Marco Wanderwitz
CDU
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Frage von Angelika H. •

Frage an Marco Wanderwitz von Angelika H. bezüglich Gesundheit

Sehr geehrter Herr Wanderwitz,
die Gesundheitsvorsorge in Deutschland wird immer mehr privatiert. Hintergrund: die Kassen sind leer. Ab 1.1.2011 wird der Beitrag zur Krankenversicherung erhöht.
Nun lese ich von einer Petition im Bundestag: " Die Bundesrepublik Deutschland ist mit einer Vielzahl anderer Staaten - Abkommen über die Soziale Sicherheit eingegangen. Beispielhaft sei hier das deutsch-türkische Abkommen zur Sozialen Sicherheit vom 30.04.1964 genannt.
Aus dem Inhalt dieses Abkommens kann sich ergeben, dass für in Deutschland lebende, in Deutschland GKV-Versicherte, Türken, auch eine kostenlose Familienversicherung für die in der Türkei lebenden Familienangehörigen, zu Lasten der deutschen GKV, bestehen kann. Hieraus leitet sich aus der gängigen Praxis ab, dass u.a. auch die Eltern der in Deutschland lebenden Türken kostenlos mitversichert werden können. Dies stellt eine Ungleichbehandlung aller deutschen Staatsangehörigen gegenüber dem vorgenannten Personenkreis dar, da sie Ihre Eltern nach geltender Rechtlage nicht mitversichern können. Hier muss der Gesetzgeber Regelungen herbeiführen die den Gleichheitsgrundsatz des GG berücksichtigen."
Als ich von der kostenlosen Mitversicherung für türkische Eltern las, dachte ich zuerst an ein Mißverständnis. Es ist aber wahr! Natürlich unterschrieb ich auch, weil ich diese völlig überholte "Geberpraxis" angesichts der Geldnot in unseren Sozialkassen mehr als unsozial und ungerecht halte.
Sehr geehrter Herr Wanderwitz, wieviel Millionen € kostet uns dieses Abkommen jährlich und unterschreiben Sie auch diese Petition?
Angelika Hörner

Antwort von
CDU

Sehr geehrte Frau Hörner,

haben Sie Dank für Ihre Anfrage, in der Sie auf eine aktuelle Petition zur Änderung von Sozialversicherungsabkommen Bezug nehmen.

Die von Ihnen angesprochene Thematik wird bereits seit einigen Jahren immer wieder diskutiert, wobei die sachlichen Gründe dieses Abkommens in der Öffentlichkeit dabei meist nicht in angemessener Weise oder auch einfach falsch wiedergegeben werden.
Richtig ist, dass nach heutiger Rechtslage in der Türkei oder im ehemaligen Jugoslawien lebende enge Familienangehörige eines in Deutschland krankenversicherten Arbeitnehmers im Krankheitsfall Leistungen der Krankenversicherung ihres Wohnsitzstaates erhalten und dass die der dortigen Krankenversicherung hierdurch entstehenden Kosten von der deutschen Krankenversicherung anteilig erstattet werden.

Rechtsgrundlage für diese Vereinbarung mit der Türkei ist das deutsch-türkische Abkommen vom 30. April 1964 über Soziale Sicherheit. Die mit diesem Abkommen getroffenen Regelungen stellen keine Besonderheiten gegenüber mit anderen Staaten geschlossenen Sozialversicherungsabkommen dar. Sie entsprechen vielmehr einem internationalem Standard, wie er bereits seit vielen Jahrzehnten üblich ist und Anwendung in der allgemeinen Praxis sowohl des zwischenstaatlichen Sozialversicherungsrechts (bilaterale Sozialversicherungsabkommen) als auch des überstaatlichen Sozialversicherungsrechts (EU-Regelungen über soziale Sicherung, VO (EWG) Nr. 1408/71) findet.

