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Frage von Andreas R. •

Frage an Marina Schuster von Andreas R. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Schuster,

laut Paragraph 48 der aktuelle Stellungnahme des Menschenrechtskomitees der Vereinten Nationen ( http://www2.ohchr.org/english/bodies/hrc/docs/gc34.pdf ), die den Internationalen Pakt über Bürgerliche und Politische Rechte (ICCPR) bewertet, „sind Verbote von Darstellungen mangelnden Respekts vor einer Religion oder anderen Glaubenssystemen, einschließlich Blasphemiegesetzen, mit dem Vertrag inkompatibel, außer in den bestimmten Umständen, wie sie in Artikel 20, Absatz 2 des Vertrags vorausgesehen sind.“

Jener Artikel 20, Absatz 2 ruft in der Stellungnahme Staaten dazu auf, Folgendes zu verbieten: „Die Verfechtung nationalen, rassistischen oder religiösen Hasses, welche zur Diskriminierung, Feindseligkeit oder Gewalt anstiftet.“ Der Kommentar verlangt mit Bedacht, dass keine Restriktion die Garantien des Abkommens auf Gleichberechtigung vor dem Gesetz (Artikel 26) und der Freiheit des Denkens, des Gewissens und der Religion (Artikel 18) verletzen darf. Gesetze, die Blasphemie einschränken, sind als solche somit mit den allgemeinen Menschenrechtsstandards inkompatibel.

In der Bundesrepublik Deutschland ist die Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen jedoch nach § 166 StGB (dem „Gotteslästerungsparagraphen“) strafbar. Deutschland verstößt somit gegen die im ICCPR zugesicherten Menschenrechte.

Gibt es Bestrebungen der Bundesregierung, diesen Missstand angesichts des UN-Kommentares zu beheben? Im Vereinigten Königreich wurde ein ähnlicher Paragraf übrigens bereits 2008 abgeschafft.

Mit freundlichen Grüßen

Andreas Reichhardt

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Antwort von
FDP

Sehr geehrter Herr Reichardt,

meiner Antwort auf Ihre Anfrage möchte ich vorausschicken, dass ich als Parlamentarierin keine Rechtsberatung machen darf und kann. Ein allgemeine Einschätzung der Rechtslage finden Sie im Folgenden:

Der Straftatbestand des § 166 StGB pönalisiert blasphemische Äußerungen nicht als solche, sondern gerade unter der Voraussetzung ihrer Geeignetheit zur Störung des öffentlichen Friedens. Damit steht § 166 StGB tatbestandlich gewissermaßen zwischen der Blasphemie und der Volksverhetzung. Es handelt sich um ein sog. Eignungsdelikt, das dogmatisch zwischen abstrakten und konkreten Gefährdungsdelikten angesiedelt ist. Es reicht bereits eine konkrete Eignung zur Friedensstörung, d.h. die Existenz von Gründen, welche die Annahme einer abstrakten Gefahr für den öffentlichen Frieden rechtfertigen.

Daraus ergibt sich nach allgemeiner Ansicht, dass allein der öffentliche Frieden Schutzgut dieser Vorschrift ist. Das religiöse Empfinden Einzelner, der Inhalt des religiösen Bekenntnisses und die in Absatz 2 genannten Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften an sich werden hingegen nicht von § 166 StGB geschützt. Es findet auch keine Diskriminierung bestimmter Religionen oder Weltanschauungen statt, da § 166 Abs. 2 StGB ausdrücklich alle Religionsgemeinschaften umfasst. Ziel der Vorschrift sind die Sicherstellung von Toleranz und der Schutz vor religiös motivierten Konflikten in der pluralistischen Gesellschaft.

