Frage an Marie-Luise Dött von Jens D. bezüglich Umwelt
Sehr geehrte Frau Dött,
Die Wissenschaft und auch das Umweltbundesamt in der Rescue-Studie (https://www.umweltbundesamt.de/rescue) sagen: das "Klimaschutzpaket" ist unzureichend. Die UBA-Studie, S. 32: "GreenLate, welches die Ziele der Bundesregierung darstellt, wird den internationalen Zielen nicht gerecht." Sie (https://www.abgeordnetenwatch.de/profile/marie-luise-dott/question/2019-09-21/324632) und auch Frau Dr. Weisberger (https://www.abgeordnetenwatch.de/profile/anja-weisgerber/question/2020-02-17/334790) behaupten lediglich, die Klimaschutzziele Deutschlands und der EU würden erreicht. Sie geben selbst zu, dass die Ziele und auch die Maßnahmen nicht ausreichen, indem Sie darauf verweisen, dass aus Gründen der Akzeptanz in der Gesellschaft nicht mehr getan wird. Dass das 1,5-Grad-Ziel erreicht wird, behaupten Sie nicht einmal.
Die soziale Akzeptanz kann nicht dadurch hergestellt werden, dass das zum Erhalt der Lebensgrundlagen Notwendige nicht getan wird. Die Regierung hat mindestens seit 2006 gewusst, dass schnellst möglich gehandelt werden muss: https://www.umweltbundesamt.de/dokument/klimagefahr-durch-tauenden-permafrost; https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/kipppunkte-im-klimasystem – Welche Gefahren drohen?
Der die Bundesregierung beratende Sachverständigenrat für Umweltfragen hat seit Jahren Handlungsvorschläge gemacht, die nicht umgesetzt wurden.
Welche wissenschaftlichen Nachweise haben Sie für das Erreichen der Klimaziele der Regierung und auch dafür, dass das 1,5 Grad-Ziel erreicht wird, das Restbudget an THG-Emissionen eingehalten wird?
Kennen sie den Budgetansatz des WBGU und welche Handlungsnotwendigkeiten leiten Sie daraus ab - wie hoch ist das Restbudget an THG-Emissionen für Deutschland?
Mit freundlichen Grüßen
J. D.
Sehr geehrter Herr Düvelshaupt,
vielen Dank für Ihre Anfrage vom 25. Februar 2020, in der Sie kritisieren, die deutschen Klimaschutzanstrengungen würden nicht den internationalen Verpflichtungen entsprechen.
Zu Beginn weise ich darauf hin, dass verschiedene Klimaschutzziele und verschiedene Handlungsebenen nicht vermischt werden dürfen. In meiner von Ihnen zitierten Antwort auf abgeordnetenwatch.de beziehe ich mich ausschließlich auf das deutsche Klimaziel für 2030, das sich aus den europäischen Vorgaben ableitet. Im Pariser UN-Klimaübereinkommen hat sich die Staatengemeinschaft darauf geeinigt, den Temperaturanstieg deutlich auf unter 2 Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Darüber hinaus sollen Anstrengungen unternommen werden, um den Temperaturanstieg möglichst auf 1,5 Grad zu reduzieren. Um dieses Ziel zu erreichen, dürfen in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts nicht mehr klimaschädliche Gase ausgestoßen werden, als der Atmosphäre durch sogenannte Senken, also etwa Wälder, entzogen werden. Das heißt im Umkehrschluss: Das Ziel des Pariser UN-Klimaübereinkommens bezieht sich frühestens auf das Jahr 2050. Folglich passt Ihre Ansicht, das „Klimapaket“ der Bundesregierung sei nicht „Paris-kompatibel“, nicht zu den verschiedenen Zeithorizonten, mit denen wir es hier zu tun haben.
Des Weiteren ist die ebenfalls von Ihnen zitierte RESCUE-Studie im November 2019 fertiggestellt und publiziert worden, d.h. hier waren Teile des „Klimapakets“ noch gar nicht vollumfassend beschlossen. Denn erst am 29. Dezember 2019 einigte sich der Vermittlungsausschuss zwischen Bundestag und Bundesrat auf letzte Details für Klimaschutzmaßnahmen im Steuerrecht. Gleichzeitig wurde die bis dato vorgesehene Höhe der CO2-Zertifikatspreise in der Einführungsphase ab 2021 nochmal geändert bzw. angehoben. Dies wird wiederum Auswirkungen auf die CO2-Einsparpotentiale in den Sektoren Wärme und Verkehr haben. Mithin konnte die UBA-Studie die zeitlich später eingetretenen Neuerungen gar nicht in den Projektionen berücksichtigen. Deswegen wäre ich grundsätzlich mit ähnlich gelagerten Prognosen, ob bestimmte Ziele erreicht werden oder nicht, vorsichtig. Ein Beispiel: Entgegen bisheriger Annahmen stehen die Chancen laut Agora Energiewende nicht schlecht, dass die Bundesrepublik Deutschland ihre Treibhausgas-Emissionen im Jahr 2019 um rund 35 Prozent gegenüber 1990 gesenkt hat. Vorherige Abschätzungen sagten eine Reduzierung von höchstens 32 Prozent voraus.
