Frage an Marina Schuster von Hermann L. bezüglich Finanzen
Sehr geehrte Frau Schuster,
Vertragswahrheit und Vertragsklarheit sind allseits bekannte Grundprinzipien von guten vertragswerken. Denn: Ein normal gebildeter Mensch sollte es verstehen.
Allein die äußerst wirdersprüchlichen Diskussionen, Interpretationen, Vermutungen, Rechtfertigungen und Vernebelungsaktionen rund um den E S M lassen vermuten, dass diese Verträge meilenweit an diesen Prinzipien scheitern.
Nun meine Frage:
Haben sie - persönlich ! - diesen Vertrag (nebst Erklärungen) wirklich gelesen?
Es würde sich lohnen. Denn es dürfte das wichtigste Dokument sein, das je ein(e) Bundestagsabgeordnete(r) zu beschließen hat.
Ich lehne diesen ab, weil ich mich um zukünftige Generationen und das Wohl unseres Landes sorge. Aber nicht nur ich: http://www.stop-esm.org/initiatoren
Mit freundlichem Gruß
Hermann Lorenz/Roth
Sehr geehrter Herr Lorenz,
wie Sie aus meiner mehrseitigen Antwortmail vom 31.07.2012 zu Ihren Fragen zum ESM an meine Wahlkreisadresse wissen, habe ich den ESM-Vertragstext selbstverständlich vollständig gelesen. Ich stimme Ihnen zu, dass diese Entscheidung von elementarer und herausragender Bedeutung ist.
Ich habe Ihnen bereits in meiner Antwort geschrieben, dass es nicht ausreichend ist, nur auf den ESM-Vertragstext selbst abzustellen, sondern dass Basis für die Abstimmungen im Deutschen Bundestag vom 29.06. die deutschen UMSETZUNGSGESETZE sind.
Hier ist u.a. die Parlamentsbeteiligung geregelt. Es stimmt einfach nicht, dass das Parlament nicht gefragt wird - das Gegenteil ist der Fall. Weshalb hätte es denn eine Sondersitzung zu Spanien geben sollen, wenn der Bundestag kein Mitspracherecht hat?
Meine Bitte ist daher: bitte werfen Sie einen Blick in die Umsetzungsgesetze.
Einen guten Überblick über sämtliche Dokumente finden Sie hier: http://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2012/39684652_kw26_de_fiskalvertrag_esm/index.html
Es handelt sich zum einen um das ESM-Finanzierungsgesetz "Gesetz zur finanziellen Beteiligung am Europäischen Stabilitätsmechanismus- ESMFinG". Dies regelt die Übernahme des deutschen Anteils am Stammkapital des ESM und die Gewährung von Staatshilfen durch den ESM. (Der ESM wird durch einen völkerrechtlichen Vertrag als internationale Finanzinstitution gegründet und mit einem Stammkapital von 700 Mrd. Euro ausgestattet, das aus 80 Mrd. Euro eingezahltem Kapital und 620 Mrd. Euro abrufbarem Kapital besteht. Mit dem vorliegenden Gesetz wird der finanzielle Gesamtrahmen der Beteiligung Deutschlands am ESM gesetzlich bestimmt. Außerdem werden im Gesetz Regelungen für die parlamentarische Beteiligung im Rahmen der laufenden Tätigkeit des ESM getroffen, die sicher stellen, dass nicht über unsere Köpfe entschieden wird.)
Innerstaatlich darf der deutsche Vertreter im ESM nach § 4 Abs. 2 des ESM FinG nur zustimmen oder sich enthalten, nachdem der Bundestag, und zwar dessen Plenum hierzu einen zustimmenden Beschluss gefasst hat.
"§ 4
Parlamentsvorbehalt für Entscheidungen im Europäischen Stabilitätsmechanismus
(1) In Angelegenheiten des Europäischen Stabilitätsmechanismus, die die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages betreffen, wird diese vom Plenum des Deutschen Bundestages wahrgenommen. Die haushaltspolitische Gesamtverantwortung ist insbesondere betroffen 1. bei der Entscheidung nach Artikel 13 Absatz 2 des ESM-Vertrags, einer Vertragspartei des Europäischen Stabilitätsmechanismus auf dessen Hilfeersuchen Stabilitätshilfe in Form einer im ESM-Vertrag vorgesehenen Finanzhilfefazilität zu gewähren, 2. bei der Annahme einer Vereinbarung über die Finanzhilfefazilität nach Artikel 13 Absatz 3 Satz 3 des ESM-Vertrags und einer Zustimmung zu einem entsprechenden Memorandum of Understanding nach Artikel 13 Absatz 4 des ESM-Vertrags, 3. bei Beschlüssen im Rahmen des Europäischen Stabilitätsmechanismus zur Veränderung des genehmigten Stammkapitals sowie des maximalen Darlehnsvolumens nach Artikel 10 Absatz 1 des ESM-Vertrags; Artikel 2 Absatz 1 des Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Februar 2012 zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus bleibt unberührt.
