Frage an Marina Schuster von Peter H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Schuster,
glücklicherweise ist der Koalition ihr Versuch, das Gesetz zur Änderung des Meldewesens im Schatten der die gesamte öffentliche Diskussion dominierenden Gesetzgebung rund um ESM und Eurorettung ohne Aussprache im Parlament klammheimlich durchzumogeln, noch nicht vollständig geglückt! Ich hoffe sehr, daß es der Opposition gelingen möge, dieses skandalöse Gesetz im Bundesrat zu kippen oder zumindest insoweit zu verändern, daß es den Ansprüchen an einen zeitgemäßen und bürgernahen Datenschutz gerecht wird.
Ist schon die Einführung einer "opt out"-Regelung nicht zuletzt unter dem Gesichtspunkt der Praktikabiltät aus datenschutzrechtlichen Gründen höchst fragwürdig, wird dieses Gesetz durch die Ausnahmeregelung für Aktualisierungs- und Bestätigungsanfragen vollends zu einer Verhöhnung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung, ja zum Skandal! Denn, davon können Sie ausgehen, die Anfragen des Adreßhandels werden künftig zu 100 Prozent als Update- und Bestätigungsanfragen gestellt werden! Ich weiß, wovon ich spreche, weil ich in meiner früheren Tätigkeit selbst über Jahre von Adreßhändlern mit Katalogen bombardiert wurde und seitdem weiß, welche gigantischen Datenmengen dort schlummern - und schon das zu einer Zeit, als von Facebook und Google noch keine Rede war.
Bitte erklären Sie mir deshalb, wieso die FDP, für die (angeblich) der Schutz der Bürgerrechte zum Markenkern des liberalen Selbstverständnisses gehört und deren Justizministerin sich bockbeinig mit teils guten, aber auch vielen schlechten Argumenten gegen die zeitlich begrenzte Vorratsdatenspeicherung zur Terrorbekämpfung stemmt, nun ohne erkennbaren Widerstand einem Gesetz zustimmen konnte, das den Schutz von höchst privaten, aber zwangsweise erhobenen Bürgerdaten de facto völlig aufhebt und die Melderegister zu einer lebenslangen, zwangsaktualisierten Vorratsdatenspeicherung im Zugriff der Werbewirtschaft diskreditiert? Danke!
Mit freundlichen Grüßen
Peter Hölzl
Sehr geehrter Herr Hölzl,
vielen Dank für Ihre Anfrage, die mir Gelegenheit gibt, einige handfeste Missverständnisse bezüglich des neuen Bundesmeldegesetzes auszuräumen. Leider haben wir es versäumt, die Neuerungen frühzeitig und ausreichend zu erklären. Ein persönliches Beispiel, welche Verbesserung die Neuregelung mit sich bringt: ich habe mich, als ich in Berlin eine Zweitwohnung bezog, mit meinem Zweitwohnsitz in Berlin angemeldet – daraufhin bekam ich Werbebriefe von Möbel- und Autohäusern! Ich habe mich dann bei den Firmen beschwert, diese aber sagten mir, sie hätten die Daten legal vom Meldeamt bezogen. Eine Widerspruchsmöglichkeit hatte ich damals gar nicht – diese haben wir nun verbindlich durch Bundesgesetz durchgesetzt.
Nichtsdestotrotz geht mir, und mit mir den bayerischen FDP-Bundestagsabgeordneten, die jetzt verabschiedete Widerspruchslösung noch nicht weit genug. Die bayerische FDP-Landesgruppe fordert daher ein Vermittlungsverfahren von Bundestag und Bundesrat zur Nachbesserung des Meldegesetzes. Ziel muss sein, zum ursprünglichen Entwurf der Bundesregierung zurückzukehren. Die Landesgruppe tritt entschieden für die sogenannte Einwilligungsregelung ein.
Das zuletzt vom Deutschen Bundestag beschlossene Gesetz mit der sogenannten Widerspruchsregelung stellte zwar eine Verbesserung der bisherigen Regelung dar. Aus Gründen des Datenschutzes ist die Zustimmungslösung aber die bessere Option. Denn dann können ohne ausdrückliche Zustimmung des betroffenen Bürgers keinerlei Daten an den Adresshandel oder die Werbewirtschaft weitergegeben werden. Der Bürger sollte nicht aktiv werden müssen, um die Datenweitergabe durch persönlichen Widerspruch zu verhindern.
Nun zum Hintergrund: Bei der Föderalismusreform wurde vereinbart, das Meldewesen in die konkurrierende Gesetzgebung des Bundes zu überführen. Mit der Schaffung des Bundesmeldegesetzes wird nunmehr von der neu geschaffenen Gesetzgebungskompetenz des Bundes Gebrauch gemacht. Damit soll gewährleistet werden, dass einheitliche Standards bei den Melderegistern eingeführt werden und mithin in einer mobiler werdenden Gesellschaft Bürokratie abgebaut und zudem den Bedürfnissen der Informationsgesellschaft auch in der öffentlichen Verwaltung entsprochen wird.
