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Marianne Schieder
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Frage von Luise N. •

Frage an Marianne Schieder von Luise N. bezüglich Arbeit und Beschäftigung

Sie haben bei der Abstimmung im Bundestag für die Rente mit 67 gestimmt.
Sind Ihnen die Konsequenzen der Verschiebung bewußt, nämlich Rentenraub und damit ALGII/Sozialgeld-Abhängigkeit vieler älterer Menschen, mit unterschiedlicher Fitness und vieler gesundheitlicher Verschleißerscheinungen?

Kommen Sie mir bitte nicht mit dem Generationenproblem und dem "demographischen Faktor", der wird sich sehr schnell erledigen, nachdem die Wirtschaft schon heute Schwierigkeiten hat, qualifiziertes "frisches Fleisch" zu rekrutieren!

Daß ältere und alte Menschen durch die Heraufsetzung des Rentenalters, um ihre verdiente, beitragsfinanzierte Rente gebracht sind und sie gleichzeitig gezwungen werden, "Heuschrecken" weiterhin zweistellige Gewinnmargen zu garantieren, müßte eigentlich auch Ihnen klar gewesen sein.

Eine Zustimmung zu diesem Vorhaben erwartet man bestimmt nicht von einer katholischen Abgeordneten aus der Oberpfalz, welche eigentlich die Beschäftigungssituation kennen müßte.

Ihre Entscheidung ist jedenfalls eines, nämlich "konsequent", in Bezug auf Ihre Zustimmung zur Unternehmenssteuerreform und der neuen Abgeltungssteuer auf Kapital- und Spekulationseinkünfte.

Schon im Voraus Dank für Ihre Stellungnahme
Luise Nomayo

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Antwort von
SPD

Sehr geehrte Frau Nomayo,

Ihr Mail habe ich erhalten und antworte Ihnen gerne, auch wenn ich mich damit Ihren Ausführungen widersetzen muss und Ihnen doch mit dem "demographischen Faktor" "kommen" muss. Er ist, auch wenn Sie es nicht wahrhaben wollen, für die Entscheidung maßgeblich und deshalb möchte ich es nicht versäumen Ihnen die Hintergründe der Rentenpolitik der Großen Koalition ausführlich erläutern. Dies ist jedoch nicht hinreichend möglich, ohne auch auf die veränderten demographischen Grundbedingungen einzugehen. Das neue Renteneintrittsalter von 67 Jahren (das in 22 Jahren zum Tragen kommen wird!) trägt der gestiegenen Lebenserwartung und damit dem längeren Rentenbezug Rechnung.

Nachfolgend nenne ich Euch einige Daten, die verdeutlichen sollen, warum wir han­deln müssen. Alles andere wäre unverantwortlich.

· Die durchschnittliche Lebenserwartung der Männer ist seit 1959 um 11 auf fast 76 Jahre gestiegen. Die Lebenserwartung der Frauen sogar um 13 auf gut 81 Jahre. Im Jahr 2030 werden Männer im Schnitt eine Lebenserwartung von 83 Jahren haben, Frauen werden dann fast 88 Jahre alt werden.

· Parallel dazu ist im selben Zeitraum die Geburtenzahl dramatisch zurückge­gangen. 1969 brachte jede Frau durchschnittlich 2,1 Kinder zur Welt. Damit konnte das zahlenmäßige Verhältnis zwischen den Generationen stabil gehal­ten werden. Das hat sich seit Mitte der siebziger Jahre verändert. Die Gebur­tenrate liegt nun bei 1,4 Kindern. Das Gleichgewicht der Generationen ist da­mit verschoben.
· Das Verhältnis der 65-jährigen und Älteren zu den 20- bis 65-jährigen beträgt zur Zeit rd. 1:3. Auf einen Rentner kommen drei Menschen, die arbeiten und eine Rente bezahlen. Im Jahr 2030 wird sich das Verhältnis auf 1:2 ver­schlechtern - dann sind es nur noch zwei Beitragszahler, die für einen Älteren sorgen. Grund dafür sind die sinkende Geburtenrate und die steigende Le­benserwartung. D. h. immer weniger junge Menschen müssen die Renten für immer mehr Ältere erwirtschaften. Das kann auf Dauer nicht ohne Auswirkun­gen bleiben.

· Die wachsende Lebenserwartung verlängert die Rentenbezugszeit: 1960 be­trug die durchschnittliche Rentenbezugsdauer knapp 10 Jahre; 1990 waren es bereits über 15 Jahre; 2006 17 Jahre. Im Jahr 2020 werden es fast 20 Jahre sein.

· Gleichzeitig nehmen die Versicherungsjahre immer weiter ab. Die normale Berufskarriere beginnt später und weist immer mehr Brüche auf. 1998 lagen die durchschnittlichen Versicherungsjahre bei Frauen bei 26,5 Jahren, 2004 bei nur 25 Jahren. Bei den Männern sind die Versicherungsjahre im selben Zeitraum von 40 Jahren auf 39,2 Jahre gesunken.

Diese Zahlen machen die Lage deutlich. Die Politik darf den Menschen nichts vor­gaukeln. Deshalb sagen wir schon heute, dass in 22 Jahren das normale Rentenein­trittsalter bei 67 Jahren liegen wird. Aber auch *_erst in 22 Jahren_ *und nicht schon heu­te, wie manche glauben machen wollen!

Ich weiß, dass eine Erhöhung des Rentenalters ins Leere laufen muss, wenn sich die derzeitige Arbeitsmarktlage für ältere Menschen nicht grundlegend ändert. Um die Beschäftigungsmöglichkeiten Älterer zu verbessern, haben wir die Initiative 50plus beschlossen. Sie ist dringend notwendig, denn zur Zeit stellt sich die Situation wie folgt dar:

· 50 Prozent der Betriebe in Deutschland beschäftigen keine Arbeitnehmer/in­nen, die über 50 Jahre alt sind
· Und nur rund 45 Prozent der 55- bis 65-Jährigen in Deutschland arbeiten.

