Frage an Manfred Grund von Edgar G. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Wie stehen Sie zu dem zu beschließenden neuen Meldegesetz?
"Ohne große Öffentlichkeit hat die schwarz-gelbe Bundesregierung in der vergangenen Woche das neue Meldegesetz durch den Bundestag gebracht. Damit sollen Meldeämter in Zukunft personenbezogene Daten zu Werbezwecken oder für den Adresshandel an Unternehmen weitergeben dürfen. Der große Protest blieb zunächst aus - jetzt wird er dafür umso lauter.
"Das staatliche Melderegister ist kein Vorratsdatenspeicher für Zwecke der Wirtschaft", sagte SPD-Parteichef Sigmar Gabriel der "Süddeutschen Zeitung". Auch Grüne und Linkspartei kündigten Widerstand an. Im Bundesrat will die Opposition das Gesetz noch stoppen. Die Länderkammer will im Herbst beraten. In Kraft treten soll das Meldegesetz 2014."
Vielen Dank
Sehr geehrter Herr Günther,
vielen Dank für die zwei Beiträge zum Meldewesen. Das Gesetz hat nach Berichten in den Medien einige Nachfragen hervorgerufen. Allerdings ist wieder die Zeit des „Sommerlochs“. Deshalb ist Aufklärung geboten. Danke also für die Chance dafür durch Ihre Fragen bei Abgeordnetenwatch.de.
Ihre Fragestellung berührt inhaltliche und formale Aspekte. Erstens: Die Kritik an dem Abstimmungsverfahren halte ich für falsch. Natürlich weiß ich um den Eindruck, den das nicht voll besetzte Plenum häufig auf Beobachter macht. Doch erinnern Sie sich bitte, dass der Bundestag nicht wie die Volkskammer ein Präsenzorgan sondern ein Arbeitsparlament ist.
Sie erwarten zu recht von mir, dass ich neben der Teilnahme an Abstimmungen
· mein Wissen in den von mir schwerpunktmäßig betreuten Themenfeldern der Außenbeziehungen zu Moldau, der Ukraine, Zentralasien und China vertiefe,
· aktuelle Entwicklungen dort wie hier verfolge,
· dass ich mit Bürgern spreche ebenso wie mit Verwaltungen in drei Landkreisen und sieben großen Städten meines Wahlkreises,
· dass ich weiß, was die Arbeitsagenturen machen, was die Bahn vorhat, wo das Straßenbauamt tätig ist, welche Investoren welche Projekte planen,
· dass ich Kontakt zur Bundesregierung halte und zur Thüringer Landesregierung, zu weiteren Behörden (Stichwort: Nachnutzung der Görmar-Kaserne), zu politischen Stiftungen und Vereinen vor Ort,
· dass ich Besuchergruppen in Berlin persönlich betreue,
· dass ich insgesamt die Debatten im Bundestag und ihre Inhalte im Blick behalte und von der Eurorettung bis zum Stromnetzausbau "firm" bin,
· dass ich meine Reden professionell vorbereite,
· dass ich diese, Ihre Bürgeranfrage beantworte,
· dass ich neben der „Thüringer Allgemeine“ auch die „Süddeutsche Zeitung“ lese und vieles mehr.
Nicht alles lässt sich in sitzungsfreien Wochen managen. Manches ist eilig und eine Erledigung kann nicht im Plenarsaal erfolgen. Auch gibt es manche Gremien, wie den Ältestenrat, die Kontrollkommission oder Geschäftsführerrunden, die parallel zum Plenum tagen müssen. Ebenso geht es den Kollegen, weshalb nicht zu jedem Debattenpunkt alle Abgeordneten im Plenum sein können.
Alle Abstimmungen werden in Fach-Ausschüssen grundlegend vorbereitet. Ein Gesetz durchläuft mehrere Stufen: es wird von einem Antragsteller eingebracht, vorgestellt und kann debattiert werden (1. Lesung). Die Ausschussberatungen (in der Regel sind mehrere Ausschüsse beteiligt) werden häufig durch Anhörungen erweitert. Die Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses muss die Ergebnisse der mitberatenden Gremien würdigen und führt zurück ins Plenum, wo in 2. und 3. Lesung das Gesetz erneut behandelt und beschlossen wird. Es kann also nicht davon gesprochen werden, dass ein Gesetz „in 57 Sekunden von nicht einmal 50 Abgeordneten durchgewunken“ wurde.
Dass Reden zu manchen Themen „zu Protokoll genommen“ werden oder bereits in der Festlegung des Ältestenrates als „Ohne-Debatte-Punkte“ auf die Tagesordnung kommen, ist in der Geschäftsordnung des Bundestages vorgesehen. Es gibt dafür klare Regeln – unabhängig von dem Halbfinale in der Fußball-EM an jenem Abend. Diese Verfahren sind in mehr als sechzig Jahren Bundestag erprobt und bewährt. Mir wäre auch kein besseres Verfahren bekannt.
