?
Frage 2: Wie stehen Sie generell einer Abtretung von nicht unerheblichen Teilen der staatlichen Autonomie gegenüber? Bei welchen Bereichen sehen Sie eine Abtretung als nicht erstebenswert an?
Frage 3: Sehen Sie (oder, angesichts Ihrer Zustimmung: Warum sehen Sie) dieeuropäischen Organe und vor allem deren Stellung zueinander in der überarbeiteten Europäischen Union als ausreichend demokratisch legitimiert an?
Ich bin mir bewußt, daß eine Beantwortung dieser Fragen nicht in drei Sätzen erfolgen kann, daher dürfen Sie mir - falls das Ihnen Aufwand erspart - auch gerne einen Verweis auf Positionen nennen, in der Ihre Meinung (nicht die der FDP) Ihrer Auffassung nach gut dargelegt ist.
Mit den besten Wünschen und Dank für die von Ihnen hier aufgewandte Zeit,
Philipp Schuster
Sehr geehrter Herr Schuster,
Ihre Fragen zum Vertrag von Lissabon beantworte ich wie folgt:
Frage 1: Wie intensiv haben Sie sich ausschließlich mit dem Vertrag von Lissabon und dem Zustimmungsgesetz beschäftigt (Lektüre, Recherche, Einholen von Positionen/Kritik dazu, eigene Überlegungen)? Haben die anderen Bundestagsmitglieder ähnliche Zeiten investiert?
Es ist nicht einfach, die Vorbereitungszeit zeitlich zu quantifizieren, weil ich mich an unterschiedlicher Stelle laufend (und mit unterschiedlicher Intensität) damit beschäftigt habe. Außerdem war ich u.a. auf „Europatagen“, die Schulen veranstaltet haben und habe bei anderen Veranstaltungen dazu berichtet. Ich habe mich zudem in den Sitzungen und Fachgremien meiner Fraktion, im Auswärtigen Ausschuss und im Rahmen der Plenardebatten mit dem Vertrag von Lissabon beschäftigt. Weitere Informationen habe ich auch durch die Lektüre der Tagespresse, von Nachrichtenmagazinen und von wissenschaftlichen Publikationen – bspw. der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) – erhalten. Die Zeit, die andere Bundestagsabgeordnete mit der inhaltlichen Auseinandersetzung verbracht haben, ist mir nicht bekannt.
Frage 2: Wie stehen Sie generell einer Abtretung von nicht unerheblichen Teilen der staatlichen Autonomie gegenüber? Bei welchen Bereichen sehen Sie eine Abtretung als nicht erstrebenswert an?
Generell sollte aus meiner Sicht in der Europapolitik streng nach dem Subsidiaritätsprinzip vorgegangen werden, wonach alle Belange, die auf regionaler oder auf Bundes- und Landesebene geregelt werden können, auch dort geregelt werden. Dafür setzt sich meine Fraktion seit jeher ein. Als Beispiele für Politikfelder, die nicht auf EU-Ebene geregelt werden müssen, sehe ich die Bereiche Steuern, Bildung, Gesundheit und Soziales. Es gibt allerdings auch Bereiche bei denen eine gemeinsame europäische Politik absolut sinnvoll ist, wie z.B. den Binnenmarkt. Ebenso halte ich eine verbesserte Abstimmung im Rahmen der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU – trotz des beschwerlichen Weges dorthin – für ein wichtiges und notwendiges Ziel. In dem 11-seitigen Entschließungsantrag meiner Fraktion zum Vertrag von Lissabon (Bundestag-Drucksachenummer 16/8927) gehen wir u.a. auch näher auf die kritischen Punkte ein.
Frage 3: Sehen Sie (oder, angesichts Ihrer Zustimmung: Warum sehen Sie) die europäischen Organe und vor allem deren Stellung zueinander in der überarbeiteten Europäischen Union als ausreichend demokratisch legitimiert an?
Durch den Vertrag von Lissabon erhält insbesondere das Europäische Parlament mehr Mitspracherechte. Das war seit langem eine liberale Forderung und daher halte ich den Vertrag von Lissabon vom Grundsatz her auch für einen wichtigen Baustein zu mehr Transparenz und demokratischer Legitimation der EU. Dies gilt im Übrigen selbstverständlich auch nach dem ablehnenden Votum aus Irland. Das Demokratiedefizit soll ja durch den Lissabon-Vertrag gerade verringert werden. Wir halten unbeirrt an dem Ziel fest, die EU mit diesem – nach langen Verhandlungen einstimmig beschlossenen – Vertrag demokratischer, transparenter und handlungsfähiger zu machen.
Ich möchte Ihnen abschließend noch einmal den Entschließungsantrag meiner Fraktion zum Vertrag von Lissabon empfehlen, den ich inhaltlich voll teile. Er hat die Bundestag-Drucksachenummer 16/8927 und ist über die Internetseite http://www.bundestag.de verfügbar.
Mit freundlichen Grüßen
Marina Schuster