Frage an Manuel Sarrazin von Claudia H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Sarrazin,
ich danke Ihnen für Ihre Antwort vom 4.11.15. Was Sie emotionalisiert meine „Besorgnis“ nennen, würde ich lieber als Einwände bezeichnen.
In Hamburg gibt es das so genannte Evokationsrecht. Dieses erlaubt es, dass auf Bezirksebene getroffene Entscheidungen auf Landesebene gezogen und neu entschieden werden. Mehr Demokratie hatte eine Debatte zu einer hamburgischen Verwaltungsreform angestoßen, die eine Autonomie der Bezirke vorsah. Bei einer Umsetzung wäre damit eine Rechtsgültigkeit der Bürgerentscheide erwirkt worden, da die Entscheidungsgewalt in eigenen Angelegenheiten den Bezirken zugeordnet worden wäre. Just während dieser Debatte kam der Vorstoß von SPD, CDU und Grünen zum Referendum, mit welchem ein wesentliches Element der Evokation aufgegriffen und auf die Landesebene übertragen wurde: die Verfahrenshoheit wurde der Volksgesetzgebung entzogen und Bürgerschaft/Senat zugeeignet. Die Kräfte von Mehr Demokratie wurden mit der Gegenkampagne zur Volksgesetzgebungsänderung der Bürgerschaft gebunden und die Verwaltungsreform als Thema zurückgedrängt.
Zum Standpunkt der Hamburger Grünen zur Volksgesetzgebung habe ich diese Anmerkungen:
1. Es ist eine von den Hamburger Grünen unter Senator Willfried Maier mitbegründete Tradition, Bürgerentscheide über Evokationen zu entwerten.
2. Die grüne Schulreform scheiterte am Volksentscheid. Dass Minderheitenparteien, die bei einer Regierungsbeteiligung hoffen, mit ihren Anliegen zum Zuge zu kommen, ihre Interessen durch eine starke, funktionierende Volksgesetzgebung gefährdet sehen, halte ich für nicht abwegig.
Das im letzten Absatz Ihrer Antwort erwähnte Auswertungsverfahren zum Referendum interessiert mich näher. Was ist hierfür konkret vorgesehen? Wer wird wie woran beteiligt? Wer entscheidet über den Ablauf und die zur Auswertung gestellten Fragen?
Mit freundlichen Grüßen
Claudia Herbst
Sehr geehrte Frau Herbst,
vielen Dank für Ihre erneute Nachfrage, entschuldigen Sie bitte die verzögerte Antwort.
Wir Grüne wollen das Instrument der Evokation nur sehr zurückhaltend von der Landesregierung eingesetzt wissen. Dennoch kann es Situationen geben, in denen mit einem Bürgerbegehren landespolitischen Themen bewegt werden, die auf Landesebene beschlossen werden. Auch kann es vorkommen, dass von einem Thema mehrere Bezirke betroffen sind, so dass eine Bezirksentscheidung auch die Interessen eines anderen Bezirks berühren.
Dann empfehlen wir Grüne, ehrlich zu Bürgerinnen und Bürgern zu sein und nach dem Zustandekommen des Bürgerbegehrens anzukündigen, dass es wegen mangelnder Entscheidungskompetenz keinen Sinn ergibt, im zweiten Schritt den Bürgerentscheid stattfinden zu lassen. Sondern, dass der Senat diese Entscheidung an sich zieht und parallel die Bürgerschaft darüber informiert.
Besser ist es jedoch, dass bei der Startberatung zu einem Bürgerbegehren der Bezirk bei landespolitischen Themen den Weg über eine Volksinitiative empfiehlt, damit über hamburgweite Themen auch alle Bürgerinnen und Bürger Hamburgs mit entscheiden können.
Da Hamburg nun mal eine Einheitsgemeinde ist und die Bezirke keine kommunale Selbstständigkeit haben, ergibt es in solchen Fragen Sinn, die Karten ehrlich auf den Tisch zu legen und die Bürgerinnen und Bürger nicht in eine falsche Abstimmung laufen zu lassen, die am Ende nur alle frustiert.
Bei der Einführung von „Bürgerschaftsreferenden“ wurde darüber hinaus beschlossen, dass der Senat der Bürgerschaft nach dem Referendum berichtet. Auf Basis dieses Berichts überprüft die Bürgerschaft die erstmalige Anwendung und die bisherigen Auswirkungen sowie die weitere Anwendung des Bürgerschaftsreferendums – auch hinsichtlich von Überarbeitungs- und Weiterentwicklungsmöglichkeiten. Dieser Erfahrungsbericht wurde zwischenzeitlich durch den Landeswahlleiter vorgelegt, Sie können ihn hier ( https://www.buergerschaft-hh.de/ParlDok/dokument/51920/erfahrungsbericht-des-landesabstimmungsleiters-der-bezirksabstimmungsleitungen-und-des-statistischen-amts-f%C3%BCr-hamburg-und-schleswig-holstein.pdf ) online abrufen. Darüber hinaus befasste sich der Verfassungs- und Bezirksausschuss in seiner öffentlichen Sitzung am 5. April dieses Jahres mit dieser vom Landesabstimmungsleiter, den Bezirksabstimmungsleitungen und dem statistischen Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein angefertigten Auswertung. Den Bericht zu dieser Sitzung können Sie online hier ( https://www.buergerschaft-hh.de/ParlDok/dokument/52569/bericht-des-verfassungs-und-bezirksausschusses-%C3%BCber-die-drucksache-21-3580-erfahrungsbericht-des-landesabstimmungsleiters-der-bezirksabstimmungsleitungen.pdf ) abrufen.
Mit freundlichen Grüßen
Manuel Sarrazin