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Marianne Schieder
SPD
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Frage von Martin G. •

Frage an Marianne Schieder von Martin G. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Schieder

am Freitag haben Sie der Umsetzung des Gesetzes zur Vorratsdatenspeicherung zugestimmt. In meinen Augen stellt dieses Gesetz einen klaren Verstoß gegen die in der Verfassung garantierten Grundrechte der Bundesbürger dar. Nach der Abstimmung am Freitag drängen sich mir als Bürger Ihres Wahlkreises zwei wesentliche Fragen auf:

1. Glauben Sie, dass sie mit Ihrer Zustimmung zu diesem fragwürdigen und nach Meinung vieler Experten sowohl rechtswidrigen als auch weitgehend wirklungslosen Gesetz dem Willen der Wähler entsprochen haben?

2. Von Seiten der Befürworter des Gesetzes zur Vorratsdatenspeicherung wird immer wieder das Argument ins Feld geführt, nur eine EU-Richtlinie umzusetzen.

Warum wurde dann mit dem Beschluss des Gesetzes nicht abgewartet, wie der Europäische Gerichtshof über die Klage Irlands gegen die Vorratsdatenspeicherung entscheidet? Immerhin besteht die realistische Möglichkeit, dass der EuGh die Richtlinie für nichtig erklärt. Die Entscheidung des EuGh wird für 2008 erwartet, warum um alles in der Welt wird vom Bundestag ein Gesetz entgegen aller Expertenmeinungen durchgepeitscht, das möglicherweise wieder gekippt wird, noch ehe es in kraft ist.

Ich hoffe auf eine Stellungnahme Ihrerseits.

Mit freundlichen Grüßen

Martin Gorges

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Gorges,

für Ihre Mail danke ich Ihnen.
Sie dürfen versichert sein, dass ich mir die Entscheidung nicht leicht gemacht habe.
Keineswegs möchte ich den Weg bereiten für den „Überwachungsstaat“. Den wird es mit diesem Gesetz auch nicht geben. Ich kann die Panikmache, die hier von interessierter Seite betrieben wird, nicht nachvollziehen und bin entsetzt, wie hier rechtlich schwierige Sachverhalte genutzt werden zu politischer Propaganda. Die SPD, das dürfte Ihnen gerade im Zusammenhang mit den Diskussionen um die Online Durchsuchung nicht entgangen sein, achtet sehr genau darauf, dass die Union nicht die Möglichkeit bekommt den Rechtsstaat zu demontieren. Allerdings wollen wir auch, dass schwere Straftaten aufgeklärt werden können und unsere Bürgerinnen und Bürger vor Anschlägen usw. geschützt werden. Dazu, so die Erfahrung von Polizei und Justiz, sind bestimmte Maßnahmen nötig.

Wir sind verpflichtet als Bundesrepublik Deutschland die EU–Richtlinie umzusetzen. Wir haben die Zeit, die dafür zur Verfügung steht schon ausgereizt. Wenn wir jetzt nicht umsetzen droht uns ein Verfahren der EU. Wir können das Ergebnis der von Irland eingereichten Klage nicht abwarten. Die Klage gegen die EU-Richtlinie hat keine aufschiebende Wirkung, das heißt, sie setzt die Richtlinie nicht außer Kraft bis über die Klage entschieden ist. Die Richtlinie gilt nach wie vor und muss also von uns umgesetzt werden. Ganz abgesehen davon wollen die Iren noch viel schärfere Maßnahmen im Sinne der Verbesserung der Möglichkeiten für die Datenspeicherung und der Möglichkeiten für das Abhören. Sie gehören neben den Briten zu den Ländern, die diese Richtlinie auf dem Weg gebracht haben. Da sie sich nicht durchsetzen konnten zweifeln sie jetzt mit der Klage die Zuständigkeitskompetenz der EU an.

Anders ist die Situation was die Online Durchsuchung betrifft. Hier besteht die SPD darauf, dass vor einer Änderung der gesetzlichen Grundlagen - was die Union gerne hätte - zunächst die Entscheidung über eine beim Bundesverfassungsgericht anhängige Klage abgewartet wird. Wir gehen davon aus, dass damit unserer Position gestärkt wird und sich so die Pläne der Union mit noch besseren Argumenten verhindern lassen. Hier gibt es für uns keinen Druck, die gesetzlichen Grundlagen zu verändern und wir können warten.

Gerne möchte Ihre Mail zum Anlass nehmen, Ihnen einen umfassenden Überblick über das Gesetz zur Novelle der Telekommunikationsüberwachung und zur Umsetzung der europäischen Richtlinie zur sogenannten Vorratsdatenspeicherung zu geben.

