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Frage von Hans-Carl R. •

Frage an Marina Schuster von Hans-Carl R. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Schuster,

wie stehen Sie zu einer Direktwahl der Ministerpräsidenten der Bundesländer, einer Direktwahl des Bundeskanzlers und der Direktwahl des Bundespräsidenten?

mfG

Hans-Carl Rathjen

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Antwort von
FDP

Sehr geehrter Herr Rathjen,

vielen Dank für Ihre Anfrage.
Ich beginne – aufgrund der erst kürzlich erfolgten Wahl des Bundespräsidenten – mit dem letzten Teil Ihrer Frage.
Das Volk mehr selbst entscheiden lassen - das ist sicherlich ein unterstützenswertes Ziel. Aber bei der Wahl des Bundespräsidenten geht es hier um ein Amt von eigener, quasi „moralischer“ Autorität und politischer – wenn auch klar nach unserem Grundgesetz begrenzter – Macht. Der Bundespräsident übernimmt deshalb hauptsächlich repräsentative Aufgaben: Er ernennt u.a. den Bundeskanzler (Artikel 63 GG), vertritt die Bundesrepublik völkerrechtlich (Artikel 59 GG) und übt im Einzelfall das Begnadigungsrecht aus (Artikel 60 GG). Weitere Informationen zur verfassungsrechtlichen Stellung des Bundespräsidenten finden Sie unter http://www.bundespraesident.de. Ich bin persönlich ganz klar der Auffassung, dass es bei dem bisherigen Grundgesetz und den darin niedergelegten Wahlverfahren für den Bundespräsidenten bleiben sollte. Dies ist für mich als junge Abgeordnete auch eine Lehre aus der deutschen Geschichte.
Ich frage mich: was würde sich bei einer Direktwahl des Bundespräsidenten ändern? Anders als jetzt wäre bei einer Direktwahl, dass zunächst für jede Partei ein Kandidat antreten würde, dazu kämen wohl noch einige unabhängige Bewerber. Sie würden sich vielleicht sogar einen heftigen Wahlkampf liefern, und am Ende ergäbe sich vielleicht sogar eine zunehmende parteipolitische Polarisierung. Es wäre dann sicher nicht leicht für das neue Staatsoberhaupt, noch als die einigende Instanz des ganzen Volkes aufzutreten, die quasi über dem täglichen Parteienwettstreit steht. Dabei ist es doch das Besondere am Amt des Bundespräsidenten, dass er eben nicht Teil des unvermeidlichen Parteienwettstreit einer Demokratie sein soll. Mit einer Direktwahl würden viele Bürgerinnen und Bürger auch ein verändertes Gewicht des Bundespräsidenten erwarten. Wenn wir den Bundespräsidenten direkt wählen, dann muss dieser Bundespräsident wohl mehr Aufgaben haben als bisher. Mehr als nur die Macht der Rede, mehr als das die Befugnis Gesetze zu unterschreiben (oder es nicht zu tun), mehr als nur die völkerrechtliche Vertretung Deutschlands. Für mich ist der Wunsch populär, aber vielleicht nicht zu Ende gedacht. Notwendige Konsequenz wäre es dann, dem Bundespräsidenten per Verfassung mehr Macht und Einfluss zu geben. Gerade dies wollten die Väter des Grundgesetztes jedoch zu Recht nicht.
Darüber hinaus, müssten für eine Direktwahl viele Fragen geklärt werden – ich lade Sie gerne ein, sich ihre Antworten auf diese Fragen zu geben: Wie würde man Kandidat werden? Müsste man eine gewisse Anzahl an Unterschriften für die Nominierung beibringen? In welcher Frist müsste man wie viele Unterschriften sammeln? Wie lange sollte der entsprechende bundesweite Wahlkampf dauern und gibt es dafür eine staatliche Finanzierung?
Einige der oben dargelegten Argumente möchte ich auch gegen eine Direktwahl der Ministerpräsidenten und des Bundeskanzlers anführen, wobei ich bei diesen beiden Ämtern für eine Diskussion offen wäre. Sollte eine Direktwahl in der parlamentarischen Debatte wirklich diskutiert werden, würde ich diese Diskussion gerne sachlich-konstruktiv begleiten.
Ich möchte folgendes zu bedenken geben: bei einer Direktwahl des Bundeskanzlers würde das gesamte, über Jahrzehnte bewährte demokratische System der Bundesrepublik Deutschland geändert werden. Die Bundesrepublik hat ein parlamentarisches Regierungssystem, bei dem die Regierung - staatsrechtlich gesehen - aus dem Parlament hervorgeht, bzw. in der politischen Wirklichkeit die Mehrheitsparteien im Bundestag eine Koalition bilden und gemeinsam die Regierungstätigkeit übernehmen. Würde der Bundeskanzler direkt vom Volk gewählt, dann hätten wir ein präsidentielles Regierungssystem wie z. B. die USA. Ich sehe keinen Grund für einen so drastischen Systemwechsel.
Ferner brauchen Regierungen parlamentarische Mehrheiten, um ihre politischen Vorstellungen umzusetzen – in der Regel durch die Verabschiedung von Gesetzen, was Landtag und Bundestag im Übrigen von Gemeinde- und Stadträten unterscheidet. Eine Regierung muss sich auf eine Mehrheit im Parlament stützen können Ein direkt gewählter Bundeskanzler oder Ministerpräsident kann auf diese parlamentarische Mehrheit nicht zwangsläufig zurückgreifen; er bzw. sie wäre dann ein Regierungschef(in) ohne faktische Gestaltungsmöglichkeit. Bedenken Sie bitte: In Ihrem Modell einer Direktwahl könnte es z.B. theoretisch vorkommen, dass ein SPD-Kanzler(in) einer schwarz-gelben Mehrheit vorsteht, oder ein CDU-Kanzler(in) einer rot-rot-grünen Mehrheit. Damit wird Regieren und das Finden von Kompromissen nach meiner Einschätzung nicht einfacher oder besser.
Anstelle einer Direktwahl der Ministerpräsidenten, des Bundeskanzlers oder des Bundespräsidenten sollte meines Erachtens die Einführung bzw. Erweiterung anderer plebiszitärer Elemente wie z.B. Volksabstimmungen sorgsam weiterentwickelt werden. Die FDP hat hierzu bereits im Koalitionsvertrag klar Position bezogen. Auch haben sich die Regierungsparteien darauf verständigt, die Beteiligung der Bürger über die Reform des Petitionswesens auszubauen. Im Koalitionsvertrag heißt es: „Wir wollen die Mitwirkungsmöglichkeiten der Bevölkerung an der demokratischen Willensbildung stärken. Dazu werden wir das Petitionswesen weiterentwickeln und verbessern. Bei Massenpetitionen werden wir über das im Petitionsausschuss bestehende Anhörungsrecht hinaus eine Behandlung des Anliegens im Plenum des Deutschen Bundestags unter Beteiligung der zuständigen Fachausschüsse vorsehen.“

Bitte entschuldigen Sie, dass die Antwort etwas länger wurde. Mir war es wichtig, die Zusammenhänge darzustellen.

Mit freundlichen Grüßen
Marina Schuster