(2) In den Fällen, die die haushaltspolitische Gesamtverantwortung betreffen, darf die Bundesregierung einem Beschlussvorschlag in Angelegenheiten des Europäischen Stabilitätsmechanismus durch ihren Vertreter nur zustimmen oder sich bei einer Beschlussfassung enthalten, nachdem das Plenum hierzu einen zustimmenden Beschluss gefasst hat. Ohne einen solchen Beschluss des Plenums muss der deutsche Vertreter den Beschlussvorschlag ablehnen. Der Vertreter der Bundesregierung hat an der Beschlussfassung teilzunehmen.
(3) Werden gemäß Artikel 5 Absatz 6 m des ESM-Vertrags Aufgaben des Gouverneursrates auf das Direktorium übertragen, gelten die §§ 3 bis 6 entsprechend."
Jede Erhöhung braucht also einen vorherigen zustimmenden Beschluss des Bundestages.
Der Gouverneursrat besteht aus Regierungsmitgliedern; für Deutschland nimmt der Bundesfinanzminister diese Rolle wahr. Es kann also nicht sein, dass der Finanzminister im ESM-Gouverneursrat einer Kapitalerhöhung zustimmt, ohne dass der Bundestag dem vorher zugestimmt hat.
Zum zweiten das "Gesetz zu dem Vertrag vom 2.Februar 2012 zur Errichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus".
Hier kommt es insb. auf Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 an.
"Artikel 2
(1) Erhöhungen des genehmigten Stammkapitals nach Artikel 10 Absatz 1 des Vertrages bedürfen zum Inkrafttreten einer bundesgesetzlichen Ermächtigung zur Bereitstellung weiteren Kapitals.
(2) Der deutsche Gouverneur im Gouverneursrat des Europäischen Stabilitätsmechanismus und im Falle einer Delegation der Entscheidung nach Artikel 5 Absatz 6 Buchstabe m des Vertrages der deutsche Direktor im Direktorium des Europäischen Stabilitätsmechanismus dürfen einem Beschlussvorschlag zur Änderung der Finanzhilfeinstrumente nach Artikel 19 des Vertrages nur zustimmen oder sich bei der Abstimmung über einen solchen Beschlussvorschlag enthalten, wenn hierzu zuvor durch Bundesgesetz ermächtigt wurde.
(3) Änderungen des Stammkapitals nach Aritkel 10 Absatz 3 des Vertrages und Änderungen im Beitragsschlüssel nach Artikel 11 Absatz 3 und 4 in Verbindung mit Artikel 11 Absatz 6 und Anhang I des Vertrages sind im Bundesgesetzblatt zu veröffentlichen."
Der Gouverneursrat des ESM darf das sog. Stammkapital also gem. Art. 10 Abs. 1; Art 5 Abs. 6 d); Art. 4 Abs 3 ESM V nur einstimmig erhöhen. Deutschland hat hierbei also ein Vetorecht.
Im Übrigen möchte ich darauf hinweisen, dass die beiden Gesetze am 20.03.2012 in den Deutschen Bundestag eingebracht wurden, siehe Drs. 17/9048, 17/9045. Bereits davor und danach wurde ausführlich beraten. Das in verschiedenen Internetforen genannte Argument, der Deutsche Bundestag hätte im Eilverfahren entschieden, entbehrt jeder Grundlage.
Dass es in einer pluralistischen Demokratie mehrere Meinungen gibt - und diese Meinungen auch von Bürgern, Journalisten, Hochschulprofessoren, Politikern, Unternehmern etc. geäußert werden - ist selbstverständlich. Alleine dass es so viele Diskussionsmöglichkeiten gibt, ist sehr zu begrüßen.
Sie lehnen den ESM-Vertragstext ab, weil Sie „um zukünftige Generationen und das Wohl unseres Landes“ sorgen. Ich stimmte den ESM-Durchführungsgesetzen und dem sog. Fiskalpakt gerade aus den gleichen Gründen zu. Es geht dabei nicht nur um unser Land, sondern um die Zukunft Europas, die uns allen am Herzen liegen sollte.
Abschließend noch eine Bitte: Der Deutsche Bundestag hat die ESM-Gesetze - wie Sie wissen - am Freitag, den 29. Juni mit ZWEIDRITTELMEHRHEIT verabschiedet. Wenn Sie also mir und wahrscheinlich Frau Mortler diese Fragen stellen, rege ich hiermit an, Ihre Fragen auch an die Betreuungsabgeordneten von Bündnis90/Die Grünen und SPD zu adressieren.
Mit freundlichen Grüßen,
Marina Schuster