Der Struktur nach entspricht § 166 StGB dem Tatbestand der Volksverhetzung gemäß § 130 StGB. § 166 StGB überschneidet sich teilweise mit § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB und tritt hinter diesem zurück, wenn zusätzlich ein Angriff auf die Menschenwürde vorliegt und sich die Beschimpfung gleichzeitig gegen eine Bevölkerungsgruppe richtet. Beiden Straftatbeständen ist das Schutzgut des öffentlichen Friedens gemeinsam. Zu diesem Tatbestandsmerkmal hat sich das Bundesverfassungsgericht im Rahmen von § 130 StGB geäußert: Es stellte klar, dass es sich bei § 130 StGB (und entsprechend auch § 166 StGB) um einen Eingriff in die Meinungsfreiheit handelt. Der Eingriff in dieses für die Demokratie konstituierende Grundrecht kann nicht allein mit dem Schutz vor provokanten Äußerungen gerechtfertigt werden. Deshalb muss das Merkmal des öffentlichen Friedens so ausgelegt werden, dass nur solche Handlungen und Äußerungen bestraft werden, welche unmittelbar das Hervorrufen weiterer Handlungen gegen den öffentlichen Frieden zum Ziel haben und damit an der Schwelle zur Aggression liegen.

Von § 166 StGB wird also nicht Blasphemie als solche bestraft, sondern die Gefährdung des öffentlichen Friedens, an die in der Rechtsprechung hohe Anforderungen gestellt werden.

Das Recht auf unbehinderte Meinungsfreiheit und Meinungsäußerung wird grds. in Art. 19 Abs. 1, Abs. 2 IPbürgR gewährleistet. Deutschland war bisher 18 Mal Partei eines Verfahrens Individualbeschwerdeverfahrens zum IPbürgR; allerdings waren von 18 erhobenen Beschwerden nur zwei zulässig und nur eine auch begründet. In keinem der Verfahren ging es um Art. 19 IPbürgR.

In den Abschließenden Bemerkungen des Menschenrechtsausschusses zu Deutschland von 2004 (Concluding Observations, CCPR/CO/80/DEU) werden verschiedene „Punkte, die Anlass zu Besorgnis geben“ sowie „Empfehlungen“ ausgesprochen. § 166 StGB findet darin keine Erwähnung.

Die Tatsache, dass der deutsche Straftatbestand der Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen (§ 166 StGB) bisher weder in einem Individualbeschwerdeverfahren noch in einem der Länderberichte des Menschenrechtsausschusses kritisiert wurde, unterstützen das dogmatische Ergebnis: Es ist davon auszugehen, dass § 166 StGB mit den Art. 19 Abs. 3 lit. b, 2. Var. IPbürgR normierten Anforderungen an Einschränkungen der Meinungsfreiheit im Einklang steht und sich daher als legitime Schranke derselben darstellt.

Auch den Anforderungen der Rechtsprechung des EGMR zur Meinungsfreiheit genügt die deutsche Gesetzeslage. Der EGMR räumt den Mitgliedstaaten der EMRK einen weiten Beurteilungsspielraum für die Pönalisierung von Herabwürdigungen religiöser Überzeugungen ein (sog. margin of appreciation-Doktrin). Zur Begründung wird auf die unterschiedlichen religiösen Auffassungen in den einzelnen Mitgliedstaaten verwiesen. Dogmatisch hat es hierfür als Ausprägung der Religionsfreiheit den sehr weitgehenden Schutz des religiösen Empfindens entwickelt, welches in diesen Fällen regelmäßig der Meinungsfreiheit gegenüber gestellt wird. Jedoch zeigt eine große Anzahl abweichender Voten, dass eine beachtliche Minderheit die Meinungsäußerungsfreiheit in einem eher amerikanischen und mit der Auslegung des Menschenrechtskomitees übereinstimmenden Verständnis in Übereinstimmung bringen will.

Aufgrund dieser rechtlichen Einordnung sehe ich etwaige Änderungen innerhalb der Gesetzeslage nicht als erforderlich an. Ferner sind mir auch entsprechende Initiativen nicht bekannt.

Mit freundlichen Grüßen

Marina Schuster