Das Gesetz
• novelliert die geltenden Vorschriften der Strafprozessordnung zur Telekommunikations-überwachung und anderen verdeckten Ermittlungsmaßnahmen,
• setzt die EU-Richtlinie zur sogenannten Vorratsdatenspeicherung in deutsches Recht um
• und sorgt für grundrechtswahrende Verfahrenssicherungen bei heimlichen Ermittlungs-maßnahmen.

Bereits unter rot-grüner Regierung hatte die Novelle ihren Anfang genommen. Der vom Bun-desjustizministerium erarbeitete Entwurf konnte aufgrund des vorzeitigen Endes der 15. Legislaturperiode zunächst nicht weiterverfolgt werden. Das nun vorliegende Gesetz hat diese Arbeiten weitergeführt. Zwischenzeitliche Entwicklungen sind in ihm berücksichtigt. Zum einen sind es Anpassungen wegen der Notwendigkeit, die eingangs erwähnte EU-Richtlinie umzusetzen, zum anderen waren Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts unter anderem zum einfachgesetzlichen Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung zu beachten.

Wir haben bei dem Gesetz einerseits im Auge behalten, dass der Staat für unsere Sicherheit zu sorgen hat und daher die berechtigten Strafverfolgungsinteressen des Staates angemessen berücksichtigt werden müssen. Andererseits greifen verdeckte Ermittlungsmaßnahmen aber regelmäßig in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger ein, so dass für ihre Anordnung strenge Voraussetzungen gelten und der Rechtsschutz wirksam ausgestaltet sein müssen. Deshalb haben wir das Telekommunikationsüberwachungsrecht weiter rechtsstaatlich eingegrenzt. Dadurch liegen die Hürden für die Durchführung einer Telekommunikationsüberwachung in Zukunft noch höher als jetzt. Dabei gilt künftig wie bisher, dass sie – wie künftig bei jeder eingriffsintensiven verdeckten Ermittlungsmaßnahme auch – grundsätzlich nur durch einen Richter angeordnet werden darf.

Hürde Nr. 1: Vorliegen einer schweren Straftat
Neu ist dabei, dass Straftaten grundsätzlich nicht in Frage kommen, die im Höchstmaß mit weniger als fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind. Die Tat muss – auch diese ausdrückliche Regelung ist neu – auch im konkreten Einzelfall schwer wiegen.

Hürde Nr. 2: Kernbereichsschutz
Eine Telekommunikationsüberwachung ist unzulässig und hat zu unterbleiben, wenn tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, dass durch die Überwachung allein Erkenntnisse aus dem Kernbereich der privaten Lebensgestaltung erlangt würden.

Hürde 3: Berufsgeheimnisträgerschutz
Soll ein Berufsgeheimnisträger wegen des Ermittlungsverfahrens gegen einen Dritten, an dem er selbst in keiner Weise beteiligt ist, überwacht werden, gilt Folgendes: Das Vertrauensverhältnis zu Seelsorgern, Strafverteidigern und Abgeordneten wird absolut geschützt. Sie haben eine besondere verfassungsrechtlichen Stellung. Deshalb sind sie von allen Ermittlungsmaßnahmen ausgenommen, die sich auf die Informationen beziehen, die ihnen in ihrer Eigenschaft als Berufsgeheimnisträger anvertraut wurden.

Bei Ärzten, Rechtsanwälten, Journalisten und allen anderen zeugnisverweigerungsberechtig-ten Berufsgeheimnisträgern wird ausdrücklich klargestellt, dass sie in Ermittlungsmaßnah-men künftig nur nach einer sehr sorgfältigen Verhältnismäßigkeitsabwägung im Einzelfall in Ermittlungsmaßnahmen einbezogen werden dürfen. Für die Abwägung wird es zudem einen ausdrücklichen Maßstab im Gesetz geben: Betrifft das Verfahren keine Straftat von erhebli-cher Bedeutung, ist in der Regel nicht vom Überwiegen des Strafverfolgungsinteresses auszugehen. Eine Straftat ist nur dann von erheblicher Bedeutung, wenn sie - mindestens dem Bereich der mittleren Kriminalität zugerechnet werden kann, - den Rechtsfrieden empfindlich stört und - dazu geeignet ist, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen. Ergibt die Prüfung also, dass es bei der Ermittlung nicht um eine erhebliche Straftat geht, sind jegliche Ermittlungsmaßnahmen gegen den Berufsgeheimnisträger regelmäßig unzulässig, weil unverhältnismäßig.

Hürde Nr. 4: Berufsgeheimnisträgerschutz bei Verstrickung
Besteht gegen den Berufsgeheimnisträger, etwa einen Journalisten, selbst ein Beteiligungs- oder Begünstigungsverdacht, so können nach geltendem Recht zum Beispiel Unterlagen bei ihm beschlagnahmt werden, wenn diese für die Aufklärung einer Straftat relevant sind. Künftig muss sich die Annahme des Verstrickungsverdachts auf bestimmte Tatsachen gründen, so dass eine sorgfältige, sich auf konkrete Tatsachen stützende Prüfung erforderlich werden wird.

