Frage an Manuel Sarrazin von Holger D. bezüglich Recht
Sehr geehrter Herr Sarrazin,
als Hamburger weiß ich: Wenn Krümmel oder Brockdorf durchgehen, ist Hamburg Geschichte, und meine Familie und ich sind ein bedauerlicher „Kollateralschaden“. Und solch ein Ereignis kann jederzeit geschehen, das zeigen die Ereignisse in Japan deutlich. Wer jetzt noch behauptet, so etwas könne in Deutschland nicht passieren, oder dies als „sozialadäquates Restrisiko“ kleinzureden versucht, ist entweder irre oder ein Verbrecher. Darum frage ich Sie, warum Sie und Ihre Partei nicht das sofortige Abschalten aller und nicht nur der älteren Atomreaktoren in Deutschland fordern. Dies muss nicht einmal juristisch durchgesetzt werden. Als Hebel würden Gesetze wie die gesetzliche Forderung nach Rücklagen, die einem möglichen Schaden angemessen sind, ausreichen. Und selbst die obersten Gerichte werden nach der Katastrophe in Japan die Lage anders sehen als in den 70er Jahren. Warum also diese Halbheiten?
Ich habe diese Frage auch an andere Abgeordnete der Opposition Hamburg gestellt.
Mit freundlichem Gruß
Holger Dierks
Sehr geehrter Herr Dierks,
vielen Dank für Ihre Frage und Ihr Interesse an der grünen Atompolitik.
Wir, von der grünen Bundestagsfraktion kämpfen mit aller Kraft dafür, den Weg in eine umwelt- und sozialverträgliche Energieversorgung ohne Atomkraft weiterzugehen. Wie Sie auch darauf hingewiesen haben, hat die Katastrophe in Japan erneut bestätigt, dass die Risiken dieser nicht beherrschbaren, menschenfeindlichen Technologie zu hoch sind um von der Gesellschaft weiterhin getragen zu werden. Wir halten an dem Ziel fest, aus der Nutzung der Atomkraft schnellstmöglich auszusteigen und fordern, dass die sieben ältesten AKWs (Neckarwestheim 1, Biblis A und B, Isar 1, Brunsbüttel, Unterweser, Philippsburg 1) sowie der Pannenreaktor Krümmel sofort und endgültig abgeschaltet werden. In einem - diese Woche in den Bundestag eingebrachten - Antrag fordern wir zudem, dass sämtliche deutsche Atomkraftwerke bis 2017 stillgelegt werden.
Den Antrag finden Sie unter: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/052/1705202.pdf
Das „Moratorium“ der Bundesregierung, die sieben ältesten AKWs vorübergehend für drei Monate vom Netz zu nehmen, ist genau das Gegenteil von Verantwortung. Es ist nichts anders als eine Panikreaktion, wodurch Schwarz-Gelb die Atomrisiken erhöht. Je älter die AKWs sind desto anfälliger werden sie. Außerdem hat Schwarz-Gelb ihre Atompolitik nur mit Hilfe eines Verfassungsbruchs und einer irregulären Beratung im Bundestag durchdrücken können, bei der unsere Fraktion zum Beispiel daran gehindert wurde, im zuständigen Ausschuss Änderungsanträge zu den vorgelegten Atomgesetzen zu stellen.
Wie Sie sicherlich wissen, hat unsere Fraktion deswegen schon juristische Schritte unternommen, um das Atomgesetz zu kippen. Gegen die Laufzeitverlängerung hat die grüne Bundestagsfraktion zusammen mit der SPD-Fraktion Klage beim Bundesverfassungsgericht eingereicht und beantragt, die verfassungswidrig durchgeboxte 11. und 12. Novelle des Atomgesetzes (Laufzeitverlängerungen) zurückzunehmen und die sieben ältesten Reaktoren sowie den Pannenmeiler Krümmel sofort und endgültig abzuschalten. Zudem klagen wir gegen die Verletzung der staatlichen Schutzpflicht gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern durch die Koalition.
Ich persönlich habe mich schon im Herbst 2010 der Untätigkeitsklage der Umweltschutzorganisation Greenpeace auf Widerruf der Betriebsgenehmigung für das Kernkraftwerk Krümmel angeschlossen. Außerdem stellte ich im Juli 2009 eine Strafanzeige gegen den verantwortlichen Konzern Vattenfall, nachdem es nach wiederholten Störfällen eindeutig wurde, dass der Betreiber seiner Verpflichtung die erforderlichen Sorgfalt und allen verwaltungsrechtlichen Vorschriften einzuhalten nicht nachgekommen ist. Die Anzeige wurde inzwischen eingestellt.
Die Bundesregierung bewegt sich juristisch gestern wie heute auf abenteuerlich wackeligem Boden. Umweltminister Röttgen beruft sich auf eine Vorschrift im Atomrecht, die vorübergehende Abschaltung bei Gefahrenabwehr oder Sicherheitsmängeln erlaubt. Die Frage, welche Sicherheitsmängel an den sieben Atomkraftwerken nicht bekannt waren und ihn nun zur Anwendung dieser Rechtsvorschrift veranlassen, kann er nicht beantworten.
So eine Vorgehensweise ist unvertretbar, deswegen werden wir zusammen mit der Anti-Atom-Bewegung, Umweltverbänden, Gewerkschaften, Unternehmen, Stadtwerken und Kirchen nicht nachlassen, den außerparlamentarischen Druck auf die Bundesregierung und die Atomkonzerne weiter zu verstärken. Es kann uns gelingen bis 2017 das Atomzeitalter hinter uns zu lassen und gänzlich in das Zeitalter der erneuerbaren Energien einzutreten.
Mit freundlichen Grüßen,
Manuel Sarrazin