Frage an Manuel Sarrazin von Claudia H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Sarrazin,
in Hamburg will unter anderem die grüne Fraktion eine Verfassungsänderung verabschieden, die Initiativen der Volksgesetzgebung von der Bürgerschaft gestarteten Referenden unterordnen soll. Im Grundgesetz Art 20,2 steht: "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt." Meine Interpretation dazu lautet so: Die Wahlen wie auch die Abstimmungen werden vom Volk ausgehend organisiert. So wie nicht die Abgeordneten bestimmen können, wer sich zur nächsten Wahl stellt, sollten sie auch keine Entscheidungshoheit gegenüber dem Volk besitzen dürfen, zu welchen Bedingungen ein Abstimmungsverfahren durchgeführt wird. Denn alle Staatsgewalt geht vom Volke aus und eben nicht von den Organen der Gesetzgebung, die im Auftrag des Volkes handeln sollen.
Das bisherige Volksgesetzgebungsverfahren wird in seiner Rechtssicherheit durch die vorgesehene Verfassungsänderung unterminiert, da es erlaubt sein soll, dass laufende Initiativen durch ein Referendum gestoppt werden können, wenn sie nicht bestimmte, hohe Auflagen erfüllen. Es enthält auch die Möglichkeit, das bewährte dreistufige Verfahren zur Volksgesetzgebung, das mehrere Jahre dauert, in ein wesentlich kürzeres Verfahren von zehn Monaten zu pressen. In dieser kurzen Frist bis zur Entscheidung liegt eine Anfälligkeit des Verfahrens für kurzfristige Stimmungen und Hypes in der Presse. Sorgfalt braucht andere Bedingungen. Im Gesetzentwurf sind die betreffenden kritischen Paragrafen unter vielversprechenden versteckt wie die Pflaume im Speckmantel. Warum wohl?
Wie ist Ihre Meinung zu dem Erläuterten im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Verfassungsänderung mit dem Grundgesetz? Ist das Vorgehen der Hamburger Grünen vereinbar mit den Beschlüssen der Grünen auf Bundesebene zum Thema Demokratie und Bürgerrechte?
Mit freundlichen Grüßen
Claudia Herbst
Sehr geehrte Frau Claudia Herbst,
entschuldigen Sie bitte zunächst die sehr späte Beantwortung Ihrer Frage.
Ich danke Ihnen für Ihre Nachricht, in der Sie Ihre Besorgnis zur anstehenden Einführung von Bürgerschaftsreferenden in Hamburg zum Ausdruck bringen.
Ich kann Ihnen jedoch versichern, dass die von Mehr Demokratie formulierten Befürchtungen, wir wollten damit Volksinitiativen zukünftig verhindern, nicht der Wahrheit entsprechen. Vielmehr haben wir Grüne in unserem Bürgerschaftswahlprogramm die Einführung von Referenden für wichtige politische Richtungsentscheidungen immer als Ergänzung und damit als ein Mehr an Mitbestimmung der Hamburgerinnen und Hamburger gesehen.
In den Koalitionsverhandlungen haben wir die SPD davon überzeugt, Referenden als zusätzliches Mitbestimmungsinstrument in Hamburg einzuführen. Es sollte gerade nicht der Eindruck entstehen dass wir als neue Koalition die Hamburgerinnen und Hamburger nur bei Olympia mitbestimmen lassen wollen und bei anderen Themen dann aber lieber nicht.
Dennoch wollen wir Grüne auch nicht, dass Bürgerschaftsreferenden nun dauerhaft, sondern nur zu grundsätzlichen Fragen des Stadtstaates stattfinden. Deshalb haben wir auch zwei hohe Hürden eingebaut. Der Beschluss muss von einer 2/3 Mehrheit der Bürgerschaftsabgeordneten getragen werden und auch der Senat muss zustimmen. Damit hat diese Regelung die höchsten Hürden in ganz Deutschland, ein Missbrauch von Parlament und Regierung ist vor diesem Hintergrund eher im Bereich der politischen Verschwörung von Senat und Bürgerschaft gegen das Volk einzuordnen, als wirkliche politische Gefahr für die Demokratie. Andere Bundesländer wie Bremen und Baden-Württemberg können allein mit 25% bzw. 33% ihrer Abgeordneten bereits Referenden anstoßen, in den anderen Bundesländern, die mit dem Beteiligungsinstrument eines Referendums ausgestattet sind, können solche Volksabstimmungen mit einfacher Mehrheit beschlossen werden. Nirgendwo hat aber bei diesen im Vergleich zu Hamburg niedrigen Hürden ein Missbrauch von Referenden stattgefunden.