Daher war Ziel des Gesetzgebungsverfahrens, das geltende Recht quasi auf einen Nenner zu bringen und in Bundesrecht zu überführen. Das neue Melderecht bildet daher das geltende Recht aus den derzeit bestehenden Landesmeldegesetzen ab. Unberührt bleibt zudem die Geltung des Bundesdatenschutzgesetzes, welches selbstverständlich nach wie vor auf die Datenverarbeitung in den Meldebehörden umfassend Anwendung findet.
Ab 2014 gilt bundesweit ein neues einheitliches Melderecht. Bisher gibt es ein Rahmengesetz des Bundes und 16 Landesmeldegesetze. Im neuen Bundesmeldegesetz werden – in Einklang mit dem Bundesdatenschutzgesetz – weiterhin hohe Datenschutzstandards eingehalten.
Für die FDP-Fraktion war dabei wichtig, dass mit dem neuen Recht kein zentrales Melderegister geschaffen wird, wie es in der letzten Legislaturperiode vorgeschlagen worden war, sondern es weiter bei der dezentralen Speicherung in den zuständigen Meldebehörden bleibt.
Das neue Bundesmeldegesetz ändert auch an den Möglichkeiten, Daten bei Meldebehörden abzufragen, grundsätzlich nichts. Weiterhin bestehen wie schon in den geltenden Landesmeldegesetzen die Möglichkeiten, einfache Melderegisterauskünfte zu bereits namentlich bekannten Personen voraussetzungslos abzufragen, ebenso bei Glaubhaftmachung eines berechtigten Interesses erweiterte Melderegisterauskünfte zu verlangen. Bei der einfachen Melderegisterauskunft werden Vor- und Nachname sowie aktuelle Anschrift übermittelt. Dies ist sowohl im Bezug auf eine einzelne Person wie auch auf Gruppen zulässig, sofern die Person namentlich benannt wird. Hingegen ist bei der erweiterten Melderegisterauskunft, bei der zu Name und Anschrift weitere Daten wie etwa Geburtsdatum oder frühere Anschriften hinzukommen, notwendig, ein berechtigtes Interesse, etwa eine vertragliche Forderung, glaubhaft zu machen, also der Behörde durch geeignete Beweise darzulegen.
Darüber hinaus besteht bereits heute die Möglichkeit, Listenauskünfte zu verlangen, bei denen Daten nicht namentlich bekannter Personen nach bestimmten Kriterien übermittelt werden, also etwa Wohnort und Alter. Diese Auskunft richtet sich nach den Beschränkungen des Bundesdatenschutzgesetzes. Künftig bleiben diese Möglichkeiten bestehen und werden in Bundesrecht überführt.
Allerdings wird über das geltende Recht hinaus – auch bereits mit der Widerspruchslösung – der Datenschutz verbessert. Denn künftig muss bei Melderegisterauskünften zum Zwecke von Werbung oder Adresshandel der Zweck angegeben werden. Die Daten dürfen dann nur zu die-sem Zweck verwendet werden, eine Zweckentfremdung ist bußgeldbewehrt.
Jeder Bürger muss bei der Anmeldung von seinem zuständigen Meldeamt darauf hingewiesen werden, dass er dieser Weitergabe – auch mit Wirkung für die Zukunft – widersprechen kann. Ein Widerspruch ist jedoch jederzeit, also auch nach der Anmeldung noch möglich. Eine solche Widerspruchsmöglichkeit bestand bislang nur für Parteienwerbung. Die neue Regelung im Bundesmeldegesetz erweitert die Möglichkeit jedes Einzelnen, Herr seiner Daten zu bleiben. Durch die Pflicht zur Zweckangabe wird darüber hinaus die Transparenz für die Bürgerinnen und Bürger gesteigert, da sie bei der Meldebehörde Auskunft darüber verlangen können, wer ihre Daten zu diesen Zwecken erlangt hat.
Die Nutzung der so erlangten Daten unterliegt im Übrigen selbstverständlich weiterhin dem Bundesdatenschutzgesetz. Damit besteht nach den Regeln des Bundesdatenschutzgesetzes ein Anspruch des Betroffenen, gegenüber einem Unternehmen Auskunft, Berichtigung und Löschung seiner Daten zu verlangen.
Soweit die jetzt im Bundestag beschlossene Regelung. Wie oben bereits ausgeführt, wird sich die bayerische FDP, auch über ihre Regierungsbeteiligung in Bayern, dafür einsetzen, dass es durch ein Vermittlungsverfahren zu einer noch weitergehenden Stärkung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung kommt im Meldegesetz kommt, im Sinne der beschriebenen Einwilligungsregelung. Das ist unzweifelhaft die bessere Lösung.
Mit freundlichen Grüßen
Marina Schuster