Wie kann also die Europäische Union (EU) und Deutschland das Pariser UN-Klimaübereinkommen einhalten? Die Europäische Kommission hat bereits mit ihrer Langfriststrategie „Ein sauberer Planet für alle. Eine Europäische strategische, langfristige Vision für eine wohlhabende, moderne, wettbewerbsfähige und klimaneutrale Wirtschaft“ vom 28. November 2018 auf den IPCC-Sonderbericht über 1,5 Grad globale Erwärmung reagiert und deutlich gemacht, dass die EU bis 2050 klimaneutral sein müsse, um das Pariser Klimaübereinkommen zu erfüllen. Auf dieses Ziel haben sich die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten am 13. Dezember 2019 geeinigt. Zudem soll gemäß dem von Ursula von der Leyen vorgelegten „Green Deal“ in den nächsten Wochen ein Entwurf für ein „Klimaschutzgesetz“ vorgestellt werden, das das Ziel der Klimaneutralität verbindlich fixiert. Die Bundesregierung hat diesen Schritt bereits mit dem beschlossenen Bundes-Klimaschutzgesetz vollzogen. Insofern bewegt sich sowohl Deutschland als auch die EU auf dem Pfad, die Anforderungen des Pariser UN-Klimaübereinkommens einzuhalten.
Ob es der Weltgemeinschaft gelingt, das 2-Grad-Ziel zu erreichen, hängt von jedem Beitrag eines jeden Staates ab. Ich stelle fest, dass Europa in dieser Frage sehr klar, ambitioniert und auch zielstrebig ist. Aufgrund vielfältiger und unbekannter Faktoren halte ich es daher für unangebracht, die Erreichung der Pariser Klimaziele zu versprechen, geschweige denn „zu behaupten“. Das entspricht nicht meinem Verständnis von seriöser Klimaschutzpolitik. Es ist besser, auf Basis eines kontinuierlichen Monitorings gegebenenfalls auf neue Herausforderungen zu reagieren.
Kommen wir nun zu dem ebenfalls von Ihnen angesprochenen Budgetansatz. Natürlich ist mir dieser bekannt. Bezogen auf das Pariser Klimaübereinkommen ist festzustellen, dass sich die Unterzeichnerstaaten nicht auf diesen Ansatz geeinigt haben. Insofern halte ich es für nicht zielführend, derzeit eine theoretische Debatte über die möglichen Auswirkungen auf die deutschen Klimaziele zu führen. Das Thema wird erst relevant, wenn wir eine entsprechende Einigung auf internationaler Ebene haben. Eine Entscheidung für den Budgetansatz gab es in dem bereits angesprochenen Bundes-Klimaschutzgesetz. Abgeleitet von den europäischen jährlichen Emissionsbudgets für die Sektoren Verkehr, Wärme und Landwirtschaft wurden die verschiedenen Sektorziele bis 2030 in Deutschland festgelegt.
Abschließend bitten Sie noch um Informationen über die wissenschaftlichen Nachweise, wie die Bundesregierung die 2030er Ziele sowie die Paris-Ziele erreichen will. Die Bundesregierung hat im Rahmen des „Klimapakets“ (Klimaschutzprogramm 2030) zugesagt, zwei Gutachten in Auftrag zu geben, um die CO2-Einsparpotentiale der insgesamt über 60 Einzelmaßnahmen wissenschaftlich abschätzen zu können. Meinen Informationen zufolge sind diese Gutachten bereits vergeben worden, sodass im Sommer bzw. Herbst 2020 mit ersten Ergebnissen zu rechnen ist. Weiterführende Fragen in diesem Zusammenhang richten Sie bitte direkt an das Bundesumweltministerium bzw. an das Bundeswirtschaftsministerium.
Mit freundlichen Grüßen
Marie-Luise Dött