Zur Vermeidung aufwändiger Verwaltungsverfahren, die es zur Prüfung des Umfangs einzelner Krankheitsfälle in Rücksprache mit den dortigen Krankenversicherungen bedürfte, erfolgen die jeweiligen Abrechnungen der Kosten mit den Abkommenspartnern durch kalenderjährlich zu vereinbarende Monatspauschalbeträge je Familie. Hierzu werden die Durchschnittskosten der in den Wohnsitzstaaten geschützten Personen nach dortigem Recht sowie die durchschnittliche Zahl der in diesen Staaten wohnenden engen Familienangehörigen herangezogen, wobei das Kostenniveau in den Wohnsitzstaaten der Familien Maßstab der Berechnung ist. Der vereinbarte Monatspauschalbetrag wird je Familie unabhängig von der Zahl der anspruchsberechtigten Familienangehörigen gezahlt. Dieses pauschalierte Abrechnungsverfahren verringert den Verwaltungsaufwand in erheblichem Maße und ist daher auch im Interesse der deutschen Krankenkassen.

Im Angesicht der Gesamtausgaben der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung im Jahr 2008 von ungefähr 161 Mrd. € beträgt der Anteil der Erstattungsbeträge gegenüber den hier in Rede stehenden Abkommensstaaten daher nicht einmal 0,01 Prozent dieser Gesamtausgaben.

Sie mögen auch diese Summe als Einsparungspotenziale betrachten, in den Augen aller wechselnden Regierungsparteien seit Jahrzehnten ist es das Ergebnis eines sinnvollen geübten Kompromisses, der bis heute fortwirkt.

Die Familienversicherung der in den genannten Ländern lebenden Familienmitglieder trug seinerzeit dazu bei, dass sich ein Teil der aus diesen Ländern angeworbenen Arbeitnehmer dafür entschieden hatte, ihre Familienangehörigen nicht mit nach Deutschland zu bringen. Auch heute noch ist diese Regelung für Teile der über 500.000 aus der Türkei und ca. 280.000 aus den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien sozialversicherungspflichtig beschäftigten Arbeitnehmer in Deutschland von Bedeutung, deren enge Familienangehörige nicht nach Deutschland nachgezogen, sondern, nicht zuletzt aufgrund der Familienversicherung, im jeweiligen Heimatland geblieben sind. Der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung entstehen durch diese Regelungen keine Mehr¬belastungen, sondern im Ergebnis erhebliche Einsparungen. Die Ausgaben der Krankenkassen wären deutlich höher, würden die engen Familienangehörigen nicht in ihren Heimatstaaten leben, sondern von ihrem Recht nach Deutschland nachzuziehen bzw. hier zu wohnen Gebrauch machen. Dies wird deutlich, wenn man berücksichtigt, dass sich die Kosten der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung je Mitglied im Durchschnitt auf monatlich rd. 230 € belaufen; ein Vielfaches dessen, was die „türkische Pauschale“ ist. Hinzu kommen die bereits oben erwähnten erheblichen Einsparungen an Verwaltungskosten durch das unbürokratische Verfahren der Monatspauschalbeträge.

Häufig werden im Rahmen dieser Diskussion Fehlinformationen hinsichtlich der von der Familienversicherung miterfassten Personen gestreut. Zum anspruchsberechtigten engen Personenkreis gehören in der Regel lediglich der Ehepartner, sofern er nicht selbst versichert ist, und die minderjährigen Kinder eines Versicherten. Eltern eines Versicherten mit Wohnsitz in der Türkei sind nur dann ausnahmsweise anspruchsberechtigt, wenn sie nicht ohnehin leistungs-berechtigt nach den Rechtsvorschriften des Wohnsitzstaates aufgrund einer eigenen Versicherung (z.B. wegen sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung) oder der Versicherung einer anderen Person sind, sie nicht über eigene Einkünfte bzw. Eigentum verfügen und der unterhaltsverpflichtete Versicherte ihnen gegenüber tatsächlich Unterhaltsleistungen erbringt, was zumeist voraussetzt, dass er oder sie das einzige Kind ist. Geschwister eines Versicherten gehören in keinem Fall zu den anspruchsberechtigten Personen; ebenso falsch ist das Gerücht hinsichtlich der Umfassung von „Mehrfachehen“.
Es wird im Übrigen auch oft vergessen, dass es sich um ein gegenseitiges Abkommen handelt. Die gleichen Regelungen gelten auch für Deutsche, die in anderen Ländern, bspw. der Türkei arbeiten.

Mit freundlichen Grüßen

Marco Wanderwitz

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