Damit können wir uns nicht zufrieden geben. Wir brauchen die Erfahrung, das Wis­sen, und die Urteilskraft der bereits langjährig Beschäftigten. Wir dürfen dieses Po­tenzial nicht ungenutzt lassen. Ein heute 62- oder 64-jähriger Mensch steht der Ar­beitswelt in einer besseren Verfassung zur Verfügung als ein Gleichaltriger vor 20 oder 30 Jahren. Dieser Entwicklung müssen wir Rechnung tragen.

Mit der Initiative 50plus setzen wir genau hier an. Darin sind eine Fülle von Möglich­keiten zur Beschäftigungserleichterung älterer Arbeitnehmer vorgesehen:

· Die berufliche Weiterbildung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in kleinen und mittleren Betrieben wird gefördert. Künftig können Beschäftigten bereits ab 45 Jahren (statt wie bisher ab 50 Jahren) in Betrieben mit bis zu 250 Arbeitnehmern (derzeit bis 100 Arbeitnehmer) die Weiterbildungskosten erstattet werden. Damit werden frühzeitig Anreize für die Weiterbildung gesetzt.

· Ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können bei einer Wiedereinglie­derung in den ersten Arbeitsmarkt oftmals nicht das Entgelt aus ihrer früheren Beschäftigung erzielen. Hier setzt die Entgeltsicherung für ältere Arbeitneh­me­rinnen und Arbeitnehmer als neuer Kombilohn an. Ältere Arbeitnehmerin­nen und Arbeitnehmer mit Anspruch auf Arbeitslosengeld von mindestens 120 Tagen haben einen Rechtsanspruch auf einen teilweisen Ausgleich der Differenz zwischen dem Nettoentgelt vor der Arbeitslosigkeit und dem Netto­entgelt, das sie in der neuen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung erhalten. Die Nettoentgeltdifferenz wird im ersten Jahr zu 50 Prozent und im zweiten Jahr zu 30 Prozent ausgeglichen. Darüber hinaus werden die Beiträ­ge zur gesetzlichen Rentenversicherung aus der neuen Beschäftigung durch einen Zuschuss auf 90 Prozent der früheren Beiträge aufgestockt.

· Arbeitgeber können im Rahmen einer Ermessensregelung künftig Eingliede­rungszuschüsse erhalten, wenn sie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die das 50. Lebensjahr vollendet haben, einstellen und mindestens ein Jahr be­schäftigen. Voraussetzung ist, dass die Eingestellten in den letzten sechs Monaten arbeitslos waren oder an bestimmten arbeitsmarktpolitischen Maß­nahmen teilgenommen oder persönliche Vermittlungshemmnisse haben. Die Eingliederungszuschüsse werden den Arbeitgebern für mindestens ein Jahr, höchstens drei Jahre in Höhe von mindestens 30 Prozent und höchstens 50 Prozent der Lohnkosten gewährt.

Aufgefordert sind allerdings auch Wirtschaft und Gewerkschaften, das Arbeitsleben mit Tarif- und Betriebsvereinbarungen so zu gestalten, dass die Beschäftigungs­fähigkeit im Alter erhalten und erhöht wird.

Die Einführung der Rente mit 67 ist verknüpft mit einer notwendigen Steigerung der Erwerbsquote der Über-50-jährigen und mit der Schaffung einer altersgerechteren Arbeitswelt. Darum müssen wir nach Möglichkeiten suchen, den Rentenzugang zu flexibilisieren. Dazu haben wir eine Arbeitsgruppe aus Partei und Fraktion eingesetzt, die zum Jahresende hierzu Konzepte vorlegen wird. Im Blickpunkt stehen dabei be­sonders diejenigen, die das gesetzliche Renteneintrittsalter z. B. aus Gesundheits­gründen nicht erreichen können.
Sehr geehrte Frau Tomayo, ich weiß, dass die Rente mit 67 kein populäres Thema ist. Unsere solidarische Rentenversicherung ist und bleibt aber die wichtigste Säule der Alterssicherung. Wir halten an der Solidarität zwischen Jung und Alt fest. Gerade als Gewerkschaftsmitglied halte ich die Rente ab 67 für notwendig und rich­tig, um dieses Erfolgsmodell auch für kommende Generationen abzusichern. Dabei wird niemand überfordert. Wichtig ist für mich, dass Versicherte _mit 45 Jahren_ _Pflicht­beiträgen_ auch weiterhin mit 65 Jahren abschlagsfrei ihre Altersrente beziehen kön­nen. Vor allem körperlich hart arbeitende Menschen werden damit entlastet.

Ebenso wichtig war mir die Verankerung einer Vorbehaltsklausel, die die Bundesre­gierung dazu verpflichtet, ab 2010 alle vier Jahre zu prüfen, wie sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt für Ältere darstellt und ob die Rente mit 67 angesichts der Arbeits­marktentwicklung verantwortet werden kann.

Die Rente mit 67 und die Initiative 50plus sind angemessene und notwendige Ant­worten auf die Herausforderungen, die der demographische Wandel für Gesellschaft und Arbeitswelt bringt. Unsere gemeinsame Aufgabe ist es, die älter werdende Ge­sellschaft zu einer Chance zu machen. Ich bin überzeugt davon, dass die Maßnah­men notwendig sind, wenn wir frühzeitig auf die tief greifenden Veränderungen der kommenden Jahre vorbereitet sein wollen.

Mit freundlichen Grüßen

Marianne Schieder, MdB

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