Frage an Manfred Grund von Oliver Dr. S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Grund,
ich komme an meiner Arbeit mit vielen Menschen aus allen sozialen Schichten und allen Altersgruppen zusammen. Viele fühlen sich im System der parlamentarischen Demokratie weiterhin bevormundet und fremdregiert. Warum werden bei uns zu wichtigen Themen nicht wie in der Schweiz volksdemokratische Elemente in Form von Volksabstimmungen eingeführt? Wenn die Mehrheit des Volkes anders abstimmt als man selbst, würden viele diese Entscheidungen deutlich besser akzeptieren können.
MfG, O. Schulz
Sehr geehrter Herr Schulz,
vielen Dank für diese Frage. Zu Volksabstimmungen / Volksbegehren habe ich hier bei Abgeordnetenwatch ja schon im Frühjahr 2009 geantwortet. Ich bestätige nochmals, was ich öffentlich auch auf der Kampagnenseite zu Volksentscheiden ( http://www.volksentscheid.de/kandidat/manfred-grund/ ) kund getan habe und auch beim Kandidatencheck von Abgeordnetenwatch / Spiegel noch diese Woche hinterlegen werde:
»Ich bin dafür, Volksabstimmung in wichtigen Richtungsfragen zuzulassen. Bürger sollen mehr Mitsprache bekommen. Die entsprechenden Quoren müssen Missbrauch durch engagierte Minderheiten wirksam ausschließen. Es darf nicht gewinnen, wer die beste und teuerste Lobbyarbeit macht. Das Primat des Parlaments soll gestärkt werden.«
Aber ich warne davor, zu viel von Volksabstimmungen zu erwarten. Volksentscheide werden gesellschaftliche Fragen nicht beantworten oder nicht anders als die Politik! Anders als in der Frage formuliert glaube ich nämlich, dass durch die repräsentative Demokratie alle gesellschaftlichen Strömungen entsprechend ihrem tatsächlichen Masse-Anteil an der Bevölkerung im Parlament vertreten sind. Schauen Sie sich nur unsere Bundestagsdebatten an: Man kann nicht behaupten, dass hier anders als in der Bevölkerung gedacht und gesprochen wird. In aller Regel bekomme ich sogar entgegen gehalten, im Bundestag werde zu viel gestritten. Also, es gibt die unterschiedlichsten Argumente und jeder Bürger kann sich im Plenum vertreten fühlen. In Beschlüssen kommt dann in aller Regel der durch die letzten Wahlen bestimmte repräsentative Mehrheitswille zum Ausdruck. Dieses Verfahren spiegelt also schon heute den Bürgerwillen.
Deutschland ist in den letzten Jahren pluralistischer geworden. Nach Wahlen fällt eine Regierungsbildung oft schwer, weil keine der politischen Strömung noch deutliche Mehrheiten erringen kann. Man kann auch sagen, die politischen Lager - Links (rot-(rot)-grün) und Mitte (schwarz-gelb) - stehen sich mehr oder weniger gleich stark gegenüber. Was, wenn wie bei den letzten Wahlen zwei Lager - Befürworter und Ablehner einer nur mit Ja oder Nein zu beantwortenden Frage – in einer Volksabstimmung annähernd gleichauf liegen, sagen wir bei 48 und 52 Prozent? Bei der praktizierten und bewährten parlamentarischen Vertretung werden Parteien und Politiker um Ausgleich oder Kompensationen bemüht sein. Was folgt aus einer knappen Volks-Entscheidung? Wie viel Spielraum hat die Politik? Braucht es Politik dann noch?
Vor Volksentscheiden wird es künftig verstärkt um Meinungsbildung gehen. Ich befürchte, diese Prozesse werden schlimmer sein als der heutige Wahlkampf. Es wird eine neue Sorte von Kampagnen entstehen, die viel Geld kosten und neue Tätigkeitsfelder für PR-Büros, Berater und Werbeagenturen mit enormen Umsätzen erzeugt. Werden die Menschen begeistert mitmachen oder sich genervt abwenden?
Bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Ja, wir sollten Volksentscheide zulassen. Sehen wir die Chancen, vergessen aber die Risiken nicht. Es sind aber noch viele Fragen offen. Deshalb sehe ich mit Spannung den Initiativen in den Ländern entgegen.
Mit freundlichen Grüßen
Manfred Grund