Frage an Manfred Grund von Andreas N. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Grund,
mich würde interessieren ob bei Ihnen 34 Jahre STASI-Dauerbespitzelung (ich nehme an, das auch Sie schon seit Ihrer Geburt unter permanenter Bewachung gelebt haben) irgenwie eine erotisierende Wirkung auf Sie ausgeübt hat?
Ich kann es mir sonst nicht erklären wie man einem solchen Gesetz zustimmen kann.
Können Sie es mit Ihrem Gewissen vereinbaren, das Sie Ihre Familie, Verwandte und Bekannten generell erst einmal als Terroristen abstempeln lassen?
Mit freundlichen Grüßen
ein p o t e n t i e l l e r Terrorist
Sehr geehrter Herr Neubert,
Sie haben in Ihrem E-Mail das Schreckgespenst des Orwellschen Überwachungsstaates gezeichnet. Dem Eindruck, aufgrund dieser Vorratsdatenspeicherung genannten Regelung könne nunmehr jeder voraussetzungslos von staatlichen Stellen abgehört werden, widerspreche ich entschieden.
Die Kritik der letzten Tage ist durch den Wortlaut des Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung (BT-Drs. 16/5846; 16/6979), das der Deutsche Bundestag am 9. November verabschiedet hat, nicht gedeckt. Daher erlaube ich mir, zu Ihrer Aufklärung folgende Anmerkungen.
Richtig ist, das Recht der verdeckten Ermittlungsmaßnahmen nach der Strafprozessordnung (StPO) ist einer umfassenden Neuregelung unterzogen worden. Grundvoraussetzung für die Anordnung von Überwachungsmaßnahmen ist nach wie vor, dass ein durch Tatsachen begründeter Verdacht für eine schwere Straftat vorliegt.
Das Gesetz sieht umfassende Vorkehrungen zum Schutz des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung, zur Kennzeichnungspflicht, zur Löschungspflicht und zur Verwendung von im Wege verdeckter Ermittlungsmaßnahmen erhobener Daten sowie zur Schaffung wirksamer Rechtsschutzmöglichkeiten in diesem Bereich vor:
• Die Anordnung einer Überwachungsmaßnahme erfolgt grundsätzlich nur durch ein Gericht.
• Sie ist nur zulässig in den gesetzlich definierten Fällen von schweren Straftaten (§ 100a StPO)
• Die richterliche Anordnung ist auf höchstens drei Monate befristet. Verlängerungen sind nur –auf höchstens drei Monate befristet – möglich, wenn die Voraussetzungen für die Anordnung fortbestehen.
• Aufzeichnungen die den Kernbereich privater Lebensgestaltung betreffen, sind unzulässig. Aufgezeichnete Gesprächsinhalte, die diesen Bereich betreffen, sind unverzüglich zu löschen.
• Nach Beendigung einer Maßnahme sind die davon Betroffenen im Regelfall zu unterrichten, sobald dies ohne Gefährdung des Ermittlungszwecks möglich ist und dabei auf die Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit der Maßnahme gerichtlich überprüfen zu lassen, hinzuweisen.
• Die beruflichen Zeugnisverweigerungsrechte (§ 53, 53 a StPO) werden nicht verändert. Vielmehr wird nun der Schutz der Berufsgeheimnisträger vor Ermittlungsmaßnahmen ausdrücklich geregelt. Geistliche, Verteidiger, Mandatsträger jeweils bezüglich dessen, was ihnen in dieser Eigenschaft anvertraut worden ist, genießen einen absoluten Schutz. Ermittlungsmaßnahmen sind in diesen Fällen unzulässig.
• Die übrigen in § 53 StPO genannten Berufsgeheimnisträger, werden unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit das Zeugnis verweigern dürfen. Die Voraussetzungen für diese Verhältnismäßigkeitsprüfung sind im Übrigen im Laufe der Gesetzesberatungen nochmals verschärft worden (nunmehr sind verdeckte Ermittlungsmaßnahmen zu Straftaten, die nicht von erheblicher Bedeutung sind, bei diesen Berufsgeheimnisträgern in der Regel unzulässig).
Der Bundestag folgt mit dieser Differenzierung den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 109, 279, 322 f). Der Berufsgeheimnisschutz von Journalisten ist ebenfalls berücksichtigt worden. Die beweismäßige Verwertung sogenannter Zufallsfunde bei Journalisten ist unzulässig, wenn sich diese Funde auf Straftaten beziehen, die nicht mit einer Mindesthöchststrafe von fünf Jahren bedroht sind. Damit wird die Pressefreiheit gestärkt.
Niemand fordert die Einführung einer flächendeckenden Überwachung des Internets im Sinne einer Rasterfahndung. Die Strafverfolgungsbehörden brauchen ein technisch modernes Instrumentarium, mit dem man – wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft sind – zusätzliche Erkenntnisse über einen Verdächtigen gewinnen kann, der bereits durch die Sicherheitsbehörden überwacht wird.
Ich sage deutlich, die Onlinedurchsuchung ist als ein polizeiliches Werkzeug gedacht, das nur in Einzelfällen bei einem konkreten Tatverdacht gegen mutmaßliche Terroristen und Schwerstkriminelle zum Einsatz kommen kann.
Nun noch ein paar Worte zur Vorratsdatenspeicherung. Dabei handelt es sich um das Abgreifen von Übermittlungsdaten, sogenannten Verkehrsdaten. Dazu wurde eine EU-Richtlinie umgesetzt, denn die alten Regelungen wären am 31. Dezember 2007 ausgelaufen. Der einzige Unterschied zur bisherigen Regel ist, dass Telekommunikationsunternehmen die Daten nicht mehr freiwillig speichern (um mit dem Einzelverbindungsnachweis z. B. Streitfragen mit den Kunden über die Abrechnung zu klären), sondern dass sie gesetzlich dazu aufgerufen sind. Die Zeitdauer wurde um 90 Tage verlängert. Der Staat darf aber nur auf diese Daten zugreifen, wenn – siehe oben – tatsächliche Verdachtsmomente auf eine schwere Straftat vorliegen und ein Richter die Einsicht in die gespeicherten Verbindungsdaten bewilligt. Es werden über die Vorratsdatenspeicherung weder Telefonate abgehört noch E-Mails mitgelesen.
Natürlich bin auch ich mir darüber im Klaren, dass es in einer freiheitlichen Gesellschaft, die in eine globalisierte Welt eingebettet ist, eine völlige Sicherheit nicht geben kann. Das würde das Ende jeder Freiheit bedeuten. Ich möchte mir persönlich nach einem Terroranschlag oder einer schweren Straftat in Deutschland als Politiker aber nicht den Vorwurf machen müssen, nicht immer alle Möglichkeiten im Rahmen der Grenzen unserer Verfassung ausgeschöpft zu haben, um den Bürgern durch den Staat ein Höchstmaß an Sicherheit zu geben.
Ich hoffe, Sie konnten verstehen, warum die am Freitag beschlossenen Maßnahmen notwendig sind.
Mit freundlichen Grüßen,
Manfred Grund, MdB