Frage an Marina Schuster von Martin H. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrte Frau Schuster,
die deutsche Beteiligung am Afghanistan-Krieg wird von den Befürwortern immer wieder damit gerechtfertigt, dass dieser Krieg ein Prüfstein für die NATO sei, und dass die NATO auseinanderbrechen würde, wenn der Krieg (so wie in den 70er Jahren der Vietnamkrieg) verloren ginge. Deutschland kämpfe also am Hindukusch für seine Sicherheitsarchitektur.
Dieses Argument wird in dem Maße stärker, in dem sich der Westen von seinen Menschenrechts- und Demokratie-Träumen verabschiedet. Unter Präsident Obama ist der Krieg massiv eskaliert worden ( http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,608298,00.html ), aber das Kriegsziel ist jetzt realistischer geworden und besteht nur noch in der Festigung einer pro-westlichen Regierung, die sich nicht mehr unbedingt an unsere Werte halten muss.
Das NATO-Argument wird auch immer wichtiger, je unglaubwürdiger das Terrorismus-Argument wird: Praktisch alle geplanten oder ausgeführten islamistischen Terroranschläge (zumindest in westlichen Ländern) in den letzten acht Jahren sind von einheimischen Islamisten, nicht von ausländischen durchgeführt worden.
Meine Frage ist:
Welchen Stellenwert hat für Sie das NATO-Argument? Tötet und stirbt die Bundeswehr in Afghanistan vor allem für Deutschlands Rolle in der NATO, und nicht vor allem für die Menschen in Afghanistan (von denen inzwischen die Mehrheit den Abzug der NATO fordern, vgl. http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,606494,00.html )?
Ist die NATO, die uns eigentlich den Frieden sichern soll, so wichtig für uns, dass wir für die Erlaubnis, Teil der NATO zu sein, Krieg führen? Wenn wir vor allem durch Islamisten im Inneren bedoht werden, die gerade auch durch diesen verhassten Krieg zu ihren Gewalttaten motiviert werden, würde dann ein Ausscheren aus dem NATO-Krieg unsere Sicherheit nicht gerade erhöhen?
Mit bestem Dank und freundlichen Grüßen,
Prof. Dr. Martin Haspelmath (Max-Planck-Institut Leipzig)
Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Haspelmath,
Ihre Einschätzungen bezüglich der NATO und den Motiven zur deutschen Beteiligung am Einsatz in Afghanistan teile ich nicht. Ich kann nur dringend davor warnen, Ursache und Wirkung hinsichtlich der Bedeutung des Einsatzes in Afghanistan für die NATO zu vertauschen. Richtig ist, dass eine scheiternde Stabilisierung Afghanistans negative Folgen für die NATO hätte. Falsch, und nicht Tatsachen entsprechend, ist meines Erachtens die Behauptung, der Afghanistan-Einsatz der NATO diene vor allen Dingen dem Zusammenhalt des Bündnisses und weniger den Interessen der Afghanen wie der internationalen Gemeinschaft. Wie Sie wissen wird eine derartige Argumentation meist von jenen angeführt, die die NATO aus ideologischen Gründen ablehnen. Gegenüber den Menschen in Afghanistan, die unendlich unter der Herrschaft der Taliban gelitten haben, halte ich diese Argumentation für unerträglich zynisch.
In Afghanistan verbindet sich die Chance für ein selbstbestimmtes Leben in Sicherheit und der Perspektive auf Entwicklung mit unseren Sicherheitsinteressen.
Ziel des Einsatzes ist es, im Land eine von afghanischen Institutionen und der gesamten Bevölkerung getragenen Sicherheitsarchitektur aufzubauen, die es dem afghanischen Volk ermöglicht, in Zukunft eigenständig und in Frieden über seine weitere Entwicklung zu bestimmen. Zögen heute ISAF- und OEF-Partner aus Afghanistan ab, dann würde in kürzester Zeit erst Afghanistan und dann andere Teile der Welt mit Terror bedroht - denn die afghanischen Behörden sind derzeit noch nicht in der Lage, selbst die Sicherheit im Land zu garantieren. Der von Ihnen befürwortete Ausstieg aus dem Einsatz würde somit alle bisherigen Anstrengungen zunichte machen.
Entgegen Ihrer Vorstellung ist die afghanische Bevölkerung auch keineswegs grundsätzlich gegen die ausländische Truppenpräsenz im Lande eingestellt. Eine Studie der FU Berlin belegt die überwältigend hohe Akzeptanz, die gerade den deutschen Soldaten entgegengebracht wird (zusammengefasst hier: http://www.sueddeutsche.de/politik/503/432253/text/ ; mehr unter http://www.sfb-governance.de/ ).
Mit freundlichen Grüßen
Marina Schuster