Portrait von Manfred Kolbe
Manfred Kolbe
CDU
Zum Profil
Frage stellen
Die Frage-Funktion ist deaktiviert, weil Manfred Kolbe zur Zeit keine aktive Kandidatur hat.
Frage von Andreas G. •

Frage an Manfred Kolbe von Andreas G. bezüglich Finanzen

Sehr geehrter Herr Kolbe,

Der Koalitionsvertrag zwischen der CDU, CSU und FDP wurde unter anderem ausgeführt:

„Wir werden insbesondere:

-die steuerliche Abzugsfähigkeit von Ausbildungskosten neu ordnen,

-dafür sorgen, dass sich BMF-Schreiben auf die Auslegung der Gesetze beschränken und die Praxis der Nichtanwendungserlasse zurückgeführt wird“

Keines dieser Vorhaben wurde bisher tatsächlich umgesetzt. Tatsächlich wurden sogar für die Finanzverwaltung unliebsame Entscheidungen teils durch rückwirkende Gesetzesänderungen ausgehebelt.

So hatte zum Beispiel der Bundesfinanzhof mit Urteil vom 28.7. 2011, VI R 38/10 entschieden, das Kosten der Erstausbildung regelmäßig als Werbungskosten abzugsfähig sind. Mit dem Gesetz zur Umsetzung der Beitreibungsrichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften wurde diese höchstrichterliche Rechtsprechung auch schon wieder aufgehoben. Trotz gegenteiliger Äußerungen im Koalitionsvertrag wurde der alte Rechtsstand wieder festgeschrieben.

Ein weiterer „gesetzgeberischer Nichtanwendungserlass“ betrifft den Nachweis der Zwangsläufigkeit von Krankheitskosten. Auch hier hatte der Bundesfinanzhof eine den Steuerpflichtigen begünstigende Entscheidung getroffen. Mit Steuervereinfachungsgesetz 2011 ist auch diese Rechtsprechung nicht mehr anwendbar.

Anhand der Aufzählung ist erkennbar, das hier regelmäßig Steuerzahlerfreundliche Urteil des höchsten Finanzgerichts Deutschland durch Änderung der Steuergesetze nicht angewendet werden sollen. So wird die Praxis der Nichtanwendungserlasse der Finanzverwaltung einfach durch das Gesetzgebungsverfahren ersetzt.

Wie stehen Sie als Mitglied des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages zu dieser Praxis der „gesetzgeberischen Nichtanwendungserlasse“?

Wird hierdurch nicht die grundgesetzlich festgeschriebene Gewaltenteilung umgangen, wen die Exekutive (Finanzverwaltung) in die Arbeit des Gesetzgebers eingreift und praktisch die Gesetzesänderungen zumindest mit veranlasst?

Portrait von Manfred Kolbe
Antwort von
CDU

Sehr geehrter Herr Giebel,

zunächst vielen Dank, dass Sie sich mit Ihrem Anliegen an mich gewandt haben. Gern erläutere ich Ihnen sowohl meinen Standpunkt bezüglich der Rechtmäßigkeit „gesetzgeberischer Nichtanwendungserlasse“ als auch den Standpunkt der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zur Frage der von Ihnen angesprochenen Ausbildungskosten.

Im Vorfeld eines Nichtanwendungserlasses prüft das Bundesfinanzministerium in Zusammenarbeit mit den obersten Finanzbehörden von Bund und Ländern, ob eine Entscheidung des Bundesfinanzhofes (BFH) über den Einzelfall hinaus allgemein angewendet werden kann. Zu dieser eigenverantwortlichen Prüfung der Rechtsanwendung ist die Verwaltung aufgrund des Artikels 20 Abs. 3 des Grundgesetzes berechtigt und verpflichtet. Ergibt sich aus dieser Prüfung, dass die Entscheidung des BFH im Interesse der Rechtssicherheit und gleichmäßigen Besteuerung aller nur auf den konkreten Fall bezogen werden kann, so wird die Entscheidung des BFH im Bundessteuerblatt mit einer entsprechenden Verwaltungsanweisung veröffentlicht: dem Nichtanwendungserlass.

Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass CDU/CSU und FDP im Koalitionsvertrag die Zurückführung der Praxis der Nichtanwendungserlasse vereinbart haben. Entsprechend zurückhaltend geht die schwarz-gelbe Koalition mit diesem Instrument um: seit Beginn der laufenden Legislaturperiode wurden 8 Nichtanwendungserlasse herausgegeben. In der 15. Legislaturperiode waren dies noch 17, in der 16. Legislaturperiode 27 Erlasse. Diese restriktive Handhabung der Nichtanwendungserlasse ist auch in meinen Augen notwendig und sinnvoll. Den Eingriff des Bundesfinanzministeriums in die Rechtssprechung des Bundesfinanzhofes betrachte ich durchaus kritisch als ein Instrumentarium, welches nur im Sonderfall und mit der von der Regierungskoalition praktizierten Zurückhaltung angewandt werden sollte.

Da Sie zudem das Thema Ausbildungskosten angesprochen habe, möchte ich diesen spezifischen Punkt im Folgenden und in Rücksprache mit der Arbeitsgruppe Finanzen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion kurz vertiefend darlegen.

Wie Sie wissen, hat der Deutsche Bundestag im Rahmen des am 27. Oktober 2011 verabschiedeten Beitreibungsrichtlinie-Umsetzungsgesetzes auch eine Regelung zu den Ausbildungskosten mit aufgenommen. Danach wird die bisherige Rechtslage gesetzlich festgeschrieben, wonach die Kosten für die Erstausbildung bzw. das Erststudium der privaten Lebensführung zuzuordnen sind und nur als Sonderausgaben geltend gemacht werden können. Ein Betriebsausgaben-/Werbekostenabzug ist ausdrücklich ausgeschlossen. Zusätzlich wird der Sonderausgaben-Höchstbeitrag von 4.000 EUR auf 6.000 EUR angehoben.

Die Urteile des VI. Senats des Bundesfinanzhofes vom 28. Juli 2011, welche die bis dahin bestehende Gesetzeslage als nicht ausreichend für den Ausschluss des Werbungskostenabzugs angesehen hatten, waren für alle sehr überraschend gekommen. Dem Vernehmen nach soll die Entscheidung auch im BFH selbst sehr kontrovers aufgenommen worden sein.

Die Koalitionsfraktionen haben sich die Entscheidung, wie auf die Rechtssprechung zu reagieren ist, nicht leicht gemacht. In einem Fachgespräch des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages am 24. Oktober 2011 waren sieben Sachverständige geladen, deren Einschätzung wir uns zunächst anhörten. Unter den Sachverständigen war auch ein Richter des Bundesfinanzhofes. Keiner der sieben Sachverständigen vertrat die Auffassung, dass eine Einordnung der Ausbildungskosten als Werbungskosten rechtlich zwingend oder geboten sei.

Letztlich sprachen überzeugende Gründe für die im Beitreibungsrichtlinie-Umsetzungsgesetz getroffene Lösung:

Der konkrete Veranlassungszusammenhang zwischen Erstausbildung bzw. Erststudium und späterer Berufstätigkeit ist typischerweise nicht hinreichend konkret, so dass es aus der Sicht des Gesetzgebers konsequent ist, diesen Bereich nicht im Rahmen der Einkünfteermittlung zu regeln. Die Änderung vermeidet zudem erhöhten Verwaltungsaufwand, der ansonsten durch massenhaft durchzuführende Verlustfeststellungsverfahren für die Auszubildenden, die während der Ausbildung keine wesentlichen Auskünfte erzielen, entstehen würde.

Auch enthalten die Urteile des BFH keine Aussage zu den Wechselwirkungen mit den Instrumenten der Ausbildungsförderung (z.B. BaföG, Berufsausbildungsbeihilfe für Auszubildende, Stipendien etc.) und den steuerlichen Begünstigungen bei den Eltern (z.B. Ausbildungsfreibetrag, das Kindergeld oder der Kinderfreibetrag bei volljährigen Kinder in Berufsausbildung.) Hier besteht die Gefahr der Doppelberücksichtigung von Kosten.

Schließlich würden bei einer uneingeschränkten Umsetzung der BFH-Urteile Studierende, die ihr Studium durch Ferienjobs oder andere Nebentätigkeiten selbst finanzieren müssen, regelmäßig nicht profitieren, weil die Ausbildungskosten jährlich mit den Einnahmen aus den Nebentätigkeiten verrechnet werden, ohne dass sich ein besonderer steuerlicher Vorteil ergibt.

Es bleibt zu hoffen, dass Ihnen diese Erläuterungen behilflich sind. Sollten Sie weitere Fragen oder Anregungen zur Thematik haben, so stehe ich Ihnen jederzeit gern auch per E-Mail unter
manfred.kolbe@bundestag.de zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen

Ihr Manfred Kolbe, MdB