Hürde Nr. 5: Beweisverwertungsverbot bei Zufallsfunden
Ein Zufallsfund ist Material, das auf eine Straftat hindeutet, aber nichts mit der Untersuchung zu tun hat, wegen derer eine Durchsuchung angeordnet wurde. Bei Journalisten dürfen solche Zufallsfunde künftig nicht als Beweise in einem Verfahren wegen Geheimnisverrats oder wegen sonstiger Straftaten, die mit einem Höchstmaß von unter fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind, verwertet werden.

Das neue Gesetz enthält darüber hinaus Anpassungen wegen der Notwendigkeit, die EU-Richtlinie zur sogenannten Vorratsdatenspeicherung (2006/24/EG) in deutsches Recht umzusetzen. Auch hier haben wir im Bewusstsein der Verantwortung für eine wirksame Kriminalitätsbekämpfung unsere Verpflichtung für Bürgerrechte ernst genommen und dafür Sorge getragen, dass die EU-Vorgaben so grundrechtsschonend wie möglich gestaltet wurden. So ist es Deutschland gegen den Widerstand vieler anderer Mitgliedstaaten gelungen, dass die Mindestspeicherungsdauer auf sechs Monate (statt der ursprünglich auf EU-Ebene diskutierten 36 Monate) beschränkt wurde. Dies ist ein vom Deutschen Bundestag wirksam unterstützter Verhandlungserfolg der Bundesregierung auf EU-Ebene.

Die wegen der Umsetzung künftig zu speichernden Daten sind im Wesentlichen die Verkehrsdaten, die von den Telekommunikationsunternehmen schon heute üblicherweise zu Abrechnungszwecken gespeichert werden. Das sind insbesondere die genutzten Rufnummern und Kennungen sowie Uhrzeit und Datum der Verbindungen. Neu hinzu kommt nur, dass bei der Mobilfunktelefonie auch der Standort (Funkzelle) bei Beginn der Mobilfunkverbindung gespeichert wird. Daten, die Aufschluss über den Inhalt der Kommunikation geben, dürfen dagegen nicht gespeichert werden.

Zu den Telekommunikationsverkehrsdaten gehören neben den Daten über Telefonverbindungen auch solche Daten, die bei der Kommunikation über das Internet anfallen. Diese müssen nach der EU-Richtlinie künftig ebenfalls gespeichert werden. Auch in diesem Bereich werden nur Daten über den Internetzugang und die E-Mail-Kommunikation gespeichert. Dabei speichert das TK-Unternehmen lediglich, welchem Teilnehmeranschluss eine bestimmte Internetprotokoll-Adresse (IP-Adresse) zu einem bestimmten Zeitpunkt zugewiesen war sowie die Daten über die E-Mail-Versendung, nicht dagegen, welche Internetseiten besucht wurden oder welchen Inhalt eine E-Mail hatte.

Die Daten werden – wie bisher – nur bei den TK-Unternehmen gespeichert. Wie bisher schon können Polizei und Staatsanwaltschaft grundsätzlich nur dann auf die Daten zugreifen, wenn dies zuvor durch einen richterlichen Beschluss erlaubt wurde. In diesem Beschluss legt der Richter genau fest, welche Daten das Unternehmen aus seinem Bestand herausfiltern und den Strafverfolgungsbehörden übermitteln muss.

Für alle verdeckten Ermittlungsmaßnahmen gilt darüber hinaus eine Reihe von Verfahrensregelungen. Sie verbessern den Grundrechtsschutz aller, die von verdeckten Ermittlungs-maßnahmen betroffen sind:
• Richtervorbehalt bei allen eingriffsintensiven verdeckten Ermittlungsmaßnahmen.
• Konzentration der Zuständigkeit für die Anordnung einer Maßnahme beim Ermitt-lungsgericht am Sitz der Staatsanwaltschaft, um dessen größere Spezialisierung zu erreichen.
• Umfassende, gerichtlich kontrollierte Benachrichtigungspflichten.
• Einführung eines nachträglichen Rechtsschutzes bei allen verdeckten Ermittlungs-maßnahmen.
• Einführung von einheitlichen Kennzeichnungs-, Verwendungs- und Löschungsrege-lungen.

Die SPD-Bundestagsfraktion hat in den parlamentarischen Beratungen zu diesem Gesetz dafür Sorge getragen, dass der Einsatz verdeckter Ermittlungsmaßnahmen zum Zweck der Kriminalitätsbekämpfung und dem Schutz vor schweren Straftaten mit hohen, grundrechtssichernden Schwellen verknüpft ist, so dass das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit gewahrt bleibt.

Mit freundlichen Grüßen
Marianne Schieder, MdB

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