Wir Grüne haben in unseren Beratungen mit den anderen Parteien auch darauf geachtet, dass der Vorwurf, mit Bürgerschaftsreferenden würden nun Volksinitiativen womöglich verhindert, nicht zum Tragen kommt. All diese Punkte sind tatsächliche Verbesserungen im Gesetzesverfahren, auf die wir ´Mehr Demokratie´ noch bestimmter verweisen werden. Ich möchte Ihnen aber gerne diese gesetzlichen Sicherungen noch einmal vortragen, damit Sie sehen, warum wir Grüne mit gutem Gewissen der Einführung von Bürgerschaftsreferenden zustimmen können und warum Sie sich auch keine Sorgen machen müssen, dass zukünftig des Volkes Meinung nicht mehr gehört werden kann:
1. Senat oder Bürgerschaft müssen 6 Monate vor einem Beschluss zu einem Referendum dies öffentlich ankündigen.
2. In dieser Zeit können sich die Hamburgerinnen und Hamburger überlegen, ob sie eine eigene Fragestellung zur Abstimmung stellen wollen und die dafür notwendigen 10.000 Unterschriften sammeln. 14 Tage nach Beschluss der Bürgerschaft zu einem Referendum kann die Volksinitiative ihre Unterschriftensammlung für die 2. Stufe der Volksgesetzgebung starten und die dafür notwendigen 65.000 Unterschriften sammeln. Alles zusammen ist dann ein gemeinsame Kampagne von Volksinitiative und Volksbegehren. Die Unterschriftenhürden sind genauso wie beim jetzt gültigen Volksentscheidsverfahren. Insgesamt hat die Volksini also 7 Monate Zeit hier die Hürden für eine 2. Fragestellung zu schaffen.
3. Volksinitiativen, die bereits den Status eines Volksbegehrens haben, können einfach entscheiden, sich mit ihrer Fragestellung an das Referendum zu hängen. Dann werden dem Volk beide Fragen, die von der Bürgerschaft und die der Volksinitiative zur Abstimmung vorgelegt. Selbstverständlich hat die Volksinitiative auch ausreichend Platz im Infoheft der Bürgerschaft an die Wählerinnen und Wähler, um für ihre Fragestellung zu werben.
4. Die Sorge, dass der Beschluss zu einem Referendum mit dem Tag der Abstimmung nicht zusammenfallen könnte, ist im Gesetz ausgeschlossen worden. Diese sehr theoretische Frage wollten alle Parteien in der Bürgerschaft nicht zum Gegenstand von Spekulationen werden lassen
5. Es gibt Kritik, dass nach dem Bürgerschaftsreferendum es nicht sofort wieder möglich ist, einen zweiten Abstimmungsvorgang anzustreben. Wir Grüne glauben jedoch, dass das Abstimmungsergebnis des Volkes nicht ständig in Frage gestellt werden darf, damit es nicht zu einer Entwertung von Abstimmungen und damit auch zu Politikverdrossenheit kommen kann. Deshalb unterstützen wir die Regelung, dass wenn die Hamburgerinnen und Hamburger über eine wichtige Frage abgestimmt haben, diese für die laufende Wahlperiode Bestand haben muss, mindestens aber für 3 Jahre gelten soll. Dauerabstimmungen zu einem Thema, um das vermeintlich richtige Ergebnis zu erreichen, sind nicht geeignet, um unsere Demokratie zu stärken
6. Wir wollen sogar, dass eine gewichtige Minderheit im Volk mit ihrer Meinung beim Referendum eine Stimme bekommen kann, auch, wenn sie gar keine Gegenfrage mit einer Volksinitiative auf den Weg bringen möchte. In diesem Fall kann die Bürgerschaft entscheiden, dieser Meinung sogar Raum im Informationsheft der Bürgerschaft zu gewähren, so dass alle Wählerinnen und Wähler sich auch über diese Sicht informieren können.
Insgesamt sind alle diese Regelungen vorbildlich und ohne Beispiel in ganz Deutschland, wir Grüne und ich hoffen, Ihnen mit diesen Informationen die Sorgen zur Direkten Demokratie genommen zu haben. Seien Sie versichert, wir Grüne wollen mehr Demokratie und Mitbestimmung, und nicht weniger.
Trotzdem haben sogar gesetzlich festgeschrieben, dass wir nach der ersten Anwendung zur Olympiabewerbung eine Auswertung mit der Öffentlichkeit machen und etwaige Mängel im Gesetz beheben werden.
Mit freundlichen Grüßen
Manuel Sarrazin