An der Abstimmung zum „Gesetz zur Fortentwicklung des Meldewesens“ konnte ich nicht teilnehmen, weil ich im Auswärtigen Amt vor dem „Internationalen Club“ eine Rede gehalten habe. Als Parlamentarischer Geschäftsführer sollte ich ab 22 Uhr im Bundestags-Plenum die weiteren Abstimmungen für die Unionsfraktion leiten. Als ich kurz vorher zurück kam, gingen die Abstimmungen dem Ende entgegen und ein erneuter Wechsel bei den PGF’s erfolgte nicht mehr.
Zweitens zum Inhalt: Der Deutsche Bundestag hat also am 28. Juni den Gesetzentwurf zur Fortentwicklung des Meldewesens in 2. und 3. Lesung angenommen. Das Meldewesen ist 2006 mit der Föderalismusreform I in die ausschließliche Gesetzgebung des Bundes überführt worden. Es wurde Zeit, dass der Gesetzgeber von dieser Befugnis Gebrauch machte.
Hauptziele des Bundesmeldegesetzes sind die Stärkung des Datenschutzes für die Bürgerinnen und Bürger bei effizienterer Nutzung der Meldedaten und Senkung der Bürokratiekosten.
Es wird wieder eine Vermieterbestätigung eingeführt: Eine meldepflichtige Person muss ihren Ein- oder Auszug künftig vom Vermieter bestätigen lassen, wie es das Melderechtsrahmengesetz bis 2002 vorsah. Die Einrichtung eines Online-Zugriffs auf die Meldedaten rund um die Uhr und länderübergreifend für Sicherheitsbehörden und weitere, durch andere Rechtsvorschriften zu bestimmenden Behörden, wird ebenfalls ermöglicht. Der Gesetzentwurf enthält aber kein zentrales Bundesmelderegister.
Auch die Wirtschaft ist auf einen aktuellen Meldebestand dringend angewiesen. Hier hat sich die Koalition für praxisgerechte Lösungen entschieden, um einen Abruf der Daten nicht unverhältnismäßig zu erschweren und dabei die Persönlichkeitsrechte des Einzelnen gleichwohl zu wahren. Sie schlossen sich der Kritik an, unter welchen Voraussetzungen eine einfache Melderegisterauskunft erfolgen dürfe. Das Gesetz sieht vor, dass bei der einfachen Melderegisterauskunft für Zwecke der Werbung oder des Adresshandels statt einer Einwilligungs- eine Widerspruchsregelung geschaffen wurde und eine Nutzung der Daten aus einer einfachen Melderegisterauskunft in jedem Fall möglich ist, wenn diese Daten lediglich der Bestätigung oder Berichtigung bereits vorhandener Daten dienen.
Damit wurden die Interessen der Betroffenen mit den Interessen der Wirtschaft an einer legitimen Nutzung der Daten wieder in einem angemessenen Ausgleich gebracht. Ausschlaggebend für diese Regelung war, dass der durch einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung erfolgende Eingriff angesichts der legitimen Interessen der Wirtschaft nicht so schwer wiegt, dass ein solcher in jedem Fall zu unterbleiben hätte. Die betroffene Person kann vielmehr gegen die Erteilung einer sie betreffenden einfachen Melderegisterauskunft zu den genannten Zwecken Widerspruch einlegen und ist über dieses Recht zu unterrichten.
Ein Widerspruchsrecht entspricht übrigens auch dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Juni 2006 (Az. 6 C 05.05). Die anfragende Stelle hat zudem anzugeben, wenn sie Daten aus einer einfachen Melderegisterauskunft für Zwecke der Werbung oder des Adresshandels verwenden möchte. Ein Ausschluss des Widerspruchsrechts im Falle der Bestätigung oder Berichtigung vorhandenen Daten ist zudem dadurch gerechtfertigt, dass es sich um bereits erhobene Daten handelt.
Die Aufregung des Tages kann sich in einen Vorteil wandeln, weil die Bürger nun wissen: Wenn der Bundesrat dem Gesetz zustimmen sollte, können alle, die die eine solche Auskunft zu Werbezwecken nicht wollen, bei ihren Meldeämtern den Widerspruch einreichen. Ich ermuntere Sie, von Ihrem Recht Gebrauch zu machen. Es könnte dann geschehen, dass Sie trotzdem Werbepost bekommen – von Anbietern, die Ihre Daten bei Adressmaklern oder der Post legal kaufen bzw. weil Sie selbst für ein Gewinnspiel, eine Umfrage oder im Internet diese Angaben freiwillig herausgegeben haben bzw. diese Daten beim Einkauf mittels Rabatt- oder Kundenkarte wie Payback oder DeutschlandCard ebenfalls legal erhoben werden.
Im Übrigen hilft auch ein beherzter Griff zur Papiertonne.
Mit freundlichen Grüßen
Manfred Grund